Deutsche Soldaten beschießen afghanischen Zivilisten

(15.1.2010/dpa/hg)

Deutsche Soldaten haben am Freitag in der nordafghanischen Provinz Kundus einen afghanischen Zivilisten beschossen und verletzt. Der Mann sei mit seinem Wagen auf die Soldaten zugefahren und habe trotz aller Warnsignale nicht gebremst, sagte Bundeswehrsprecher Jürgen Mertins der Deutschen Presse-Agentur dpa in Kundus. Der Zivilist sei im Wiederaufbauteam in Kundus operiert worden. Zu dem Vorfall sei es in der Unruheprovinz Char Darah zehn Kilometer westlich des Bundeswehrlagers gekommen.

Für das Bundeswehrcamp in Kundus wurde am Nachmitag Raketenwarnung ausgerufen. Zunächst kam es am Freitag aber nicht zu einem Angriff. Der letzte Raketenangriff auf das Feldlager liegt nach Angaben der Bundeswehr mehr als ein Vierteljahr zurück. Im Großraum Kundus wurden am Freitag mehrere Feuergefechte zwischen afghanischen Sicherheitskräften und Aufständischen gemeldet. Deutsche Soldaten waren nach Angaben der Bundeswehr nicht in Kämpfe verwickelt. Angaben über eventuelle Opfer lagen zunächst nicht vor.

Am Bundeswehr-Außenposten im nordostafghanischen Taloqan wurde am Freitag ein deutscher Soldat verletzt. Mertins sagte, es habe sich weder um Feindbeschuss noch um einen Anschlag gehandelt. Es sei unklar, wie sich der Mann verletzt habe, der zur Behandlung ins deutsche Feldlager in Masar-i-Scharif geflogen worden sei. Er schwebe nicht in Lebensgefahr. In Char Darah und an anderen Orten im Großraum Kundus kam es am Freitag zu Feuergefechten zwischen afghanischen Sicherheitskräften und Aufständischen. Deutsche Soldaten waren nach Angaben der Bundeswehr nicht in die Kämpfe verwickelt.

Bei einem Raketeneinschlag in Char Darah wurden nach Angaben von Distriktgouverneur Abdul Wahid Omarchel drei Zivilisten getötet, darunter zwei Frauen. Omarchel sagte, es sei unklar, von welcher Konfliktpartei die Rakete abgefeuert worden sei. Ein Dorfbewohner namens Gholam Sakhi sagte der dpa, afghanische Soldaten hätten die Rakete abgeschossen. «Die Taliban haben hier die Kontrolle, warum sollten sie auf ihre eigene Gegend zielen?»

In der südafghanischen Provinz Kandahar erschossen Soldaten der Internationalen Schutztruppe ISAF nach einem Bombenanschlag zwei Männer. Die Afghanen seien nach der Detonation auf Motorrädern in hoher Geschwindigkeit auf die Soldaten zugefahren, die daraufhin das Feuer eröffnet hätten, teilte die ISAF mit. Nach Angaben der Polizei handelte es sich bei den Toten um Zivilisten. Bei einem weiteren Anschlag in Kandahar wurden am Freitag fünf Zivilisten getötet. Die Polizei machte die Taliban verantwortlich.

Der Gouverneur von Kundus hat den bisherigen Einsatz der Bundeswehr als «wirkungslos» kritisiert. Angesichts der schlechten Sicherheitslage in der Region forderte Gouverneur Mohammad Omar in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Kundus mehr amerikanisches Engagement. «Wir haben einen Feind und wissen, dass er uns töten will», sagte er mit Blick auf die Taliban. «Unsere (deutschen) Freunde beobachten das und retten uns nicht. Nun müssen wir unsere anderen (amerikanischen) Freunde bitten, uns zu retten.»

Mohammad Omar, der stets “mehr militärisches Engagement” einfordert, war es auch, der für die Rechtfertigungs- und Vertuschungsstrategie des Bundesverteidigungsministerium bei dem Kundus-Massaker als wichtigster Kronzeuge fungiert. (vgl. Artikel-Links unten) Er wird als authentische, ortskundige afghanische Stimme zitiert, deren Worten die deutsche Öffentlichkeit Glauben schenken soll. Dabei hatte die Bundesregierung noch im Mai 2009 seine Absetzung gefordert, berichtete die junge Welt. Bevor Omar sich den neuen Verhältnissen anpasste, war er selbst in Kriegsverbrechen verstrickt. So habe er der aus Saudi-Arabien finanzierten fundamentalistischen Organisation Ittehad-e-Islami angehört, die im afghanischen Bürgerkrieg der 90er Jahre eine üble Rolle gespielt hatte.

In dem aktuellen Gespräch mit dpa wiederholte Omar seine Version, dass der von der Bundeswehr angeordnete Luftangriff auf Zivilisten im vergangenen September «richtig» gewesensei. Bei den von dem Bombardement getöteten Zivilisten habe es sich um Angehörige von Aufständischen gehandelt, so Omar.

Vgl. auch:
http://www.hintergrund.de/index.php/globales/kriege/sind-afghanische-menschenleben-weniger-wert-als-deutsche.html
http://www.hintergrund.de/index.php/globales/kriege/wie-die-bundeswehr-afghanische-regierungsstellen-in-ihre- propagandastrategie-einspannte.html
http://www.hintergrund.de/index.php/politik/inland/der-kriegsverbrecher-als-kronzeuge.html

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