Leiharbeit in deutschen Atomkraftwerken: Antworten der Bundesregierung

(06.06.2011/hg)

Unter dem Titel  „Werk- und Leiharbeit in Atomkraftwerken in Deutschland“ stellte die Fraktion Die Linke im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. (1)

In der Anfrage heißt es: „Wie in französischen Atomkraftwerken arbeiten auch in deutschen Atomkraft- anlagen Leiharbeitsbeschäftigte. Wie der Presse zu entnehmen war, hat der Einsatz von Leiharbeitsbeschäftigten in Frankreich System (Frankfurter Rundschau vom 4. April 2011). Für Reinigungs- und Wartungsarbeiten ziehen bis zu 30.000 von ihnen von Atomkraftwerk zu Atomkraftwerk. Sie sind im Vergleich zu den Stammbeschäftigten schlechter bezahlt, sie haben weniger Rechte und in der Regel eine schlechtere Ausbildung. Gleichzeitig werden sie für die am meisten belastenden und gesundheitsgefährdenden Arbeiten herangezogen. Nach Berechnungen des Französischen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung „Inserm“, welches die Arbeitsbedingungen in Atomanlagen untersucht, bekommen Leiharbeiterinnen/Leiharbeiter in französischen Atomkraftwerken circa 80 Prozent der Strahlendosen ab (FOCUS vom 14. April 2011). Laut der Wochenzeitung „der Freitag“ vom 26. April 2011 werden Werkvertrags- oder Leiharbeitsbeschäftige auch in Deutschland systematisch für Tätigkeiten mit höherer Strahlenbelastung eingesetzt. Auch sie verdienen nach den gültigen Leiharbeitstarifen deutlich weniger als Stammbeschäftigte. Nach einem Bericht des Otto Hug Strahleninstituts Medizinische Hilfsmaßnahmen e. V. München (Bericht 21-22, 2000) lag die Strahlendosis der Fremdbeschäftigten zwischen 1980 und 1996 zu 70 Prozent über der des Stammpersonals. Wenn die Werk- und Leiharbeitsbeschäftigten ihre maximale Strahlendosis erreichen, bekommen sie ein Beschäftigungsverbot. Aufgrund der Flexibilität der Leiharbeit werden sie dann gegen andere Beschäftigte ausgetauscht.

In Deutschland regelt die Strahlenschutzverordnung seit 2005 die vorgeschriebenen Verfahren für Strahlenpässe. Nach dem aktuellen Bericht des Strahlenschutzregisters aus dem Jahr 2008 haben etwa 65.000 Personen die Berechtigung, als sogenanntes Fremdpersonal (darunter Festangestellte, Leiharbeitnehmerinnen/ Leiharbeitnehmer und Werkvertragsarbeitnehmerinnen/ Werkvertragsarbeitnehmer) in den Kontrollbereichen fremder Betriebsstätten zu arbeiten, wo sie zum Beispiel Reinigungs-, Handwerks-, Montage- wie auch hochspezialisierte Tätigkeiten (zum Beispiel in Atomkraftwerken während der Revision) verrichten. Diese Personen müssen im Besitz eines gültigen Strahlenpasses sein, der von den dafür autorisierten Registrierungsbehörden der Bundesländer ausgestellt wird. Die Ausgabe dieser Strahlenpässe und die damit verbundenen amtlichen Vorgänge werden im Strahlenschutzregister (SSR) zentral erfasst.

Im letzten Bericht des Strahlenschutzregisters von 2008 (und in dem von 2007 ebenfalls) wird jedoch ausgeführt, das Strahlenschutzregister habe „keine Rechtsgrundlage, ein personenbezogenes Kennzeichen zu verwenden, welches eine Person eindeutig und dauerhaft identifiziert“. Weiterhin jedoch verbleibt es bei der Anforderung, die jeweiligen Dosiswerte den entsprechenden Personen bzw. Strahlenpassinhabern zweifelsfrei und eindeutig zuzuordnen. Hierzu stellt das deutsche Strahlenschutzregister fest, „dass sich das deutsche Register in drei wesentlichen Merkmalen von denen anderer Länder unterscheidet: Deutschland hat

– mit Abstand die meisten beruflich strahlenschutzüberwachten Personen,

– zahlreiche, unabhängig voneinander arbeitende behördlich bestimmte Messstellen,

– sehr strenge datenschutzrechtliche Beschränkungen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.“

Aufgrund der ungenügenden internationalen Abstimmung der Strahlenschutzregister ist zu befürchten, dass Beschäftigte europaweit mehrere Strahlenpässe führen können, ohne dass die jeweilig zuständige Behörde eines Landes Kenntnis davon hat. Berichte über Leiharbeit auch in deutschen Atomkraftwerken lassen Sicherheitsmängel durch schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichende Ausbildung im Vergleich zu Festangestellten befürchten. Insbesondere während der Revisionszeiten werden viele Leih- und Hilfsarbeiterinnen/Hilfsarbeiter unter hoher Arbeitsverdichtung in gesundheitsgefährdenden und sicherheitsrelevanten Tätigkeiten eingesetzt.“

Insgesamt 34 Fragen stellte die Fraktion Die Linke zu diesem Themenkomplex. Die Antworten der Bundesregierung fallen zumeist vielsagend nichtssagend aus. „Die genaue Anzahl
liegt der Bundesregierung nicht vor“ heißt es etwa in Bezug auf die Anzahl der Strahlenpässe, die für nicht-deutsche Arbeitnehmer außerhalb der Bundesrepublik ausgegeben werden oder in Bezug auf die Arbeitnehmer, die mit Strahlenpässen anderer Länder in kerntechnischen Anlagen in Deutschland tätig sind.

Der Bundesregierung ist auch nicht bekannt, wie hoch der Anteil der Leiharbeiter unter den Fremdbeschäftigten ist. Auf die Frage, wie die Bundesregierung sicherstellt, dass Beschäftigte, die mit Strahlenschutzpass in Deutschland tätig sind und gleichzeitig in mehreren Staaten unter Strahlung arbeiten, nicht über den empfohlenen Maximalwert hinaus der Strahlung ausgesetzt sind, wird in der Antwort darauf verwiesen, dass es generell national festlegte Grenzwerte gibt, die auf „international anerkannten Empfehlungen basieren und auf europäischer Ebene durch Richtlinien, insbesondere durch die Richtlinie 96/29/Euratom zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen, vorgegeben werden. Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union muss durch entsprechende gesetzliche Regelungen sicherstellen, dass diese Grenzwerte für seine Staatsangehörigen auch dann nicht überschritten werden, wenn diese vorübergehend außerhalb seines Hoheitsgebiets beschäftigt werden.“

Offen bleibt aber der Kern der Frage, wie praktisch gewährleistet wird, dass es nicht zu einer über den Maximalwert hinausgehenden Belastung von Arbeitern kommt, die in mehreren Ländern tätig sind. Zwar heißt es, der „Bundesregierung liegen keine Informationen vor, dass die Umsetzung der entsprechenden Regelungen der Strahlenschutzverordnung und der AVV Strahlenpass in der
Praxis nicht ausreichend ist“. Aber so richtig scheint die Bundesregierung nicht davon überzeugt zu sein, dass die „entsprechenden Regelungen“ in der Praxis ausreichend sind. Denn einen Satz später heißt es: „Da die Klärung von Einzelfragen insbesondere bei europaweit eingesetztem Fremdpersonal viel Verwaltungsaufwand erzeugt, setzt sich die Bundesregierung für die Einführung eines einheitlichen europäischen Strahlenpasses ein.“

Wie nichtssagend die Antworten großteils ausfallen, verdeutlicht auch die Frage 13: „Ist der Bundesregierung der Bericht des Otto Hag-Strahleninstituts (Bericht 21-22 (2000) „Strahlengefahr für Mensch und Umwelt“) bekannt, wonach die Fremdbelegschaft im Vergleich zur Stammbelegschaft in Atomkraftwerken einer um in etwa 70 Prozent höheren Strahlenbelastung ausgesetzt ist?

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Studie und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

b) Sind der Bundesregierung aktuelle Studien bekannt, die diese Thematik der erhöhten Strahlenbelastung von Fremdbeschäftigten im Vergleich zu Stammbeschäftigten untersuchen, wenn ja welche und zu welchen Schlussfolgerungen kommt die Bundesregierung aus der Kenntnis dieser Studien?“

Die gemeinsame Antwort auf die beiden Fragen lautete lapidar: „Der genannte Bericht wurde bereits im Rahmen der Novellierung der Strahlenschutzverordnung 2001 geprüft und wurde, wie andere Studien auch, bei der Überarbeitung der AVV Strahlenpass berücksichtigt.“

Der Bericht wurde also geprüft und berücksichtigt, aber ob der Bericht stimmt oder nicht, und welche Schlussfolgerungen für die Praxis konkret gezogen wurden, wird offen gelassen.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass Fremdbeschäftigte auch in Deutschland einer höheren Strahlen-Dosis ausgesetzt sind als die Stammbeschäftigten bei gleichzeitig schlechterer Bezahlung. Wie hoch der Anteil der Leiharbeiter an den Fremdbeschäftigen ist, ist der Bundesregierung ebenso unbekannt wie der Anteil derjenigen, die mit Strahlenpässen anderer Länder in Deutschland arbeiten. Es ist davon auszugehen, dass es praktisch nicht zu unterbinden ist, dass Leiharbeiter, die in verschiedenen Ländern beschäftigt sind, Strahlungs-Dosen ausgesetzt sind, die über den zulässigen Grenzwerten liegen.

(1) Anfrage der Fraktion Die Linke (Bundestag-Drucksache 17/5738) : http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/057/1705738.pdf

Antwort der Bundesregierung:  http://dokumente.linksfraktion.de/drucksachen/22405_1706031.pdf

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