Anschlag auf Wasserkraftwerk im russischen Nordkaukasus
(22.07.2010/dpa)
Bei einem Terroranschlag auf ein Wasserkraftwerk in der russischen Republik Kabardino-Balkarien im Nordkaukasus sind am gestrigen Mittwoch zwei Meschen getötet worden. Die mutmaßlichen „Islamisten“ erschossen zwei Wachmänner und sprengten dann zwei der drei Generatoren im Maschinensaal mittels vier Sprengsätzen in die Luft. Wäre es ihnen gelungen, den Damm des Stausees zu sprengen, so hätte dies in dem dicht besiedelten Gebiet zu einer Katastrophe geführt.
Dieser Anschlag auf ein strategisch wichtiges Infrastrukturobjekt ereignete sich wenige Tage nachdem die Duma für einen effektiveren Anti-Terror-Kampf die Vollmachten des Geheimdienstes FSB erweitert hatte.
Nach Darstellung des russischen Anti-Terror-Komitees stürmten mehrere Mitglieder einer islamistischen Untergrundorganisation in der Nacht das Kraftwerk. Demnach erschossen sie einen 41 und einen 25 Jahre alten Wachmann und zwangen dann mit Gewalt zwei Mitarbeiter des Wasserkraftwerks zur Öffnung des Maschinenraums. Die beiden Angestellten erlitten Messerstiche und schwere Prellungen.
Nach offiziellen Angaben hatten die Untergrundkämpfer auch das Polizeiquartier in der Stadt Baksan, die etwa 15 Kilometer vom Kraftwerk entfernt ist, mit Kalaschnikow-Gewehren und Granatwerfern angegriffen, wobei aber niemand verletzt wurde. Der Anschlag sei „ein sorgfältig geplanter und professionell ausgeführter Diversionsakt“, so ein Sprecher der Ermittlungsbehörde.
In der Konfliktregion kämpfen muslimische Separatisten um ein unabhängiges Kaukasus-Emirat. Sie haben dabei auch immer wieder gedroht, auf zivile Objekte Anschläge zu verüben. Anders als die Unruhe-Republiken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien gilt die Lage in Kabardino-Balkarien im Süden Russlands als vergleichsweise ruhig. Allerdings hatten auch die Behörden dort zuletzt von einer zunehmend schwierigen Lage gesprochen, nachdem im Mai ein ranghoher Staatsanwalt getötet worden war.
Nach einer schweren Explosion in dem größten russischen Wasserkraftwerk am Sajano-Schuschensker Stausee in Sibirien im August des vergangenen Jahres, bei dem 75 Menschen starben, hatte sich der tschetschenische Terroristenchef Doku Umarow dazu bekannt. Nach Angaben von Ermittlern handelte es sich dabei jedoch um einen technischen Unfall und nicht um einen Terroranschlag. Da Umarow damals von einem „Fortsetzungsroman“ gesprochen hatte, gilt er auch als Hauptverdächtiger im jüngsten Anschlag auf das Wasserkraftwerk in Kabardino-Balkarien.
Aufgrund der in dem nordkaukasischen Gebiet verlaufenden Pipelines hat Russland ein besonderes geostrategisches Interesse an der Region – ebenso wie Russlands Widersacher. Daher erhielten tschetschenische Terroristen in der Vergangenheit auch immer wieder die Unterstützung seitens des Westens. Nicht wenige derjenigen, die in Tschetschenien gegen Russland kämpfen, nahmen schon unter der Regie der CIA und ihrer verbündeten Geheimdienste aus Pakistan und Saudi-Arabien auf Seiten der Mudschaheddin am Kampf gegen die russischen Besatzer in Afghanistan in den 1980er Jahren teil. Nach dem Abzug der Russen waren viele von ihnen „arbeitslos“ geworden und bekamen von ihren Geldgebern neue Einsatzgebiete zugeteilt. Neben Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo war dies vor allem Tschetschenien. (1) Russlands Regierung wies in der Vergangenheit des Öfteren auf die westliche Unterstützung hin und warf etwa Großbritannien eine „direkte informelle Unterstützung von Terroristen“ vor. Auch die Tatsache, dass Großbritannien Leuten Unterschlupf gewährt, die von Moskau als Terroristen gesucht werden, stieß dort mehrfach auf scharfe Kritik. Ein halbes Jahr nach dem Massaker in der Schule in Beslan im September 2004, bei dem 330 Menschen starben, teilte das russische Außenministerium mit: „Die britischen Behörden sollten sich jene moralischen Folgen überlegen, die es für die britische Gesellschaft haben kann, dass Großbritannien dem Abgesandten der tschetschenischen Terroristen, Achmed Sakajew, Asyl gewährt.“(2)
Großbritanniens Hauptstadt war berühmt-berüchtigt dafür, dass sich international gesuchte Terroristen aus der sogenannten islamistischen Szene in ihr niederlassen und ihren Aktivitäten weiterhin ungestört nachgehen konnten, wobei viele von ihnen gleichzeitig für die britischen Sicherheitsbehörden arbeiteten, beispielsweise als Informanten. Das hatte ihr den Spitznamen „Londonistan“ eingebracht. (3) Ob der jüngste Anschlag aber Teil einer größeren geheimdienstlichen Destabilisierungskampagne ist, oder tatsächlich das „autonome“ Werk der für ein Kaukasus-Emirat kämpfenden Muslime, lässt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht beantworten.
Anmerkungen
(1) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/20080806229/politik/welt/der-inszenierte-terrorrismus-die-cia-und-al-qaida.html
(2) Quelle: http://www.russland.ru/tschetschenien/morenews.php?iditem=281
(3) Siehe dazu: http://www.historycommons.org/context.jsp?item=a06londonistanexplanation#a06londonistanexplanation