Irak vor der Spaltung?

(21.12.2011/dpa)

Nur wenige Tage nach dem Abzug der US-Armee ist im Irak der Machtkampf zwischen Schiiten und Sunniten voll entbrannt. Ministerpräsident Nuri Al-Maliki droht jetzt mit Rücktritt, um die Entlassung seines Stellvertreters Salih Al-Mutlak durchzusetzen. Der hatte ihn mit dem 2003 vom US-Militär gestürzten Diktator Saddam Hussein verglichen. Al-Maliki gehört zur Mehrheit der Muslime schiitischer Glaubensrichtung und Al-Mutlak zur sunnitischen Minderheit. Staatspräsident Dschalal Talabani, ein Kurde, rief am Dienstag alle Parteivorsitzenden auf, sich zu beherrschen, um keine Krise zu provozieren.

Der sunnitische Vizepräsident Tarik Al-Haschimi floh unterdessen in den Norden nach Kurdistan, um einer Verhaftung zu entgehen. Der Oberste Richterrat in Bagdad hatte am Montag einen – womöglich ebenfalls von Al-Maliki und den Schiiten-Parteien angeforderten – Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Al-Haschimi wird vorgeworfen, er sei in einen versuchten Anschlag auf den Regierungschef verstrickt.

Die USA hatten am vergangenen Wochenende ihren fast neunjährigen Militäreinsatz im Irak beendet.

Ein Parteigenosse Al-Malikis erklärte gegenüber der Bagdader Tageszeitung Al-Mada, der Regierungschef habe ihm gesagt, wenn das Parlament dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Salih Al-Mutlak nicht das Vertrauen entziehen sollte, werde er selbst binnen zwei Tagen sein Amt niederlegen.

Al-Mutlak gehört ebenso wie Al-Haschimi zur säkularen Allianz Al-Irakija. Al-Mutlak hatte vor einigen Tagen erklärt, Al-Maliki sei ein schlimmerer Diktator als Saddam Hussein, denn der habe im Gegensatz zu Al-Maliki wenigstens die Infrastruktur des Iraks verbessert.

Al-Haschimi werde vorgeworfen, er sei an einem versuchten Anschlag auf Al-Maliki Ende November beteiligt gewesen, meldete das Staatsfernsehen. Der staatliche Sender Al-Irakija strahlte zudem „Geständnisse“ ehemaliger Leibwächter Al-Haschimis aus, die berichteten, er habe sie zu Terroranschlägen angestiftet. Ob die Ex-Leibwächter logen, die Wahrheit sagten oder durch Folter zur Falschaussage gezwungen wurden, war nicht zu erkennen.

Al-Haschimi sagte vor der Presse in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebietes, Talabani habe ihm versprochen, ihn zu schützen. Er sei bereit, sich der Justiz im Kurdengebiet zu stellen, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften, aber nicht in Bagdad.

Der Vizepräsident warf dem Schiiten Al-Maliki vor, dieser habe nun eine Kampagne gegen die anderen Volksgruppen gestartet. Dies sei eine Reaktion auf die Entwicklung in den Provinzen Salaheddin und Dijala. Die Räte dieser beiden nördlich von Bagdad gelegenen Provinzen hatten in den vergangenen Wochen erklärt, sie wollten künftig autonom sein, so wie die Kurden in den Nordprovinzen Erbil, Dohuk und Suleimanija.

Internationale Medien verlautbaren bereits, dass der Irak vor einer „Spaltung“ stehe: „Die Kurden haben sich längst ihr eigenes kleines Reich im Norden geschaffen und wollen mit der Regierung in Bagdad möglichst wenig zu tun haben. Die Schiiten blicken nach dem Abzug der US-Amerikaner nach Teheran, die Sunnis auf ihre arabischen Nachbarn“, schreibt beispielsweise Die Presse in Wien.

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