Kirgistan erwartet russische Truppen - Russland hat angeforderte Militärhilfe im Krisenherd zugesagt

(14.06.2010/dpa)

Mehr als 120 Tote, vielleicht auch über 700, brennende Häuser, eine hilflose Armee – jetzt hofft die Übergangsregierung in Kirgistan auf die Hilfe Russlands. Russische Soldaten sollen die schwersten Unruhen seit 20 Jahren beenden. Die Chancen dafür stehen gut.

Für ein rasches Ende der bislang blutigsten Unruhen im Süden von Kirgistan schließt Russland nun doch einen Militäreinsatz in dem zentralasiatischen Land mehr nicht aus. Der russische Sicherheitsrats-Chef Nikolai Patruschew sagte am Montag, dass ein von Russland geführtes Militärbündnis einen Anti-Krisen-Plan ausgearbeitet habe. Ziel sei, die tagelangen ethnischen Zusammenstöße zwischen Kirgisen und Usbeken in Dschalal-Abad und Osch zu beenden. Die Zahl der Toten stieg nach offiziellen Angaben auf rund 120, die usbekische Minderheit sprach von mehr als 700 Todesopfern. Tausende Menschen wurden verletzt, etwa 100.000 Usbeken sind auf der Flucht.

Für den Einsatz russischer Friedenstruppen müssten nun die Staatschefs der 1992 gegründeten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) grünes Licht geben, sagte Patruschew nach Angaben der Agentur Interfax. Die russischen Soldaten sollen neue ethnische Zusammenstöße zwischen Kirgisen und Usbeken in den südlichen Städten Osch und Dschalal-Abad verhindern. Bei ähnlich schweren Zusammenstößen hatten zuletzt sowjetischen Einheiten vor 20 Jahren in der Region für Ordnung gesorgt.

Während die kirgisische Regierung von ersten Stabilisierungserfolgen sprach, berichteten Augenzeugen weiter von Plünderungen, Brandschatzungen und Schüssen in den Straßen von Dschalal-Abad und Osch. Das kirgisische Militär teilte mit, dass mehrere Heckenschützen in Tarnuniformen sowie Provokateure festgenommen worden seien. Sie sollen durch gezielte Morde unter Kirgisen und Usbeken die beiden seit langem in Spannung lebenden Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgebracht haben. Es sind die schwersten Unruhen seit 20 Jahren.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bezeichnete die Lage als „sehr gefährlich“. „Im Moment ist es am wichtigsten, wieder Ruhe in die Region zu bringen“, sagte Ashton in Luxemburg. In Kirgistan wollten sich Beobachter der Vereinten Nationen und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) ein Bild von der „humanitären Katastrophe“ machen. Helfer richteten im Fergana-Tal Zeltlager für die Flüchtlinge ein. Das Rote Kreuz beklagte, dass viele Leichen wahllos begraben würden, ohne vorherige Identifizierung.

Um der Lage in dem völlig verarmten Hochgebirgsland an der Grenze zu China wieder Herr zu werden, hat Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa Kremlchef Dmitri Medwedew wiederholt schriftlich und telefonisch um militärischem Beistand gebeten. Mit eigenen Kräften sei das nicht mehr zu schaffen, sagte Otunbajewa. Nachdem Medwedew zunächst ein Eingreifen in den „inneren Konflikt“ abgelehnt hatte, forderte er nun doch die Militärorganisation OVKS auf, alles für eine rasche Beendigung des Mordens zu tun.

Russland hatte seinen Stützpunkt in Kant im Norden am Sonntag mit Fallschirmjägern verstärkt – allerdings zunächst mit der Begründung, die eigenen Leute schützen zu wollen.

Bei den USA, die im Norden auch eine Militärbasis zur Versorgung ihrer Truppen in Afghanistan unterhalten, habe die Regierung noch nicht um Hilfe nachgesucht, hieß es in der Hauptstadt.

Die Interimsregierung vermutet Bakijews Familienclan hinter den Krawallen. Bakijew hatte die Vorwürfe in seinem weißrussischen Exil zurückgewiesen. Wegen des blutigen Volksaufstandes im April sind er und einige seiner Angehörigen wegen Massenmordes international zur Fahndung ausgeschrieben.

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