Es geht auch anders: Ungarn widersetzt sich

(20.07.2010/dpa)

Ungarn will keine weiteren Sparmaßnahmen zu Lasten der Bevölkerung einleiten und besteht trotz Widerstands des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU auf der Einführung einer Bankensteuer. Das verkündete der ungarische Wirtschaftsminister György Matolcsy am Montag, nachdem am Wochenende die Verhandlungen zwischen Ungarn, IWF und EU nach zweiwöchigen Gesprächen in Budapest abgebrochen worden waren. EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte den Sparkurs der Regierung als nicht ausreichend bezeichnet.

Matolcsy betonte, die Verhandlungen seien nicht gescheitert, sondern nur „ergebnislos“ beendet worden. Als erste Reaktion der Finanzmärkte brach der Aktienindex BUX der Budapester Börse  am Montag zu Handelsbeginn ein und lag am Nachmittag noch mit zwei Prozent im Minus. Auch die Aktienmärkte in Wien waren von der Entscheidung der ungarischen Regierung betroffen und gaben nach. Schließlich gehören Österreichs Finanzhäuser zu den größten Kreditgebern in Osteuropa. Handelsblatt online sprach von einem „Tiefenrausch“ der ungarischen und österreichischen Bankkurse. Die Kurse der größten ungarischen Bank OTP und der österreichischen Raiffeisen International gaben fünf Prozent nach.

Im Sog der weltweiten Finanzkrise war Ungarn vor knapp zwei Jahren als erstes EU-Mitglied an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten. IWF, Weltbank und EU halfen im Oktober 2008 mit einem Kredit von 20 Milliarden Euro.

Bei den nun abgebrochenen Gesprächen war es um die Auszahlung der nächsten Rate des Kredits gegangen, die von der Budgetpolitik des Landes abhängig gemacht wird. Der IWF verlangt, dass Ungarn sein diesjähriges Defizit auf 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzt und 2011 auf die für den Beitritt zur Eurozone gültige Obergrenze von 3,0 Prozent.

Unter dem Diktat der EU und des IWF hatte die Vorgängerregierung durch eine rigorose Sparpolitik das Defizit bereits von 9,8 % im Jahr 2006 auf 3,8 % im Jahr 2008 verringert. Ministerpräsident Viktor Orban forderte nun von IWF und EU, größere Defizite zuzulassen.

Außenminister Janos Martonyi bezeichnete die Streitpunkte aber als „nebensächliche Dispute“. Es sei gar nicht um die Haltbarkeit der Defizitmarge gegangen, sondern ausschließlich um die Bankbesteuerung. Er sei „überrascht“, dass der IWF sich auf die Seite der im Besitz von Ausländern befindlichen Banken Ungarns stelle.

Überraschend ist eher, dass sich Martonyi überrascht zeigt, schließlich waren IWF-Kredite schon immer mit „Strukturanpassungsmaßnahmen“ verbunden, einem Euphemismus für die verstärkte Umverteilung von unten nach oben.

Martonyis Kabinettskollege Matolcsy schloss weitere Verhandlungen mit IWF und EU nicht aus, jedoch könne es dabei nur darum gehen, ob die Bankensteuer zwei oder drei Jahre lang in Kraft bleiben soll. Ungarn erwarte durch die Maßnahmen der neuen Regierung in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent, nachdem man zunächst mit einem Minus von 0,4 Prozent gerechnet habe.

Es dürfte hauptsächlich zwei Gründe für die Haltung der konservativen ungarischen Regierung geben. Zum einen hatte sie vor der Wahl versprochen, keine weiteren Sparmaßnahmen umzusetzen. Und da im Oktober dieses Jahres landesweit Kommunalwahlen stattfinden, kann sie auch nicht einfach nach der Devise „was-interessiert-mich-mein-Geschwätz-von-gestern“ handeln. Zum Zweiten befürchtet sie, dass die zaghafte Erholung der Wirtschaft durch weitere Einsparungen gefährdet werden könnte. So betonte Matolcsy, weitere Einsparungen kämen nicht infrage, weil die Sparpolitik der in diesem Frühjahr abgewählten „sozialistischen“ Regierung Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit des Landes beeinträchtigt hätten. Von der Bankensteuer erwarte das Land Einnahmen von 200 Milliarden Forint (714 Mio Euro).

Der österreichische Standard erklärte Ungarn daraufhin zum „sympathischen, gallischen Dorf“, und schrieb: „Die deutsche Bankensteuer soll etwa gleich viel ins Budget spülen, nur dass diese Volkswirtschaft fast 20 mal größer ist als die ungarische, womit die ganze Aufregung erklärt ist.“

Nach Einschätzung von Andras Vertes, Präsident des ungarischen Marktforschungsinstitut GKI, gerät Ungarns Zahlungsfähigkeit durch den Abbruch des Sparprogramms zwar nicht sofort in Gefahr, mittelfristig werde das Land aber das Vertrauen der internationalen Märkte und Finanzinstitutionen verlieren. Zu erwarten seien zudem kurzfristig eine Schwächung des Forint und die Erhöhung der Zinsen für Staatsschulden.

Vertes’ Äußerung ist nichts anderes als eine verklausulierte Kampfansage des internationalen Finanzkapitals gegenüber der ungarischen Regierung. Es bleibt zu hoffen, dass diese nicht klein bei gibt und sich weiteren Forderungen seitens IWF und EU widersetzt, die darauf abzielen, die Krisenlast auf die Bevölkerung abzuwälzen und die Banken, die für die Krise mitverantwortlich sind, aus der Verantwortung zu entlassen.

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