Bundeswehr in Rekrutierungsnöten und auf Sparkurs

(21.04.2011/dpa)

Die Umwandlung der Bundeswehr zu einer Berufsarmee nach Abschaffung der Wehrpflicht stößt auf Schwierigkeiten. Der neue Freiwilligendienst der Armee erzeugt nur mäßiges Interesse. Von 498.000 jungen Männern, die im März und April angeschrieben wurden, äußerten nach Angaben des Verteidigungsministeriums nur rund 1800 Interesse. Also weniger als 0,4 Prozent. Einen Grund zur Beunruhigung sieht das Ministerium aber nicht. Die Zahlen zeigten, „dass die Freiwilligen nicht in Massen kommen, aber man trotzdem keine Panik schieben muss“, sagte ein Ministeriumssprecher der Nachrichtenagentur dpa auf Anfrage.

Anfang Januar waren die letzten Wehrpflichtigen eingezogen worden. Im März und April kamen insgesamt 2749 Freiwillige zur Bundeswehr. Die Probe aufs Exempel steht aber noch aus. Am 1. Juli beginnt der neue freiwillige Wehrdienst mit all seinen materiellen Vergünstigungen. Entscheidend sei, wie stark der Zulauf dann sei, sagte der Sprecher.

Die Bundeswehr hatte bereits zu Jahresanfang 165.000 junge Männer angeschrieben, die zu den Letzten gehörten, die noch gemustert wurden. Davon hatten 8.300 Interesse am freiwilligen Wehrdienst geäußert. Das waren immerhin fünf Prozent.

Der Engpass besteht trotz einer „beispielloses Werbefeldzugs an der Heimatfront“. (1) Der Grund: „Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr“, beschreibt die Militärsoziologin Nina Leonard die Rekrutierungsschwierigkeiten der Bundeswehr. (2)

Dafür spricht, dass Soldaten aus Ostdeutschland, wo es um die beruflichen Perspektiven schlechter gestellt ist als im Westen, überproportional an Auslandseinsätzen der deutschen Armee beteiligt sind.

Aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Sommer 2009 ging hervor, dass der Anteil von ostdeutschen Soldaten bei Auslandseinsätzen bei 49,2 Prozent  lag – obwohl der Anteil der Ostdeutschen an der Bevölkerung nur knapp 20 Prozent beträgt.

Überproportional sind Ostdeutsche besonders in den unteren Dienstgraden vertreten. Machte ihr Anteil bei Stabsoffizieren 16,6 Prozent aus, waren es bei den Mannschaften hingegen 62,5 Prozent. Die junge Welt titelte nach der Veröffentlichung der Daten polemisch: „Ossis als Kanonenfutter“. (3)

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), verurteilte die Verwendung des Begriffs Kanonenfutter. „Allein die These ist verwerflich“, sagte er. Belegt aber sei, dass Ostdeutsche „in den Einsätzen überproportional vertreten und somit überproportional belastet sind“. (4)

Der Militärhistoriker Michael Wolffsohn sprach von einer „Ossifizierung“ der Bundeswehr und bezeichnete sie als „Unterschichtenarmee“. „Die gehobenen Kreise drücken sich“. (5)

Sollte das Versprechen Brüderles einer zukünftigen Vollbeschäftigung tatsächlich Realität werden, dürfte es um den Soldatennachwuchs noch erheblich schlechter bestellt sein. Doch dazu wird es wohl nicht kommen.

Zu den fehlenden Soldaten kommt das fehlende Geld

Insgesamt zeichnet sich aus Sicht der Bundeswehr ein äußerst düsteres Zukunftsszenario ab: Für Auslandseinsätze fehlen die Soldaten, die Verpflichtungen in der NATO können nicht mehr erfüllt werden, selbst die Landesverteidigung ist gefährdet. „Der deutsche Militärbeitrag wird weder der Rolle Deutschlands im Bündnis entsprechen noch den nationalen Sicherheitsinteressen genügen“ – dieses Bild wird in einem Papier aus dem Verteidigungsministerium gezeichnet, aus dem die Bild-Zeitung am Donnerstag ausführlich zitierte.

Es befasst sich mit den möglichen Folgen des vom Bundeskabinett verordneten Spardiktats für die Streitkräfte. Angesichts des Sparvolumens von 8,3 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre könnten nur noch 158.000 statt derzeit 226.000 Soldaten finanziert werden, heißt es in dem vertraulichen Papier, dessen Autoren nicht bekannt sind.

Ihre bisherigen Aufgaben könne die Bundeswehr damit nicht mehr erfüllen. „Die ins Auge gefassten Einschnitte werden die Fähigkeiten Deutschlands, mit militärischen Mitteln zur nationalen und internationalen Sicherheitsvorsorge beizutragen, erheblich einschränken“, lautet das Fazit.

Solche Warnungen sind so alt wie der Kabinettsbeschluss zum Sparpaket, nämlich fast ein Jahr. Schon damals wurde die Bündnis- und Einsatzfähigkeit von Experten infrage gestellt. Und schon damals wurden – sogar ganz offiziell – radikale Verkleinerungspläne für die Bundeswehr entworfen. Generalinspekteur Volker Wieker erarbeitete vier Szenarien. Die Minimallösung sah 150.000 Soldaten vor, die vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) favorisierte Variante lief auf 163.500 Soldaten hinaus.

Union und FDP, aber auch der SPD war das deutlich zu wenig. Die Koalition einigte sich schließlich Ende 2010 darauf, dass die Bundeswehr der Zukunft „bis zu 185.000“ Soldaten haben soll. Die Zahl wurde in einem Kabinettsbeschluss festgeschrieben. Dass die 185.000 kaum mit den Sparvorgaben zu vereinbaren ist, war schon damals absehbar. Deswegen wurde geschickt der Zusatz „bis zu“ vorgeschaltet, der ein Zurückrudern ermöglicht.

Der Widerspruch zwischen Finanzvorgaben und beschlossener Truppengröße wurde unter Guttenberg nicht aufgelöst. Das Spardiktat wurde lediglich um ein Jahr gestreckt. Statt bis 2014 müssen die Milliarden-Einsparungen nun bis 2015 erbracht werden. Trotzdem passen die Zahlen nach Ansicht der meisten Experten immer noch nicht zusammen.

Der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat nun bis Anfang Juni Zeit, sie miteinander in Einklang zu bringen. Spätestens dann will er sein Konzept für die Bundeswehrreform vorlegen. Neben den 185.000 Soldaten und den 8,3 Milliarden Euro Einsparungen gibt es noch eine dritte Zahl, mit der er dann operieren muss. Bis zu 10.000 Soldaten sollen gleichzeitig für Einsätze zur Verfügung stehen – derzeit sind es schon 7.000.

De Maizière wird sich in den nächsten Wochen überlegen, was er sich von der Bundeswehr sparen will – und er wird gleichzeitig versuchen, die Sparvorgaben vor dem endgültigen Kabinettsbeschluss über die mittelfristige Finanzplanung Anfang Juli noch zu drücken. Das Ergebnis ist noch völlig offen. „Es ist keinerlei Entscheidung getroffen“, sagte Ministeriumssprecher Stefan Paris am Donnerstag.



Anmerkungen

(1) http://www.hintergrund.de/201102241383/politik/inland/kampf-um-die-koepfe.html

(2) Leonhard, Nina/Werkner, Ines-Jacqueline: Militärsoziologie – Eine Einführung, Seite 261, Wiesbaden 2005.

(3) www.jungewelt.de/aktuell/pdf/index.php?id=3042

(4) http://nachrichten.lvz-online.de/nachrichten/topthema/historiker-bundeswehr-ist-ossifiziert/r-topthema-a-27177.html

(5) ebd.

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