Schwere Vorwürfe gegen Israel im Sicherheitsrat – Netanjahus Besuch in Washington abgesagt

(01.06.2010/dpa)

Mitglieder des Weltsicherheitsrates haben den blutigen Militäreinsatz gegen die Gaza-Hilfsflotte am Montag verurteilt. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu bezichtigte Israel eines „schweren Verbrechens“. Es gebe keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für die Tat, sagte Davutoglu bei einer Dringlichkeitssitzung des höchsten UN-Gremiums. Die USA erklärten sich „tief besorgt“ über die Entwicklung, übten aber auch Zweifel an dem Vorgehen der Aktivisten. Es gebe bessere Wege, humanitäre Güter an der Gazaküste anzuliefern, sagte der stellvertretende US-Botschafter Alejandro Wolff. Bei der Kommandoaktion israelischer Elitesoldaten vor Morgengrauen wurden mindestens neun Aktivisten getötet. Mehr als 50 weitere Personen an Bord der „Gaza-Solidaritätsflotte“ sowie sieben israelische Soldaten wurden verletzt, als das Militär von Booten und Hubschraubern aus sechs Schiffe enterte.

Großbritannien forderte Israel auf, eine Erklärung für den Verlust von Menschenleben zu liefern. Allerdings sei das Drama im Mittelmeer „kein isoliertes Ereignis“. Vielmehr zeige es deutlicher denn je, dass Israel die Blockade des Gazastreifens aufgeben müsse, sagte der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant. Sein österreichischer Amtskollege, Thomas Mayr-Harting, machte Israel wegen mangelnder Einhaltung von UN-Resolutionen für die Situation verantwortlich. Er forderte die Regierung in Tel Aviv auf, sich an die internationalen Gesetze zu halten.

Der stellvertretende israelische UN-Botschafter Manuel Carmon verteidigte sein Land mit den Worten: „Diese Flotille war alles andere als eine echte humanitäre Mission.“ Vielmehr hätten die Aktivisten Israel provozieren wollen. Darum hätten sie auch das Angebot der Behörden zurückgewiesen, die Hilfsgüter auf dem Landweg in den Gazastreifen transportieren zu lassen. Carmon betonte: „Außerdem gibt es keine humanitäre Krise in Gaza.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte Forderungen an Israel nach einem Ende der Blockade des Gaza-Streifen. Sie habe Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in einem Telefonat zur Aufhebung der Blockade aufgefordert, „weil das aus humanitären Gründen nicht in Ordnung ist“, sagte Merkel am Montagabend in einem Gemeinschaftsinterview von ARD und ZDF. Die Bundesregierung sei tief besorgt, dass es zur Eskalation kommen könne. Netanjahu hatte zuvor öffentlich „den Verlust an Leben“ bedauert, aber zugleich von einer Selbstverteidigung der Soldaten gesprochen.

Obama zu Israel-Angriff: Sprachlos und ohne „Plan B“

Eigentlich wollte US-Präsident Barack Obama den Friedensprozess im Nahen Osten in Gang bringen. Daraus wird jetzt nichts. Zieht Washington aus Israels Verhalten Konsequenzen?

Der US-Präsident ist sprachlos. Barack Obama, der Medienmann, der ansonsten in brenzligen Situationen gern in Richtung Kameras strebt, taucht diesmal fürs erste ab. Allein das ist bezeichnend – der blutige israelische Angriff auf die Gaza-“Solidaritätsflotte“ hat Washington die Sprache verschlagen.

Zwar ist die US-Regierung bei schlechten Nachrichten und unguten Überraschungen in Bezug auf Israel in den letzten Monaten einiges gewöhnt. Allein die israelische Provokation im Frühjahr, ausgerechnet während des Besuchs von US-Vizepräsident Joe Biden neue Siedelungspläne bekanntzugeben, ist in Washington sauer aufgestoßen.

Doch mit einem derartigen Gewaltakt wie der Attacke auf die Gaza-“Solidaritätsflotte“ hatte in Washington niemand gerechnet. Steven A. Cook vom Council on Foreign Relations meint: „Allen Berichten zufolge handelte es sich bei Free-Gaza-Flotte um eine strikt humanitäre Ladung…Die Israelis stehen jetzt einem PR-Alptraum gegenüber.“

Eigentlich sollte Israels Premier Benjamin Netanjahu an diesem Dienstag nach Washington kommen. Hauptaufgabe: Die seit Monaten schwelenden Spannungen mit Obama auszubügeln. Auch daraus wird jetzt erstmals nichts – die Beziehungen zwischen Israel und den USA sind derzeit so vertrackt wie seit langem nicht mehr, Obama und Netanjahu erscheinen eher als Gegenspieler denn als Partner auf der Friedenssuche.

„Der israelische Angriff erschwert die Versuche, die Beziehungen zu den USA zu verbessern“, kommentiert die „Washington Post“ eher noch zurückhaltend. Das Problem: Im Grunde waren sich Obama und Netanjahu von Anfang an über Kreuz, zu unterschiedlich sind ihre politischen Ansätze, zu unterschiedlich die Chemie.

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