Kampf gegen "Desinformation"

Britisches Unternehmen bestimmt über Werbeeinnahmen von Online-Medien

Regierungskritische Magazine sollen „finanziell ausgehungert“ werden / Deutsche Steuergelder fließen in das Programm / Gründer ist Ex-US-Geheimdienstler

Der Chef von UnHerd, Freddy Sayers, im Ausschuss des britischen Oberhauses.
parliamentlive.tv, Screenshot: Hintergrund, Mehr Infos

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)

Das britische Unternehmen „Global Disinformation Index“ (GDI) entscheidet laut Recherchen unabhängiger Journalisten wesentlich darüber, welche Online-Medien bei der Erzeugung von Werbeeinnahmen benachteiligt werden. Magazine, die auf der „Dynamischen Ausschlussliste“ von GDI aufgelistet werden, seien mit einem faktischen „Werbeboykott“ konfrontiert, erläutert der Journalist Norbert Häring. Da die Ausspielung von Internetwerbung in der Regel automatisiert stattfinde, wüssten oftmals weder die werbenden Unternehmen noch beteiligte Werbeagenturen etwas von diesem Mechanismus.

Das selbst formulierte Ziel von GDI bestehe darin, „Online-Desinformation zu zerstören, indem entsprechende Publikationen finanziell ausgehungert“ würden, schreibt Häring. Allerdings sei die von GDI selbst formulierte Definition von „Desinformation“ widersprüchlich und irreführend, da es nicht um Falschinformationen, sondern um unterschiedliche Standpunkte bei geopolitischen Konflikten oder bei umstrittenen Themen wie Migration und Identitätspolitik gehe. Ebenfalls würden völlig korrekte Informationen, die jedoch Konflikte „schüren“ könnten, von dem britischen Unternehmen zu Desinformation gerechnet. „Ein hohes Risiko, auf dem Index zu landen, haben folglich erfolgreiche Nachrichten- und Kommentarseiten, auf denen Regierungskritik geübt wird“, erklärt Häring.

Ins Rollen gebracht hatte die Recherche das britische Debattenmagazin „UnHerd“, das selbst auf der Ausschlussliste gelandet war. Chefredakteur Freddie Sayers, informierte am vergangenen Dienstag (16. April) im Oberhaus des britischen Parlaments darüber. Der dortige Ausschuss für Kommunikation und Digitales untersucht die angemessene staatliche Reaktion auf Fehl- und Desinformationen. Dabei ging es auch um die Frage, ob das Konzept der Desinformation „politisiert worden ist oder dazu benutzt wird, alternative Standpunkte zu unterdrücken“.

Nach eigenen Angaben hatte das leserfinanzierte Magazin „UnHerd“ vergangenes Jahr begonnen, Anzeigen zu schalten, und dabei mit drei verschiedenen Werbeagenturen zusammengearbeitet. Nachdem nur zwei bis sechs Prozent der erwartbaren Einnahmen zugeflossen waren, sei man auf die Tatsache gestoßen, dass „UnHerd“ auf die „Dynamische Ausschlussliste“ gesetzt worden war. GDI teilte auf anschließende Nachfrage als Begründung mit, dass UnHerd „Anti-LSBTIQ-Narrative“ verbreite. Beanstandet worden sei etwa die Autorschaft der Philosophie-Professorin Kathleen Stock. Die nach Protesten 2021 zurückgetretene Akademikerin lehnt – wie die Mehrheit der Briten – den Gedanken ab, biologisch männliche Personen als Frauen zu behandeln, wenn sie sich als solche identifizieren, und warnt vor dem Einsatz von Pubertätsblockern bei Kindern, die sich mit ihrem Geschlecht nicht identifizieren können.

GDI bewertet laut eigenen Angaben nur die größten Webseiten durch menschliche Mitarbeiter. Im Normalfall erledige künstliche Intelligenz das Werk. GDI untersucht nach Angaben auf der eigenen Website auch deutsche Online-Auftritte. Eine der beiden Gründer von GDI, Clare Melford, arbeitete früher für den „European Council on Foreign Relations“, eine „Denkfabrik“, die von westlichen Regierungen und den Stiftungen von Multimilliardären wie dem Börsenspekulanten George Soros finanziert wird. Der andere GDI-Gründer Daniel Rogers hat für US-amerikanische Geheimdienste gearbeitet.

Nach Ansicht von Freddie Sayers ist das Geschäftsmodell von GDI zum Schaden der Allgemeinheit: Die gesellschaftlichen Probleme „erfordern eine intensive, unzensierte Diskussion, wenn wir jemals gute Lösungen für sie finden wollen“, betonte der Chefredakteur von UnHerd. Man könne keine Lösung finden, „wenn man jeden ausschaltet, der anderer Meinung ist“. Eine „freie und ehrliche Diskussion“ sei der einzige Weg, die Menschen zusammenzubringen. Die Regierung müsse Meinungsmonopole beseitigen. Norbert Häring zufolge ist die Nutzung des GDI-Indexes auch schädlich für die werbetreibenden Unternehmen, denn sie erreichten dadurch nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung.

Neben Lizenzgebühren für die Nutzung der „Dynamischen Ausschlussliste“ profitiert GDI von staatlichen Zuwendungen. Großbritannien förderte das Unternehmen zwischen 2019 und 2023 mit insgesamt 2,6 Millionen Pfund. GDI führte in der Vergangenheit unter anderem „Disinfo Cloud“, eine vom US-Außenministerium gegründete Plattform, als Sponsor und nennt inzwischen die Europäische Union sowie das Auswärtige Amt als Finanzier. Häring zufolge entspreche der öffentlich geäußerte Anspruch des Unternehmens, man arbeite auf der Basis der drei Prinzipien Neutralität, Unabhängigkeit und Transparenz, damit in keinem Punkt der Wahrheit.

Auf Multipolar-Anfrage wollte das Außenministerium bislang nicht zu der Höhe der Förderung von GDI Stellung nehmen. Desinformation sei „ein Angriff auf die Grundwerte unserer freiheitlichen Demokratien“, schreibt die Pressestelle. Das Ministerium unter der Leitung von Annalena Baerbock (Grüne) befände sich im „Dialog mit den Expertinnen und Experten des Global Disinformation Index“.

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