EU

Erste Rufe nach Sanktionen gegen die Türkei

(07.11.2016 hg/dpa)

Im Streit zwischen der EU und der türkischen Regierung verschärft sich die Rhetorik – beide Seiten ziehen Nazi-Vergleiche heran. So verglich Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn die jüngsten Entwicklungen in der Türkei mit denen in der Nazi-Zeit und brachte dabei mögliche Wirtschaftssanktionen gegen Ankara ins Spiel. Zum Vorgehen der Regierung unter dem von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ausgerufenen Ausnahmezustand sagte Asselborn am Montag im Deutschlandfunk: „Das sind Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Nazi-Herrschaft benutzt wurden.“ Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Bundesregierung werde sich an einer „Sanktionsdebatte“ jetzt nicht beteiligen. Ungeachtet der voranschreitenden Ausschaltung der Opposition in der Türkei will Berlin die Zusammenarbeit mit Ankara fortsetzen.

Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, verwies auf die engen Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei. Die Hinwendung der Türkei zu Europa in den vergangenen Jahren habe eine „unglaubliche Dynamik“ gebracht, von der beide Seiten profitierten. „Wir haben die Hoffnung und den Wunsch, dass diese Hinwendung zu Europa erhalten bleibt und da keine Abstriche gemacht werden müssen.“

Der türkische EU-Minister Ömer Celik verteidigte die Verhaftungswelle in seinem Land gegen Kritik und verglich das Vorgehen seiner Regierung mit dem „Kampf gegen die Nazis“. Mit Blick auf die in der Türkei inzwischen als „Fetö“ bezeichnete Gülen-Bewegung sagte er: „Neben der Fetö-Terrororganisation stehen die Nazis wie Lehrlinge da.“ Die Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich.

Celik sprach sich nach einem Treffen mit EU-Botschaftern in Ankara für „starke Beziehungen“ zur EU und für eine EU-Vollmitgliedschaft seines Landes aus. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hält dagegen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen für denkbar. „Ein Land, das die Opposition ins Gefängnis steckt, kann nicht erwarten, dass die EU-Verhandlungen offen weitergeführt werden“, sagte Oppermann in Berlin. „Da kann die EU nicht zur Tagesordnung übergehen.“

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sprach sich erneut für einen Abbruch jeglicher Beitrittsgespräche mit der Türkei aus. „Ein Land, das versucht, Journalisten und Oppositionsführer einzusperren, hat in der Europäischen Union keinen Platz“, sagte der Politiker der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Ö1-Radio. „Für mich ist die rote Linie längst überschritten.“

Zu möglichen Sanktionen sagte Asselborn: „50 Prozent der Exporte der Türkei gehen in die Europäische Union. (…) 60 Prozent der Investitionen in die Türkei kommen aus der Europäischen Union. Das ist ein absolutes Druckmittel. Und in einem gewissen Moment kommen wir nicht daran vorbei, dieses Druckmittel einzusetzen, um die unsägliche Lage der Menschenrechte zu konterkarieren.“

Erdoğan hatte am Sonntag deutlich gemacht, dass ihn Kritik aus dem Ausland nicht interessiere. „Es kümmert mich überhaupt gar nicht, ob sie mich einen Diktator oder Ähnliches nennen. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Wichtig ist, was mein Volk sagt.“

Trotz internationaler Kritik wurde in der Türkei ein weiterer Abgeordneter der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP festgenommen. Der Parlamentarier Nihat Akdogan sei in seinem Wahlkreis im südosttürkischen Hakkari gefasst worden, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus in Ankara. Bei der jüngsten Verhaftungswelle handele es sich um einen „zu hundert Prozent rechtmäßigen Vorgang“ der Justiz, in den sich die Politik nicht einmischen könne.

Am Freitag war gegen die beiden HDP-Chefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie gegen sieben weitere HDP-Abgeordnete Untersuchungshaft wegen Terrorvorwürfen verhängt worden. Am Samstag wurden ebenfalls wegen Terrorvorwürfen Haftbefehle gegen den Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet, Murat Sabuncu, und acht seiner Mitarbeiter verhängt. Seit dem Putschversuch sitzen 36 000 Verdächtige in Untersuchungshaft.

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