NSU-Prozess: Gericht zeigt geringen Aufklärungswillen

(30.07.2013/dpa)

Mit mehreren Zeugen aus der Nachbarschaft der „Zwickauer Zelle“ wird am heutigen Dienstag der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München fortgesetzt. Die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten in der Frühlingsstraße in Zwickau ihre letzte gemeinsame Wohnung. Nach dem Tod ihrer Kumpane zündete Zschäpe nach Überzeugung der Ermittler die Wohnung an.

Zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge werden dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugerechnet, außerdem zahlreiche Banküberfälle. Schließlich soll Beate Zschäpe nach dem angeblichen Selbstmord ihrer Kumpanen die gemeinsame Wohnung in Zwickau angezündet und dabei den Tod dreier Menschen in Kauf genommen haben. Nicht zuletzt muss die Gründung der „terroristischen Vereinigung“ nachgewiesen werden. Vier weitere Beschuldigte sind als Unterstützer oder Gehilfen angeklagt. Etwa 60 Nebenklageanwälte nehmen am Prozess teil. Es ist ein gewaltiges Verfahren. Mittlerweile hat das Gericht Termine bis zum 18. Dezember 2014 bestimmt. Die Bundesanwaltschaft wirft der Hauptangeklagten vor, für die legale Fassade des Trios gesorgt zu haben. Dies habe die Terroranschläge auf Kleinunternehmer mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin erst möglich gemacht. Deshalb seien die Beziehungen Zschäpes in der Nachbarschaft von Bedeutung.

Am Mittwoch sollen dann mehrere Zeugen und Sachverständige zum Mordfall Habil Kilic in München gehört werden. Am Donnerstag beschäftigt sich das Gericht zunächst mit den ersten zwei Morden der Gruppe in Nürnberg, außerdem soll ein Zeuge zum Mord an Mehmet Turgut in Rostock gehört werden. Das Gericht war zuletzt wegen der Reihenfolge der Beweisaufnahme kritisiert worden. Vertreter der Nebenklage hatten gefordert, das Gericht solle nicht zwischen den verschiedenen Tatkomplexen hin und her springen.

Die vergangene  Woche lieferte ein gutes Beispiel dafür, wie der NSU-Prozess in München derzeit verläuft. Am Dienstagmorgen erläuterte ein Rechtsmediziner die Obduktion des ersten Mordopfers Enver Simsek. Nachmittags wurde ein BKA-Beamter gehört, der den mutmaßlichen Terrorhelfer Holger G. vernommen hat. Später kam noch ein anderer Beamter zu Wort, der eine Zeugin im Fall Özüdogru vernommen hatte, dem zweiten NSU-Mord. Am nächsten Tag ging es dann um Beate Zschäpes Kontakte zu den Nachbarn in Zwickau. Am Donnerstag schließlich ging es um die Leiche Özüdogrus, später um Zeugen der Brandstiftung in Zwickau.

Nebenkläger beantragten in der vergangenen Woche, das Gericht möge die einzelnen Morde in chronologischer Reihenfolge abhandeln – so, wie es ursprünglich einmal vorgesehen war. Die „Struktur und Nachvollziehbarkeit des Beweisprogramms“ sei gefährdet, argumentiert Opferanwalt Alexander Kienzle. Es war ein sachlicher, moderater Antrag. Richter Manfred Götzl jedoch blaffte den Anwalt an: „Haben sie schon mal an den Urlaub von verschiedenen Zeugen gedacht?“ Dabei hat Kienzle nur das ausgesprochen, was viele Beteiligte lieber hinter vorgehaltener Hand beklagen, um es sich mit dem Gericht nicht zu verscherzen. Sie befürchten, dass der Prozess zerfasert, dass es immer schwieriger wird, in dem ohnehin gewaltigen Material den Überblick zu behalten.

Der Vorsitzende Richter versucht, mit einer zunehmend autoritären Verhandlungsführung Herr der Lage zu bleiben. Das zeigt sich manchmal an Kleinigkeiten: Wenn Götzl und sein Senat den Verhandlungssaal wieder verlassen, weil noch nicht alle Zuschauer ordentlich an ihren Plätzen stehen. Oder wenn er einen BKA-Beamten abbürstet, weil der nicht schnell genug bestätigt, was im Protokoll steht. Ohnehin scheint der Vorsitzende bei Zeugenbefragungen vor allem bestrebt, das abzuhaken, was in den Akten steht – und was er für ein Urteil braucht. Die Neugierde, etwas zu erfragen, was noch nicht irgendwo protokolliert ist, lässt Götzl nur selten erkennen.

Verfahrensbeteiligte bemängeln aber vor allem, dass der Senatsvorsitzende auch außerhalb des Gerichtssaals nicht erklärt, was er vorhat, wie er seine Beweisaufnahme gestalten will. Das belaste auch die Angehörigen, sagt Anwalt Carsten Ilius, der die Witwe des ermordeten Mehmet Kubasik vertritt: „Es ist für Frau Kubasik schwierig, sich darauf einzustellen, wann sie selbst als Zeugin aussagen wird. Eine langfristige Verhandlungsplanung würde die Vorbereitung für sie erleichtern.“Den mangelnden Willen des Gerichts, die Dinge in Erfahrung zu bringen, von denen es noch nichts weiß, verteidigte Gerichtssprecherin Margarete Nötzel.  Das Gericht sei gehalten, den Prozess zügig zu führen, gerade mit Blick auf die Angeklagten in Untersuchungshaft. „Wir wollen selbst gern Komplexe geschlossen abarbeiten, weil es auch für das Gericht angenehmer ist. Aber da klaffen die Realität und das Gewollte weit auseinander.“

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