Bundesinnenminister warnt vor Übertreibungen beim Datenschutz

(27.04.2016/dpa)

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat im Zusammenhang mit der Terrorabwehr vor übertriebenem Datenschutz gewarnt. Er kritisierte am Mittwoch noch einmal das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz. Die Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA), um die es in Karlsruhe ging, seien seit 2009 in nur achtzehn Fällen ausgeübt worden. Lediglich achtzig Personen seien davon betroffen gewesen.

„Ist das ‚Massen-Überwachung‘? Ist das ‚Daten-Sammel-Wut‘? Ist das ‚grenzenlose Überwachung Unschuldiger‘?“, fragte de Maizière laut vorab verbreitetem Redemanuskript. „Ich glaube, wir brauchen auch beim Datenschutz ein Bewusstsein für Übertreibungen“.

De Maizière sprach vor dem Europäischen Datenschutzkongress in Berlin. Selbstverständlich werde die Bundesregierung die Vorgaben aus Karlsruhe umsetzen. Klar sei aber auch, dass mit den Befugnissen des BKA in den letzten Jahren Terroranschläge in Deutschland verhindert worden seien. „Die Regelungen wurden zurückhaltend eingesetzt. Und so zurückhaltend sie eingesetzt wurden, so erfolgreich waren sie auch.“

Die Karlsruher Richter hatten vor einer Woche die Praxis des BKA bei der Terrorabwehr zum Teil für verfassungswidrig erklärt. Das BKA-Gesetz muss deshalb bis Ende Juni 2018 stark nachgebessert werden.

Das BKA darf seit 2009 unter anderem Wohnungen verwanzen und mit Kameras ausspähen. Das reformierte BKA-Gesetz ist auch Grundlage für den „Bundestrojaner“, eine eigens entwickelte Software, die auf der Computer-Festplatte eines Terrorverdächtigen Daten zum Beispiel aus Chats abschöpft.

All das ist laut Bundesverfassungsgericht zwar im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar. Die konkrete Ausgestaltung der Befugnisse durch den Gesetzgeber sei aber in verschiedener Hinsicht ungenügend, sagte Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof. Der Senat habe „in etlichen Einzelvorschriften unverhältnismäßige Eingriffe festgestellt“. Vor allem sei der Kernbereich privater Lebensgestaltung zum Teil nicht ausreichend geschützt. Aber auch für den Datenaustausch mit anderen Behörden im In- und Ausland nennen die Richter klare Bedingungen.

Das Urteil sei zu respektieren, sagte de Maizière nach dessen Verkündung, und erklärte zugleich, der Informationsaustausch unter den Behörden im In- und Ausland müsse erhalten und noch ausgebaut werden.

Die umfangreiche Prüfung der Bestimmungen habe im Ergebnis zu einer Grundsatzentscheidung zum Datenschutzrecht geführt, bewertete Kirchhof den Urteilsspruch.  

Hintergrund waren zwei Verfassungsbeschwerden, unter anderen von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und mehreren Grünen-Politikern wie Hans-Christian Ströbele.

Der ehemalige Bundestags-Vizepräsidenten Burkhard Hirsch, der eine der Klagen in Karlsruhe vertreten hatte, sieht durch das Urteil Auswirkungen weit über das BKA-Gesetz hinaus. Ähnliche Bestimmungen gebe es auch im Verfassungsschutzgesetz, in der Strafprozessordnung und in anderen Regelungen. Baum sagte, durch das Urteil seien die Maßstäbe wieder zurechtgerückt. Nun müsse das Parlament nacharbeiten.

Ströbele wertete die Entscheidung als weitere herbe Niederlage für die schwarz-rote Koalition vor Gericht. Vor der Verabschiedung des Gesetzes 2008 habe sie alle fachlichen und rechtlichen Bedenken in den Wind geschlagen. Selten sei ein Gesetz vor Gericht so auseinandergenommen worden wie nun das BKA-Gesetz.

Die Linke-Politikerin Ulla Jelpke nannte das Urteil eine „Klatsche für die Law-and-Order-Politiker“ der Großen Koalition. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff sprach von einem „Meilenstein für das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit“. FDP-Politiker äußerten sich mit Genugtuung und erklärten, die Koalition habe sich einmal mehr für ein bürgerrechtsfeindliches Gesetz von Karlsruhe belehren lassen müssen.

Ob die Regierungskoalition die Nachbesserungen noch in dieser oder erst in der nächsten Legislaturperiode angeht, ließ de Maizière zunächst offen. Die zahlreichen beanstandeten Regelungen dürfen bis dahin teilweise nur mit Einschränkungen oder Auflagen angewandt werden.

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