Zehn Jahre später

ARD und ZDF: Maidanschützen weiter kein Thema

Öffentlich-rechtliche Sender verschweigen in Maidan-Rückblicken jahrelang bekannte Fakten und aktuelles Gerichtsurteil / Maidankämpfer schossen aus ZDF-Hotelzimmer / Kritik von Medienbeobachterin

Maidan, 12. März 2014.
Foto: Oleh Karpenko Lizenz: CC BY 3.0, Mehr Infos

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)

Für die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF sind zahlreiche, teils seit Jahren bekannte Fakten zum Scharfschützenmassaker vom 20. Februar 2014 auf dem Maidan weiterhin kein Thema. So berichteten die verantwortlichen Korrespondenten in ihren Rückblicken zum zehnten Jahrestag des Umsturzes in der Ukraine erneut nicht über die Tatsache, dass bewaffnete Maidankämpfer während des Massakers ein Zimmer des ZDF im Kiewer „Hotel Ukraina“ kaperten und von dort aus in Richtung der Todeszone auf der Institutska-Straße schossen. Ein Kiewer Gericht hatte nach jahrelangen Untersuchungen im Oktober 2023 geurteilt, dass Maidanaktivisten und Journalisten vom Hotel Ukraina aus unter Feuer genommen wurden. Mindestens sechs Menschen sind demnach am 20. Februar 2014 vom Hotel aus erschossen worden.

ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn schrieb auf Multipolar-Anfrage: „In dem Rückblick rückt das in den Vordergrund, was der Maidan-Aufstand vorrangig war: eine Bürgerbewegung.“ Für einen 37-minütigen Auslandsjournal-Beitrag hatte Korrespondentin Katrin Eigendorf mit dem heutigen Kiewer Bürgermeister und damaligen Oppositionspolitiker Vitali Klitschko über den Maidan gesprochen. Klitschko bezeichnete dabei unwidersprochen die Anwesenheit von militanten Rechtsextremen auf dem Maidan als „Fake News“ und „Propaganda“.

Zahlreiche internationale Medien hatten jedoch während des Maidans über ukrainische Neonazi-Kampfgruppen aufseiten der Demonstranten berichtet. So hatte die Deutsche Welle in einem Beitrag aus dem Februar 2014 das von rechtsextremen Gruppierungen wie der Partei „Swoboda“ oder der Kampfgruppe „Rechter Sektor“ besetzte Kiewer Rathaus besucht und die dort aufgehängten Fahnen der Legionen ukrainischer Nationalsozialisten aus dem Zweiten Weltkrieg als „irritierend“ bezeichnet. Der Maidanforscher Iwan Katschanowskyj von der Universität Ottawa macht rechtsextreme Gruppierungen für die Ermordung Dutzender Menschen im Februar 2014 auf dem Maidan verantwortlich.

Das ZDF habe von den Ereignissen auf dem Maidan in Nachrichtensendungen, aktuellen Magazinen und „ZDF spezials“ vom 20. und 22. Februar 2014 „umfassend und detailreich“ berichtet, teilte ZDF-Sprecher Hagedorn mit. Nicht erwähnt wurde in den genannten Berichten allerdings die Kaperung eines ZDF-Zimmers im 14. Stock des „Hotel Ukraina“ direkt am Maidan durch eine mit Schusswaffen ausgestattete Maidankampfgruppe. Erst in einem „ZDF spezial: Kalter Krieg um die Krim – Was macht der Westen?“ am 6. März 2014 hatte Korrespondentin Britta Hilpert erstmalig und einmalig darüber berichtet.

Die Redaktion von „ARD-aktuell“ hatte vom 18. bis 21. Februar 2024 drei rückblickende Artikel zum Thema Maidan veröffentlicht, in welchen sie über diese Fakten ebenfalls nicht berichtete. In einem Tagesschau-Beitrag der Korrespondentin Birgit Virnich heißt es: „Als die Regierung die Proteste mit Gewalt niederschlagen wollte und sogar Scharfschützen einsetzte, wurden mehr als 100 Menschen erschossen.“ Dabei hatte das erwähnte Gericht in seinem aktuellen Urteil festgestellt, dass weder der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch noch einer seiner Minister einen Schießbefehl gegeben hätten. Tatsächlich wurden am 20. Februar 2014 auf dem Maidan nicht „mehr als 100“, sondern 52 Menschen erschossen – vier davon Polizisten.

Die für „ARD-aktuell“ verantwortliche NDR-Pressestelle teilte Multipolar auf Nachfrage mit, dass der Fokus der Berichte auf der „Gesamteinordnung“ des Maidans lag und „nicht auf der Rekonstruktion einzelner Ereignisse“. Korrespondent Bernd Großheim hatte die Täterschaft von Maidankämpfern in seinem Tagesschau-Beitrag lediglich als „möglich“ bezeichnet. Vonseiten der NDR-Pressestelle heißt es hierzu, solche Formulierungen seien „in einer seriösen journalistischen Aufarbeitung zwingend“, da es „widersprüchliche Aussagen“ gebe und die ARD in ihrer Berichterstattung „ausschließlich auf überprüfbare Fakten“ zurückgreife. Auf das Gerichtsurteil oder die öffentlichen Tateingeständnisse damaliger Maidankämpfer ging die NDR-Pressestelle nicht ein.

Medienbeobachterin Maren Müller von der „Ständigen Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“ kritisiert die Berichterstattung von ARD und ZDF zum Maidan auf Multipolar-Anfrage. Es handele sich dabei nicht um seriösen Journalismus, sondern um das „Weglassen wichtiger Informationen“ und um eine „aktive Narrativ-Pflege zugunsten der westlichen Geschichtsschreibung“. Die Publikumskonferenz beschäftige sich bereits seit 2014 mit dieser „selektiven Art der Berichterstattung“ und habe deshalb zahlreiche Programmbeschwerden eingereicht.

Das Problem der „Nachrichtenunterdrückung“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sei hierbei ein Hauptthema gewesen. Viele Berichte von ARD und ZDF zum Maidan beinhalteten eher „Storytelling“ als Fakten, kritisiert Müller. Das Verschweigen relevanter Sachverhalte verunmögliche Mediennutzern die freie Meinungsbildung und verstoße gegen die Vorgaben der Rundfunkgesetze. Allerdings finde eine „einseitig-selektive Informationsvermittlung“ von ARD und ZDF nicht nur beim Thema Maidan, sondern bei allen großen geopolitischen Themen statt.

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