Freiflug und Almosen: Frankreichs Antiziganismus
(19.08.2010/dpa)
Frankreich hat mit der Ausweisung von bis zu 700 Roma begonnen. In den vergangenen Wochen wurden bereits mehr als 50 Roma-Lager aufgelöst. Und die Kritik am französischen Vorgehen wächst.
Einen freien Heimflug und 1000 Euro bekommt eine sechsköpfige Romafamilie, die sich aus Frankreich nach Rumänien zurückbringen lässt. 300 Euro gibt es für Erwachsene, 100 Euro pro Kind. Eine Busfahrt von Bukarest nach Paris kostet pro Person etwa 60 Euro. Mit ihren EU-Pässen könnten rumänische oder bulgarische Roma ungehindert wieder nach Frankreich reisen. Die französische Regierung lässt sich die Rückführung der Roma etwas kosten. Kritiker sehen darin eine Investition in rechte Wählerstimmen und ein Ablenkungsmanöver der Regierung angesichts peinlicher Affären.
Nicolas Sarkozy hofft auf öffentlichen Beifall, wenn er gegen Roma vorgeht und auch Familienstaatssekretärin Nadine Morano schien auf Vorurteile zu setzen, als sie öffentlich behauptete, dass manche Roma ihre Kinder unter Drogen setzen würden, um mit ihnen betteln zu gehen.
Frankreichs rechtsextreme Politiker fühlen sich in ihrer Haltung bestätigt – und fürchten nicht einmal eine Abwanderung von Wählern. Denen sei das Original sicher lieber als die Kopie, meinte kürzlich süffisant die Vizechefin von Front National, Marine Le Pen.
Anderswo wird die Kritik immer lauter – bis in die eigenen Reihen hinein, und zunehmend auch auf internationaler Ebene. „Es besteht das Risiko populistischer Entgleisungen und fremdenfeindlicher Reaktionen“, sagte Robert Kushen vom Europäischen Zentrum für die Rechte der Roma der Zeitung Libération. „Die französische Regierung instrumentalisiert die Roma, um mit der Faust auf den Tisch zu hauen und ihre Kompetenz bei Recht und Ordnung zu demonstrieren.“ Er erinnerte an das Vorgehen des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi vor zwei Jahren gegen Roma in Italien.
Die EU-Kommission wies darauf hin, dass Frankreich sich bei der Ausweisung von EU-Bürgern an die Regeln halten müsse. So müsse beispielsweise jeder Einzelfall geprüft werden. Man verfolge die Aktionen „sehr aufmerksam“, hieß es aus Brüssel.
Es ist keineswegs die erste Ausweisung von Roma in diesem Jahr – und auch nicht das erste Mal, dass die Regierung dafür Flugzeuge chartert. Dass ausgerechnet diese Aktion so viel Aufsehen erregt, liegt nicht zuletzt daran, dass während der französischen Sommerferien viele politische Themen brachliegen. Aber es könnte auch damit zu tun haben, dass die Regierung ungeachtet der Kritik das Thema bewusst am Köcheln hält. Zeitungen, die ihre Seiten mit Reportagen aus dem abgerissenen Romalager füllen, haben gleich viel weniger Platz für Nachforschungen zur Bettencourt-Affäre um Steuerhinterziehung und angeblich illegale Parteispenden.