Aufarbeitung der Corona-Krise

Corona-Maßnahmen: Regierungsberater räumt fragwürdige Methoden ein

Soziologie-Professor Heinz Bude: Gehorsam durch „wissenschaftsähnliches Modell“ erreicht / Prognose über zukünftige „Zwangausübung“ gegen Menschen, „die andere Informationen haben“

Heinz Bude im Jahr 2022
Foto: Stephan Röhl/Heinrich-Böll-Stiftung, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)

Der Kasseler Soziologe und frühere Berater der Bundesregierung Heinz Bude hat in einer Debatte erklärt, zu Beginn der Corona-Krise die Bevölkerung mit fragwürdigen Kommunikationsmethoden auf Regierungslinie gebracht zu haben. „Wir mussten ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist“, sagte der Soziologe bereits am 24. Januar bei einer Podiumsdiskussion an der Universität Graz. Gemeinsam mit anderen Sozialwissenschaftlern beriet Bude die Bundesregierung während der Corona-Krise. Zu den Aufgaben der Gruppe im Innenministerium gehörte es, Regierungsentscheidungen vorzubereiten und wissenschaftlich zu begründen.

Bei besagtem Modell habe es sich um den Slogan „Flatten the Curve“ (Die Kurve abflachen) gehandelt, erläuterte Bude. Dies sei kein wissenschaftliches Modell, sondern sehe nur so aus. Die Beratergruppe habe es „nicht selbst erfunden“, sondern von einem Journalisten „geklaut“. Mit diesem Modell habe man die Menschen überzeugt, bei den Corona-Maßnahmen mitzumachen, indem ihnen gesagt worden sei: „wenn ihr schön diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern“, erklärte der Soziologe von der Universität Kassel. Bude wurde auch als Mitautor des sogenannten „Panik-Papiers“ – einem Corona-Strategieplan des Innenministeriums – bekannt. Die Autorengruppe unter Leitung von Staatssekretär Markus Kerber riet darin unter anderem dazu, Kinder mit Schuld- und Angstkommunikation zu schockieren.

Für die Zukunft rechnet Bude mit weiteren „singulären Krisen“ wie Kriegen oder Pandemien, bei denen Regierungen erneut „auf individuelles Verhalten zugreifen“ müssten. Man werde dann „Zwang“ auf Menschen ausüben müssen, die sagen, sie hätten andere Informationen. Dieser Zwang sei legitim. Bude nannte das Beispiel von Evakuierungen bei Extremwetterereignissen. Die entscheidende Frage sei, ob diese Veränderung individuellen Verhaltens hin zu kollektiver Folgebereitschaft in einer liberal-demokratischen Gesellschaft überhaupt möglich sei. Bude stellte die Frage in den Raum, ob hierzu „Angstkommunikation“ eingesetzt werden dürfe.

Bereits im Jahr 2022 habe Bude in einem soziologischen Fachjournal begründet, warum er Angstkommunikation in Krisen empfiehlt, berichtete die Tageszeitung „Die Welt“. (22. März) „Zwangsmaßnahmen wie Ausgangssperren, Schulschließungen und Kontaktreduzierungen” könnten in demokratischen Gesellschaften nur eingeführt werden, wenn Regierungen „sich ein paar Bilder ausdenken, die das Vertrauen der Leute in die Wissenschaft und in wissenschaftliche Modelle ausnutzen, sodass die Leute selbst aus einer Art Einsicht in die wissenschaftlich begründete Notwendigkeit nach Maßnahmen rufen“, fasst der Welt-Artikel Budes Position zusammen.

Der Kasseler Professor sei mit diesem Denken unter seinen Fachkollegen nicht allein, heißt es in dem Artikel weiter. Dass es ein Soziologe wie Heinz Bude mit solch einem Menschenbild in ein Beratungsgremium des Bundesinnenministeriums geschafft habe, sei jedoch überraschend. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt äußerte in einem Kommentar seine Fassungslosigkeit darüber, dass „dieser Sündenfall der Wissenschaft weiterhin nicht wirklich aufgearbeitet wird.“

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