Staaten des globalen Südens lehnen westliche Ukraine-Erklärung ab
Konferenz in der Schweiz: 16 anwesende Staaten tragen Gipfelerklärung zum Ukraine-Krieg nicht mit / Präsident Kolumbiens: keine freien Debatten, Erklärungen waren vorbestimmt / Saudischer Außenminister: ernsthafte Verhandlungen nur mit Beteiligung Russlands
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)
Mehr als ein Dutzend Staaten des „globalen Südens“ haben sich geweigert, die Abschlusserklärung einer westlich dominierten Ukraine-Konferenz in der Schweiz zu unterzeichnen. Zu den ablehnenden Staaten zählten mit Brasilien, Südafrika, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten alle vier anwesenden Mitglieder des BRICS-Bündnisses. Russland, das Konfliktpartei in dem Krieg und Gründungsmitglied der BRICS ist, war zu der von der ukrainischen Regierung initiierten Konferenz nicht eingeladen worden. Auf dem Treffen in einem Hotel auf dem Berggipfel Bürgenstock am vergangenen Wochenende in der Zentralschweiz waren Vertreter von insgesamt 92 Staaten anwesend – darunter alle Mitglieder der NATO und der Europäischen Union.
In der Abschlusserklärung bekennen sich die unterzeichnenden Regierungen zum „Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates, zu den Grundsätzen der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten“. Diese Erklärung wurde unter anderem von Israel, Großbritannien und den USA unterschrieben. Im weiteren Verlauf des Dokuments fordern die Unterzeichner, dass Russland der Ukraine die Kontrolle über das Atomkraftwerk Saporoschje zurückgibt und Drohungen mit Nuklearwaffen unterlässt. Ebenfalls solle Russland den kommerziellen Seehandel im Schwarzen und Asow’schen Meer nicht beeinträchtigen sowie alle ukrainischen Kriegsgefangenen und „deportierten Kinder“ an die Ukraine übergeben.
Der sogenannte „Friedensgipfel“ stehe „auf der Seite des Krieges“, kritisierte Kolumbiens Präsident Gustavo Petro. Die Schlussfolgerungen des Treffens seien schon vorbestimmt gewesen, ergänzte der linke Politiker. Deshalb sei der Bürgenstock-Gipfel „kein freies Forum“ gewesen, auf dem über Wege zum Frieden zwischen Russland und der Ukraine diskutiert werden konnte. Petro wies hierbei mehrfach auf den Gaza-Krieg Israels hin und rief zur Wiederherstellung des Völkerrechts auf. Kolumbien habe nicht unterschrieben, denn es schließe sich keiner der beiden Kriegsparteien an. Neben Brasilien hatte auch Mexiko die Unterzeichnung der Abschlusserklärung abgelehnt. Argentinien, Chile und kleinere Staaten der Region hatten hingegen unterschrieben.
Der indische Delegationsleiter Pavan Kapoor erklärte, Indien habe an der Konferenz wie auch an vorangegangenen Treffen dieser Art teilgenommen, da es Interesse an einer friedlichen Lösung des Konflikts durch Dialog und Diplomatie habe. Allerdings bedürfe solch eine Lösung „ein aufrichtiges und praktisches Engagement zwischen beiden Konfliktparteien“, erläuterte der West-Sekretär des indischen Außenministeriums. Nur eine Vereinbarung mit Optionen, die für beide akzeptabel seien, könne zu einem dauerhaften Frieden führen. Da Russland auf dem Gipfel jedoch nicht vertreten war, habe Indien sich nicht an der Abschlusserklärung beteiligt. Auch die südostasiatischen Staaten Thailand und Indonesien verweigerten ihre Unterschrift. Währenddessen unterzeichneten die asiatischen US-Verbündeten Japan, Südkorea und Philippinen das Kommuniqué.
Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al Saud kritisierte ebenfalls Russlands Nicht-Einladung zum Gipfel. Die internationale Gemeinschaft müsse sich für ernsthafte Verhandlungen einsetzen, die auch schwierige Kompromisse nötig machen, um zu einem Frieden zu gelangen. „Hier ist es wichtig zu betonen, dass jeder glaubwürdige Prozess die Beteiligung Russlands erfordert“, betonte der Außenminister. Saudi-Arabien habe laut Aussagen des finnischen Präsidenten die Abschlusserklärung nicht unterschrieben, da es die eigene Position als neutraler Vermittler für einen geplanten Friedensgipfel im saudischen Riad nicht gefährden wolle. Im Gegensatz zu Katar lehnten auch Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate eine Unterschrift ab. Nach Unterzeichnung des Dokuments am 16. Juni hatten zudem die Staaten Jordanien, Irak und Ruanda ihre Unterschriften zurückgezogen.
Sydney Mufamadi, nationaler Sicherheitsberater Südafrikas, kritisierte die Nicht-Einladung Russlands. Zudem sei es überraschend, dass Israel trotz der vorgeworfenen Kriegsverbrechen an Palästinensern an der Konferenz teilnehme und eine Erklärung unterschreibe, die zur „Achtung des Völkerrechts“ aufrufe, sagte er. Neben BRICS-Mitglied Südafrika hatten auch Libyen und Mauretanien das Kommuniqué nicht unterschrieben. Andere afrikanische Staaten wie Kenia, Somalia und sechs Mitglieder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hatten sich hingegen hinter das Dokument gestellt.
Laut der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ist es erklärtes Ziel der Konferenzorganisatoren gewesen, „möglichst viele nichtwestliche Staaten auf den Bürgenstock zu lotsen“. Dies sei nur bedingt gelungen. China, Pakistan, Kasachstan und weitere Staaten hatten eine Teilnahme trotz Einladung abgelehnt. Andere Teilnehmer hatten nur diplomatisch niederrangige Delegationen entsandt. Bislang unterstützen international nur westliche Staaten und enge US-Verbündete aus anderen Weltregionen die Erklärungen der ukrainischen Regierung.
Um möglichst viele Staaten zu einer Unterschrift zu bringen, habe man sich in dem Dokument nur auf wenige Punkte der sogenannten „Friedensformel“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij fokussiert, hieß es aus Schweizer Regierungskreisen. Trotzdem habe ein „unüblich hoher Anteil“ von Staaten die Unterzeichnung verweigert, schrieb die NZZ. Die Schweizer Zeitung „Weltwoche“ bezeichnete die Konferenz als „Fiasko“. Laut dem außenpolitischen Magazin „German Foreign Policy“ verweigerten sich gerade die „Schwergewichte des Globalen Südens“. Es habe sich auf dem Bürgenstock-Gipfel „erneut gezeigt, dass der Westen sogar mit äußerstem Einsatz nicht mehr in der Lage ist, globale Mehrheiten für seine Vorhaben zu mobilisieren“.