Pharmaindustrie treibt Kassenausgaben auf Rekordhoch
(15.09.2010/dpa)
Pillen, Spritzen und Salben sind in Deutschland teils sechs Mal so teuer wie in anderen EU-Ländern. Das zeigt der neue Arzneireport.
Mit teils extrem hohen Preisen greift die Pharmaindustrie tief in die Taschen der deutschen Beitragszahler. Die Arzneipreise in Deutschland liegen oft 30 bis mehr als 500 Prozent höher als etwa in Schweden, wie aus dem am Dienstag in Berlin präsentierten Arzneiverordnungs-Report 2010 hervorgeht. Im EU- Vergleich liegen sie mit an der Spitze.
Teure Blutdrucksenker sowie Schmerz-, Krebs- und Asthmamittel ließen die Arzneikosten der gesetzlichen Kassen im vergangenen Jahr um 4,8 Prozent auf 32,4 Milliarden Euro steigen. Mit Preisen wie in Schweden und mehr Nachahmer-Mitteln (Generika) könnten 9,4 Milliarden Euro gespart werden, sagte Herausgeber Ulrich Schwabe.
„Viele althergebrachte Privilegien der Pharmaindustrie sollten abgeschafft werden“, forderte Schwabe. Milliardensubventionen für die Pharmabranche seien weder ökonomisch noch gesundheitspolitisch zu vertreten. „In diesem Markt stimmt etwas nicht.“ So sei der Preis für das Omeprazol-Generikum Omep zur Hemmung von Magensäure in Deutschland Anfang des Monats auf einen Schlag von 60 auf 43 Euro gesunken – in Schweden koste es aber nur 9 Euro. „Das ist kein Einzelfall“, sagte Schwabe.
Ärztevertreter Leonhard Hansen kritisierte Fälle besonders hoher Preise etwa bei der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. „Da sind alle Dämme gebrochen.“ Er warf der Pharmabranche vor, extrem teure neue Krebsmittel ohne Zusatznutzen auf den Markt gedrückt zu haben. „Für höchste Therapiekosten wurde die Lebenserwartung nicht um einen Tag verlängert.“ Hier sei Ernüchterung eingekehrt.
Seit 1993 seien die Umsätze der Patent-Arzneimittel von 1,6 auf 13,2 Milliarden Euro gestiegen, sagte Schwabe. Ärzte verordneten laut Report drei Prozent mehr als im Vorjahr. Die Mittel kosteten die Kassen 3,7 Prozent mehr.
Die von der Koalition derzeit geplante Nutzenbewertung für die neuen, teuren Patent-Arzneimittel werteten die Experten positiv. Die Koalition will die Kriterien für die Arzneiprüfung wie von der Pharmaindustrie gefordert vom Rösler-Ressort aufstellen lassen – nicht von dem unabhängigen Bundesausschuss von Ärzten und Kassen.
Im Bundestag sorgten die Pläne für einen Schlagabtausch. „Da werden die Vorschläge nicht nur übernommen, sondern abgeschrieben“, kritisierte der SPD-Experte Karl Lauterbach. „Das wird keine Einsparungen bringen.“ CSU-Experte Johannes Singhammer entgegnete: „Besser, kürzer, schneller, berechenbarer ist eine Verordnung durch das Ministerium.“ CDU-Experte Jens Spahn versprach: „Wir machen das härteste Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik.“ Das Preismonopol der Industrie werde gebrochen, Mondpreise gebe es bald nicht mehr.
SPD-Vizefraktionschefin Elke Ferner kritisierte in der ARD, die Koalition lasse die Hersteller die Preise zunächst weiter frei bestimmen, bevor Rabattverhandlungen kämen. „Der Selbstbedienungsladen für Pharmakonzerne muss geschlossen werden“, forderte Kathrin Vogler von den Linken.
Die Pharmabranche übte heftige Kritik an dem auf 740 Millionen Verordnungen basierenden Report. Die Geschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller, Cornelia Yzer, zweifelte die Vergleichbarkeit mit Schweden an, da es hier unter anderem keine Mehrwertsteuer auf Arznei gebe. Der Geschäftsführer des Verbands der Pharmazeutischen Industrie, Henning Fahrenkamp, sagte, der Report übersehe die immensen Fortschritte etwa in der AIDS-Therapie.