Experte fordert besseren Schutz für Whistleblower

(02.04.2012/hg)

„In Deutschland sind Whistleblower, also Beschäftigte, die auf Rechtsverletzungen, gravierende Missstände oder erhebliche Gefahren / Risiken für wichtige Rechtsgüter in ihrem Betrieb/ Unternehmen, ihrer Dienststelle oder ihrer sonstigen Organisation intern oder extern gegenüber Behörden oder in der Öffentlichkeit hinweisen, bisher schlechter geschützt als in den USA, im Vereinigten Königreich und anderen Staaten“ schreibt Dr. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesgerichtshof, als Sachverständiger in einer Anhörung des Deutschen Bundestages. (1)
Deiseroth gilt als Experte auf dem Gebiet und hat schon mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht.

Die Bundesregierung hatte sich auf dem G20-Gipfel in Seoul im November 2010 dazu verpflichtet, „bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen und umzusetzen, um Hinweisgeber, die gutgläubig einen Verdacht auf Korruption melden, vor Diskriminierung und Vergeltungsmaßnahmen zu schützen“. (2)

Doch den Worten folgten bislang keine Taten. Vorschläge für einen Gesetzentwurf kamen nur aus den Reihen der Opposition. So legten Die Grünen vor einem halben Jahr einen Entwurf vor, mit dem sie die Rechte von Hinweisgebern stärken wollen. (3)

Die grüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Hönlinger warf der Bundesregierung Untätigkeit vor. Sie habe sich noch nicht einmal entschieden, ob sie den Whistleblower-Schutz stärken wolle oder nicht. „Das ist – auch angesichts des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht hinnehmbar“, so Hönlinger in einer Parlamentsdebatte im November letzten Jahres. (4)

Die Linke stellte ihren eigenen Entwurf bereits im Juli 2011 vor. (5) „Wir meinen, dass Menschen, die den Mut und die Courage haben, auf Missstände aufmerksam zu machen, dafür nicht benachteiligt oder gar bestraft werden dürfen“, sagte Karin Binder, Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken. Die Benachteiligung von Hinweisgebern sei in unserer Gesellschaft aber fast die Regel. „Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen damit rechnen, dass sie verleumdet werden, dass sie gemobbt werden und dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Dagegen können sie zwar klagen, aber unsere Arbeitsgerichte versagen ihnen häufig den notwendigen Rückhalt und Schutz.“ (6)

In einer Rede vor dem Parlament im September 2011 machte Binder auch auf das Schicksal des derzeit wohl bekanntesten Whistleblowers aufmerksam: „Bradley Manning. Manning war im Irak stationiert. Er wurde im Mai 2010 unter dem Verdacht verhaftet, als Whistleblower der Internetseite WikiLeaks Videos zugespielt zu haben. Darunter war jenes weltweit bekannt gewordene Video des US-Hubschrauberangriffs im Irak. Die Zuschauer mussten zusehen, wie die Besatzung gezielt auf Zivilisten schoss und sie ermordete. Der junge Mann, dem dafür ein Preis für Zivilcourage gebührt, sitzt stattdessen schon über ein Jahr in Haft, zeitweilig sogar in Isolationshaft. Ihm wurde die Kleidung abgenommen. Er musste nackt auf dem Boden schlafen. Er soll vor ein Militärgericht gestellt werden. Das kann für ihn die Todesstrafe bedeuten.“ (7)

Sie rief ihre Kollegen im Bundestag dazu auf, sich für das Leben des 24-Jährigen einzusetzen.

Die Sozialdemokraten zogen im Februar dieses Jahres mit ihrem Entwurf nach. (8) „Als SPD wollen wir eine einheitliche rechtliche Regelung, wer unter welchen Umständen wen über Missstände informieren darf“, so die SPD- Abgeordnete Anette Kramme. (9)

In seiner Stellungnahme weist Dr. Deiseroth darauf hin, dass es nach geltender Rechtsprechung in Deutschland keinen „hinreichenden Schutz von Hinweisgebern / Whistleblowern“ gebe.
„Vor allem die Skandale in den Bereichen des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes (u.a. BSE, Gammelfleisch, Müllverbrennung, Babynahrung, mangelhafte Silikon-Brustimplantate), der großflächige, vielfach kaum aufdeckbare Missbrauch sensibler personenbezogener Daten in der Wirtschaft sowie die malade Situation vieler Pflegebedürftiger in Krankenhäusern und stationären Einrichtungen haben in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar gemacht, wie wichtig Insider sind, die über gravierende Missstände die Alarmglocke läuten, in dem sie sich an zuständige Stellen oder notfalls auch an die Öffentlichkeit wenden, um Abhilfe zu erreichen,“ schreibt Deiseroth. (10)

Wie die Leipziger Internet Zeitung schreibt, fordert der Experte im Wesentlichen drei Dinge zum Schutz von Whisteblowern: „Den Schutz für das Äußern kritischer Meinungen von Beschäftigten, den Schutz von Beschäftigten für den Fall der Weitergabe von betriebsinternen Informationen über Rechtsverletzungen, gravierende Missstände sowie schwerwiegende Gefahren und Risiken für gewichtige Rechtsgüter in ihrem beruflichen Wirkungskreis an Behörden und Dritte, und schließlich eine Regelung über ein Leistungsverweigerungsrecht von Beschäftigten bei Straftaten und gravierenden Rechtsverletzungen.“ (11)

Um die Stellung von Whistleblowern – wenn schon nicht rechtlich, so zumindest symbolisch – zu stärken, verleiht die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Deutsche Sektion der Juristenvereinigung IALANA (Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemischen Waffen) in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften jährlich einen Whistleblower-Preis. (12)

Anmerkungen

(1) http://www.vdw-ev.de/images/stories/vdwdokumente/whistleblower/1711788neu_deiseroth.pdf

(2) ebd.

(3) http://gruener-gesetzentwurf.de/wp-content/uploads/2011/12/20111206_GE_Whistleblowing.pdf

(4) https://www.gruene-bundestag.de/cms/bundestagsreden/dok/397/397200.bundesministerium_der_justiz_und_bundesv-print~1.html

(5) http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/064/1706492.pdf

(6) http://www.linksfraktion.de/reden/bedeutung-whistleblowing-gesellschaft-anerkennen/

(7) ebd.

(8) http://www.warnungsdienst.de/Whistleblowing-Gesetzentwurf.pdf

(9) http://dfxnet.de/spd/starnberg/tutzing/gesetzentwurf-zum-whistleblowing/

(10) http://www.vdw-ev.de/images/stories/vdwdokumente/whistleblower/1711788neu_deiseroth.pdf

(11) http://www.l-iz.de/Politik/Engagement/2012/03/Whistleblowing-Besseren-Schutz-von-Hinweisgebern-40986.html

(12) Siehe: ttp://www.hintergrund.de/201106061576/politik/inland/verleihung-des-whistleblower-preises-2011.html

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