Private Überschuldung in Deutschland ist ein Massenphänomen
(05.11.2010/dpa)
Besonders auffällig ist: Auch Frauen geraten zunehmend in die Schuldenfalle. Die Zahl der Schuldnerinnen in Deutschland kletterte innerhalb eines Jahres um 11,4 Prozent auf jetzt gut 2,5 Millionen. Bei den Männern fiel das Plus mit 0,9 Prozent auf knapp 4 Millionen deutlich niedriger aus. Das gab die Wirtschaftsauskunftei Creditreform am Donnerstag in Düsseldorf bekannt.
Damit sei die Gesamtzahl der Überschuldeten erstmals seit drei Jahren angestiegen. Ihr Anteil an den Volljährigen in Deutschland kletterte innerhalb eines Jahres von 9,09 auf 9,5 Prozent. „In den kommenden zwei Jahren ist nicht mit einem Rückgang der Verbraucherüberschuldung zu rechnen“, berichtete die Auskunftei.
Besonders betroffen von dem Anstieg waren neben den Frauen auch junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren. Die Überschuldung habe sich generell aber weniger stark ausgebreitet als in der Wirtschaftskrise befürchtet, sagte Creditreform-Vorstand Helmut Rödl. Die Einkommen seien auch wegen des Kurzarbeitergeldes stabil gehalten worden.
Überschuldung ist zwar nach wie vor insbesondere ein Problem von Männern – sie haben unter den Schuldnern einen Anteil von mehr als 60 Prozent. Aber die Frauen holen im negativen Sinne auf. Seit dem Jahr 2004 wuchs ihr Anteil an den Überschuldeten stetig von 32,0 auf nun 38,7 Prozent.
Grund für diesen Trend seien veränderte Lebensformen und Rollenbilder, sagte Rödl. In vielen Familien hätten zwar immer noch Männer beim Geld das Sagen. Zunehmend müssten aber auch Frauen für Schulden geradestehen, vor allem wenn sie Kinder alleine erziehen. Frauen stünden außerdem besonders häufig in sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnissen. Damit sind zum Beispiel Leiharbeit oder befristete Jobs gemeint.
Eine ähnliche Verschiebung wie bei den Geschlechtern gibt es zwischen den Altersgruppen. „Die Schuldner werden jünger“, sagte Rödl. Von den 20- bis 29-Jährigen gilt mittlerweile mehr als jeder Zehnte als überschuldet. Im Jahr 2004 lag dieser Anteil bei unterdurchschnittlichen 7,55 Prozent. Neben Arbeitslosigkeit liegt Überschuldung in dieser Altersgruppe oft im falschen Umgang mit Geld begründet, wie aus dem Schuldneratlas hervorgeht. Als Konsequenz forderte Rödl, mehr für die Finanzkompetenz junger Menschen zu tun. Bereits Kinder müssten lernen, mit Geld umzugehen, am besten schon in der Grundschule.
Rödl bezeichnete Überschuldung als „Massenphänomen“. Neben den knapp 10 Prozent der Erwachsenen, die tatsächlich überschuldet seien, fühlten sich weitere 32 Prozent zumindest gelegentlich durch Verbindlichkeiten im Finanzstress. Die von der Bundesregierung beschlossenen Sparprogramme verstärkten dieses Gefühl noch. 3,6 Millionen der insgesamt 6,5 Millionen überschuldeten Menschen seien so stark im Schlamassel, dass sie auch von einem Konjunkturboom nicht profitieren würden.
Dass Überschuldung vor allem ein ostdeutsches Phänomen sei, gelte schon längst nicht mehr, sagte Rödl. Zum zweiten Mal in Folge liege die Schuldnerquote mit jetzt 9,45 Prozent im Osten etwas niedriger als im Westen mit 9,51 Prozent. Bayern gilt zwar weiterhin als Musterknabe. In der oberen Hälfte der 16 Bundesländer liegen aber auch Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Schlusslicht ist der Stadtstaat Bremen mit einer Schuldnerquote von fast 15 Prozent.
Mit dem Schuldneratlas untersucht die Wirtschaftsauskunftei Creditreform im achten Jahr in Folge, wie sich die Überschuldung in Deutschland entwickelt. Die Schuldnerquote bezieht sich auf den Anteil der Volljährigen, die ihren Zahlungsverpflichtungen in absehbarer Zeit nicht nachkommen können – auch nicht durch Kredite. Kurzum: Die Gesamtausgaben sind bei diesen Schuldnern dauerhaft höher als die Einnahmen. Die Ergebnisse aus dem Schuldneratlas werden Telekommunikationsfirmen, Versandhäusern oder Banken zur Verfügung gestellt. Die Daten fließen dort etwa bei der Prüfung für die Kreditvergabe ein.