Spannungen zwischen Nord- und Südkorea verschärfen sich

(20.05.2010/dpa)

Die angespannte Lage zwischen Süd- und Nordkorea wegen des Untergangs eines südkoreanischen Kriegsschiffs spitzt sich weiter zu. Fast acht Wochen nach der Tragödie mit 46 Toten kam heute ein internationales Ermittlerteam zu dem Schluss, dass Nordkorea die 1200-Tonnen-Korvette nahe der innerkoreanischen Seegrenze mit einem Torpedo beschossen und versenkt habe. Südkoreas Präsident Lee Myung Bak warf Nordkorea „militärische Provokation“ vor und kündigte resolute Schritte gegen das Nachbarland an. Nordkorea drohte für den Fall von Sanktionen oder Vergeltungsaktionen mit „harten Maßnahmen, bis zum totalen Krieg“.

Rückendeckung erhält Seoul aus Washington. US-Präsident Barack Obama machte ebenfalls Nordkorea für den Untergang der Cheonan im Gelben Meer verantwortlich und warf dem Land „inakzeptables Verhalten“ vor. Ein Sprecher des Weißen Hauses teilte mit, Obama habe den „Akt der Aggression“, der zum Untergang geführt habe, „scharf verurteilt“.

„Obama sagte Lee, dass er Seoul vollständig vertraue und seinen Umgang mit dem Zwischenfall unterstütze“, teilte das Präsidialamt in Seoul nach einem Telefonat der beiden mit. Beide Seiten riefen Nordkorea dazu auf, „das kriegerische Verhalten gegenüber seinen Nachbarn einzustellen“.

„Dieser Akt der Aggression ist ein weiteres Beispiel für das inakzeptable Verhalten Nordkoreas und eine Missachtung internationalen Rechts“, heißt es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Der Angriff stelle eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit dar und sei ein klarer Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen.

Nordkorea müsse verstehen, „das Kriegslust gegenüber seinen Nachbarn und die Herausforderung der internationalen Gemeinschaft Zeichen der Schwäche sind“ und nur die eigene Isolation verschärfen. Die US-Regierung nannte den Untersuchungsbericht des Ermittlerteams eine „objektive und wissenschaftliche Bewertung der Beweise“.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte sich höchst beunruhigt über die Untersuchungsergebnisse. „Die Fakten, die der Bericht darlegt, sind höchst verstörend“, so Ban.

Der Generalsekretär, der selbst Südkoreaner ist, übernahm die Einschätzung der US-Regierung fast wörtlich. Die Regierung in Seoul sei bei der Untersuchung des Untergangs „maßvoll und geduldig, objektiv und wissenschaftlich“ vorgegangen und habe und auch ausländische Experten daran beteiligt, welche neben Südkorea aus den USA, Australien, Großbritannien und Schweden kamen. Angebote Nordkoreas, ein eigenes Ermittlungsteam zu schicken, wurden von Südkorea abgelehnt – die Objektivität der Untersuchung ist daher zweifelhaft.

Seoul hatte angedeutet, den Fall um die Cheonan vor den Weltsicherheitsrat bringen zu wollen. Für eine Verurteilung oder weitere Sanktionen gegen Pjöngjang durch den Rat wäre es laut Beobachtern wichtig, China von der Schuld Nordkoreas an dem Untergang zu überzeugen. Der Schiffsuntergang war auch Thema des vierten Dreier-Treffens der Außenminister Südkoreas, Japans und Chinas am vergangenen Samstag. Nach Angaben des südkoreanischen Außenministeriums habe man sich mit China darauf geeinigt, dass beide Länder wegen des Untergangs eng in Verbindung bleiben.

Es gebe „überwältigende Beweise für den Schluss“, dass ein U-Boot aus Nordkorea den Torpedo abgefeuert habe, teilte das zivil-militärische Ermittlerteam in Seoul mit. „Es gibt keine andere glaubwürdige Erklärung.“ Zu dem Ergebnis seien sie durch die Analyse der Bruchstellen am Wrack der Cheonan und der am Unglücksort vor der Westküste Südkoreas gesammelten Trümmerteile gekommen.

Unter anderem hieß es, dass geborgene Teile eines Torpedos einem vor Jahren gefundenem Torpedo-Irrläufer aus Nordkorea glichen. Die Rückstände des Explosivstoffs am Schiffswrack seien in ihrer Zusammensetzung mit einer Substanz identisch, die vor sieben Jahren in dem Torpedo-Irrläufer gefunden worden seien, hieß es. Nach einem Bericht des Rundfunksenders KBS wurden auch Metallteile gefunden, die von einem Torpedoruder stammen könnten.
Auch gebe es Hinweise dafür, dass sich kleine nordkoreanische U-Boote zum Zeitpunkt des Unglücks in der Nähe der Untergangsstelle aufgehalten hätten.

Durch internationale Zusammenarbeit wolle Südkorea das Regime in Pjöngjang dazu bringen, „seine Missetaten einzugestehen“ und in verantwortlicher Weise in die internationale Gemeinschaft zurückzukehren, sagte Staatspräsident Lee in einem Telefonat mit dem australischen Regierungschef Kevin Rudd. Lee wolle an diesem Freitag in Seoul den Nationalen Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen, um Gegenmaßnahmen zu erörtern.

Nordkorea hingegen bestritt erneut, das Schiff versenkt zu haben. Ein Sprecher der Nationalen Verteidigungskommission – das mächtigste Gremium des Landes – unterstellte Seoul, die Untersuchungsbefunde fingiert zu haben.

An der umstrittenen Seegrenze im Gelben Meer, der sogenannten Nördlichen Grenzlinie (NLL),  ist es bereits wiederholt zu Gefechten zwischen Schiffen beider Länder gekommen.  Nordkorea erkennt die Linie nicht an, die zum Ende des Koreakriegs (1950-53) von einem UN-Kommando gezogen wurde. Erst am vergangenen Samstag kam es erneut zu einem Zwischenfall. Die südkoreanische Marine habe ein nordkoreanisches Patrouillenboot mit Warnschüssen aus den Gewässern Südkoreas vertrieben, teilte ein Sprecher des Generalstabs der südkoreanischen Streitkräfte am Sonntag mit. Es sei zu keinem Schusswechsel gekommen. Kurz zuvor habe bereits ein anderes Marineschiff aus Nordkorea die Grenze verletzt. Es habe nach Warndurchsagen erst nach einer halben Stunde wieder abgedreht.

Den Angaben zufolge waren dies die ersten Grenzverletzungen durch nordkoreanische Patrouillenboote seit dem Untergang der Cheonan.

Unklarheit herrschte in Südkorea über die Motive für die neuerlichen Grenzverletzungen. Nordkorea könnte die Boote geschickt haben, um Südkoreas Reaktion nach dem Schiffsuntergang ausloten zu können, zitierte die nationale Nachrichtenagentur Yonhap einen Militärvertreter.

Wie ernst der jüngste Spannungsfall ist, davon zeugt die überraschende Ankündigung Nordkoreas,  am 7.Juni eine zweiten Sitzung des Parlaments in Pjöngjang abzuhalten. Gründe dafür wurden nicht genannt. Diese Sitzungen finden normalerweise nur ein- oder zweimal jährlich statt. Südkoreanische Medien spekulierten, die Sitzung könnte mit dem jüngsten Besuch von Machthaber Kim Jong Il in China, mit den neuen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel oder Plänen für eine Machtübertragung an einen der Söhne Kims zusammenhängen.

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