Der Fall Oury Jalloh: Prozess um Feuertod möglicherweise vor Neuauflage
(17.12.2009/dpa/hg)
Der Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle muss möglicherweise neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Donnerstag deutliche Zweifel am Freispruch eines Polizisten durchblicken lassen. Mehrere Richter des 4. Strafsenats wiesen auf Lücken in den Feststellungen des Landgerichts Dessau-Roßlau hin, das im Dezember 2008 einen Dienstgruppenleiter vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen hatte. Die Bundesanwaltschaft forderte eine Bestätigung des Freispruchs, die Vertreter der Nebenklage dessen Aufhebung. Der BGH wird sein Urteil am 7. Januar verkünden – dem fünften Todestag des Sierra Leone stammenden 23-Jährigen.
„Das ist kein bewusstes Zusammentreffen“, beschwichtigte Senatsvorsitzende Ingeborg Tepperwien eine Gruppe von Freunden des Opfers im Gerichtssaal, die den Urteilstermin mit Unmutsäußerungen quittierten. Das Datum ergebe sich aus der Terminlage des Senats und habe keinerlei Symbolwert.
Nach den Erkenntnissen das Landgerichts soll Jalloh – obwohl auf einer Liege festgebunden – mit einem Feuerzeug den Bezug der Pritsche aufgeschmort und den Schaumstoff im Inneren angezündet haben. Das dadurch ausgelöste Alarmsignal des Rauchmelders hat der angeklagte Beamte zunächst mehrfach abgestellt und war erst mit Verzögerung zur Zelle geeilt. „Es ist die Frage, ob dieser Sachverhalt vorstellbar ist“, sagte Tepperwien. Denn die Flammen hätten Jalloh eigentlich starke Schmerzen an der Hand zufügen müssen: „Wenn das Opfer geschrieen hat, hätte man das hören müssen.“
Mit Skepsis betrachtete der BGH auch den vom Landgericht geschilderten Zeitablauf vom Anzünden der Liege bis zur Öffnung der Zelle. Danach hätte der Dienstgruppenleiter den Asylbewerber gut 140 Sekunden nach der „Zündung“ erreichen können, wenn er pflichtgemäß nach dem ersten Alarmsignal zur Zelle gerannt wäre. Nach einem medizinischen Gutachten ist Jalloh aber wahrscheinlich schon 120 Sekunden nach „Brandausbruch“ durch Einatmen der 800 Grad heißen Dämpfe gestorben. Damit, so die Schlussfolgerung des Landgerichts, wäre er auch bei ordnungsgemäßem Verhalten zu spät gekommen.
Der Senat scheint jedoch zu bezweifeln, dass mit „Zündung“ und „Brandausbruch“ wirklich dasselbe gemeint ist. Denn falls der Rauchmelder nicht erst auf die lodernden Flammen, sondern bereits auf die ersten Zündversuche reagiert habe, dann verlängere sich die Zeitspanne einer möglichen Rettung, sagte Tepperwien. Die im Urteil enthaltenen Angaben der Sachverständigen seien unklar, merkte auch Richter Gerhard Athing an: „Wie die Versuchsanordnung war, worauf da abgestellt wurde, kann ich den Ausführungen nicht entnehmen.“
Der Fall hatte für heftige Kritik von Menschenrechtlern gesorgt; bei der Urteilsverkündung im Dezember 2008 kam zu einem Tumult im Gerichtssaal. Das Landgericht hatte seinerzeit in der mündlichen Urteilsverkündung Falschaussagen von Polizisten harsch kritisiert. „Davon findet sich im schriftlichen Urteil kaum etwas“, sagte Tepperwien. Der BGH müsse sich jedoch allein ans schriftliche Urteil halten.