NSU-Nebenkläger bestehen auf Vernehmung von V-Mann „Primus“

(02.06.2016/dpa)

Mehrere Nebenkläger im NSU-Prozess haben das Münchner Oberlandesgericht (OLG) scharf angegriffen und erneut die Vernehmung des früheren Geheimdienst-V-Mannes „Primus“ alias Ralf Marschner verlangt. In mehreren „Gegenvorstellungen“ fordern sie außerdem Aufklärung über die Vernichtung von Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Nebenkläger machen geltend, ihre Mandanten – Hinterbliebene und Angehörige der NSU-Opfer – hätten einen Rechtsanspruch auf „Klärung der staatlichen Mitverantwortung“.

Rechtsanwalt Yavuz Narin kündigte am Donnerstag an, dafür den gesamten Rechtsweg auszuschöpfen, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sein Kollege Alexander Hoffmann kritisierte in der Verhandlung, der OLG-Senat versteige „sich sogar zu der Behauptung, Beihilfehandlungen zum Mord seien nicht aufzuklären, wenn sie nicht Teil der Anklage sind“. Er bezog sich dabei auf einen Gerichtsbeschluss, in dem der Senat die Ladung von V-Mann „Primus“ ablehnte.

Der Neonazi Marschner wurde bereits Mitte der 1990er Jahre zunächst vom Bayerischen Landesverfassungsschutz angeworben, und war dann jahrelang für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig. Er galt als zuverlässiger Informant. Der V-Mann ist mehrfach in die Schlagzeilen geraten, weil er laut verschiedenen Zeugenaussagen die beiden mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in seinen Unternehmen in Zwickau beschäftigt hat, nachdem diese in den Untergrund abgetaucht waren. Seine Vernehmung sei schon deshalb nötig, weil zu den Lebensumständen des NSU-Trios in Zwickau im Prozess noch „keine ausreichenden Feststellungen getroffen sind“, argumentierten die Nebenkläger.

Eine vor einem Monat vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages angeforderte Akte zu Marschner soll nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Chemnitz dem Hochwasser in Sachsen 2010 zum Opfer gefallen sein. „Dieser Vorgang reiht sich irgendwie ein in den mysteriösen Schwund von Akten im Zusammenhang mit dem NSU-Netzwerk“, sagte die Grünen-Obfrau im Ausschuss, Irene Mihalic, anschließend. „Es ist schon seltsam, dass sich die reißenden Wasser gerade dieses Schriftstück ausgesucht haben.“

Vor dem Münchener OLG sind neben Beate Zschäpe vier mutmaßliche Unterstützer des NSU angeklagt. Über einen von ihnen, Ralf Wohlleben, sagte am Donnerstag ein BKA-Ermittler als Zeuge aus. Er hatte untersucht, ob es auf Wohllebens Kontoverbindungen verdächtige Transaktionen gab. Wohlleben wird vorgeworfen, den Kauf der Mordwaffe vom Typ „Ceska“ in Auftrag gegeben und finanziert zu haben, was er aber bestreitet. Der BKA-Ermittler sagte, die Geldeingänge und Abbuchungen auf Wohllebens Konto seien unverdächtig und passten zu seiner Berufstätigkeit und vorübergehenden Arbeitslosigkeit.

Wohllebens Verteidigung hatte den Verdacht geäußert, das Geld für die Pistole stamme möglicherweise von dem früheren Neonazi-Anführer und Geheimdienst-V-Mann Tino Brandt. Brandt ist kommenden Dienstag als Zeuge geladen.

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