Griechenland: Vom Schuldensünder zum Musterknaben

(05.08.2010/dpa)

Das hochverschuldete Griechenland kann fest mit frischem Geld rechnen. Die anderen Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds (IWF) können im September wie geplant rund 9 Milliarden Euro Kredite an Athen auszahlen. Diese Empfehlung geben Experten von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF in einer heute veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme. Die Institutionen müssen dies noch offiziell beschließen – der positive Befund ist Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Tranche. Griechenland spare vorbildlich, finden die Geldgeber.

Es ist die zweite Rate aus dem 110 Milliarden Euro schweren Kreditschirm. Insgesamt sind die internationalen Kontrolleure mit dem Sparkurs Griechenlands zufrieden – doch sie fordern den weiteren sozialen Kahlschlag. Dazu gehören die Öffnung abgeschotteter Wirtschaftsbereiche sowie die Privatisierung von Staatsunternehmen.

„Das Programm hatte einen sehr starken Start“, bilanzierten die Kontrolleure nach einer Prüfung des Spar- und Reformprogramms vor Ort. Die vereinbarten Maßnahmen würden wie geplant in die Tat umgesetzt. „Allerdings bestehen weiterhin große Herausforderungen und Risiken.“

Das größte Risiko in den Planspielen der Finanzelite dürfte vor allem das griechische Volk selbst sein, das sich der weiteren Umverteilung von unten nach oben u.a. mit Generalstreiks widersetzt – allerdings bislang nur mit mäßigem Erfolg.

„Die Herausforderung der Regierung wird sein, den Widerstand von starken Interessengruppen zu brechen“, schreiben die „Experten“. Was nichts anderes ist als eine unverhohlene Kampfansage gegenüber den griechischen Gewerkschaften. Der Widerstand von „starken Interessengruppen“ sei vor allem ein Problem bei der Öffnung abgeschotteter Berufszweige, der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie und der Weiterentwicklung des Tourismus und des Einzelhandels. Vor wenigen Tagen hatte ein Streik der Tank- und Lastwagenfahrer das Land lahmgelegt. Sie hatten gegen die Öffnung ihres Berufsstandes protestiert. Wobei „Öffnung“ hier ein Euphemismus für Enteignung ist. Denn bislang war es so, dass man nur mit einer besonderen staatlichen Lizenz Lastwagen fahren durfte. Und diese waren sehr rar, weil sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr neu ausgegeben wurden und somit auch entsprechend teuer sind. Sechsstellige Beträge musste ein Grieche investieren, um an eine Lizenz zu gelangen. Dafür war diese Investition auch relativ risikoarm, da man die Lizenz jederzeit aufgrund der hohen Nachfrage ohne Wertverlust veräußern konnte. Wenn aber die Regierung nun den Berufsstand „öffnet“, also keine Lizenzen mehr erforderlich sind, hat das zur Folge, dass die bisherigen Lizenzen über Nacht fast wertlos werden – und ihre Inhaber damit auch das in sie gesteckte Vermögen verlieren.

Nach übereinstimmenden Berichten der griechischen Presse haben die Finanz-Kontrolleure die griechische Regierung aufgefordert, die Privatisierung defizitärer staatlicher Unternehmen zu beschleunigen. Auf einer Pressekonferenz in Athen wollten sich die „Experten“ dazu nicht äußern. Diese Entscheidung „trifft die Regierung, nicht die Kontrolleure“, lautete die Antwort.

Im Mittelpunkt der zusätzlichen Reformen soll stehen, die Unterstützung für staatliche Krankenhäuser, die defizitäre Eisenbahn und die Stromgesellschaft sowie zahlreiche defizitäre Städte und Gemeinden, die bisher aus dem Staatshaushalt mitfinanziert werden, abzubauen. Maßnahmen also, die einen direkten Angriff auf die Grundbedürfnisse der Massen darstellen. Profiteure der sozialen Misere sind in erster Linie internationale Banken, bei denen der griechische Staat in der Kreide steht.

Im Mai hatten die Euro-Länder und der IWF Griechenland in letzter Minute vor dem Staatsbankrott bewahrt, der zur Folge gehabt hätte, dass Griechenland die Schulden nicht weiter hätte bedienen können, wodurch die Banken die Verluste selbst hätten tragen müssen. Zur Rettung seiner Staatsfinanzen erhielt Athen eine erste Finanzspritze von 5,5 Milliarden Euro vom IWF und 14,5 Milliarden Euro von den Euro-Ländern. Das Rettungspaket von insgesamt 110 Milliarden Euro ist auf drei Jahre angelegt, die nächste Tranche soll am 13. September fließen. „Wir erwarten, dass auf der Basis dieser positiven Bewertung die Auszahlung planmäßig im September starten kann“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel.

Nach Ansicht der Kontrolleure ist die griechische Regierung nach wie vor nicht in der Lage, sich selbst größere Kredite an den internationalen Kapitalmärkten zu beschaffen. „Aber die Marktsituation scheint sich zu ändern“, schrieben die Experten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde im laufenden Jahr wie erwartet um vier Prozent schrumpfen. Die Inflation werde höher als erwartet sein. Das Land treibt also weiter in den Abgrund – eine merkwürdige Form der Rettung.

Unterdessen wurde in Athen wegen einer Bombendrohung das Finanzministerium evakuiert. Zum Zeitpunkt der Drohung sollte Finanzminister Giorgos Papakonstantinou eine Pressekonferenz geben. In Griechenland kommt es immer wieder zu ähnlichen Bombendrohungen. Experten durchsuchten das Gebäude im Zentrum Athens.

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