Afghanistan-Einsatz wird Wahlkampfthema in Polen

(16.06.2010/dpa)

Jahrelang herrschte in Polen ein breiter Konsens über die Militäreinsätze im Ausland. Doch jetzt wird immer lauter nach dem Sinn des Engagements vor allem in Afghanistan gefragt. Der Präsidentenwahlkampf verschärft die Debatte.

Schwere Zeiten für alle Befürworter des polnischen Einsatzes in Afghanistan: Noch bevor das Opfer des letzten Sprengstoffanschlags am Mittwoch auf dem Warschauer Militärfriedhof beigesetzt werden konnte, gab es am Hindukusch schon wieder einen polnischen Toten. Der 29-jährige Militärpolizist Grzegorz Bukowski, das 18. Todesopfer, starb beim Raketenbeschuss eines Militärstützpunktes in der südöstlichen Provinz Ghasni. „Die Situation wird immer radikaler“, sagte Ministerpräsident Donald Tusk.

Als der damalige Präsident Aleksander Kwasniewski die polnischen Truppen nach Afghanistan und später in den Irak schickte, stärkte ihm nicht nur seine eigene Partei, sondern auch die Mitte-Rechts- Opposition den Rücken. Doch mit jedem Sarg, der in die Heimat zurückkehrt, schwindet der alte Konsens über die Auslandseinsätze. Der Wahlkampf vor der Präsidentenwahl am Sonntag verstärkte noch den Streit.

Erschrocken über die Hiobsbotschaften aus Afghanistan brachte der aussichtsreichste Präsidentenbewerber Bronislaw Komorowski eine Debatte in Gang, die Polens Ruf als zuverlässiger Bündnispartner in Frage stellt. In mehreren Interviews kündigte der rechtsliberale Kandidat von der Regierungspartei Bürgerplattform (PO) an, er wolle im Falle seines Sieges die NATO zum schnellen Rückzug aus Afghanistan drängen.

Er werde im Herbst einen Versuch unternehmen, die NATO zur Verkürzung der von US-Präsident Barack Obama angekündigten Abzugsfristen zu überreden, sagte er. Polen müsse „schneller Afghanistan verlassen, als von Obama angekündigt“, legte er am Dienstag nach. Dabei schloss Komorowski einen Alleingang seines Landes nicht aus. Falls das im Bündnisrahmen nicht gelingen sollte, „wird Polen das Recht haben zu sagen: Wir sind bei dieser Mission seit neun Jahre dabei, es reicht“, erklärte er.

Komorowskis Gegner im Rennen um das Präsidentenamt, der nationalkonservative Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, hält die Diskussion für schädlich. Afghanistan sollte kein Wahlkampfthema sein, betonte Kaczynski.

Ein Alleingang würde die Glaubwürdigkeit Polens gefährden, sagte General Waldemar Skrzypczak der Zeitung „Polska“. Die polnische Linke fordert dagegen den sofortigen Abzug. „Die Menschen verstehen diesen Einsatz nicht“, sagt der linke Präsidentenbewerber Grzegorz Napieralski.

Ministerpräsident Tusk formulierte die Wünsche seines Landes zurückhaltender: Erforderlich sei ein „verständlicher und schneller“ Plan zur Beendigung der Mission. Seine Regierung bemühe sich seit „vielen Monaten“ darum. Gefunden werden müsse eine schnelle gemeinsame Lösung, so Tusk, um den Eindruck eines geplanten Alleingangs zu zerstreuen.

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