Streit um Kinderarmut: Statistikexperte hält Angaben des DIW für unglaubwürdig

(11.05.2011/dpa)

Manch einem mag das seltsam vorgekommen sein. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) korrigierte seine Berechnungen zu Kinderarmut so drastisch, dass hierin eine Täuschungsabsicht vermutet werden konnte. Diesem Verdacht gibt nun ein ausgewiesener Statistikexperte neue Nahrung.

Im Jahr 2005, so das DIW, habe der Anteil armer Kinder bei 10,0 Prozent – und nicht bei 16,3 Prozent gelegen. Die Zahl von 16,3 Prozent veröffentlichte die OECD laut Financial Times Deutschland (FTD) 2009 in ihrem Bericht „Doing Better for Families“ drei Wochen vor der Bundestagswahl. Die Veröffentlichung führte damals zu Diskussionen und Versprechen im Wahlkampf.

Die Korrekturen wurden nach Angaben des DIW-Experten Markus Grabka notwendig, weil immer mehr Befragte Auskünfte verweigerten. „In den 11.000 befragten Haushalten hat sich die Zahl derjenigen, die nicht antworten, vergrößert. Die Bereitschaft der Teilnehmer mitzumachen sinkt seit 2000.“ Vor allem bei Familien mit mehreren Verdienern habe man große Schätzprobleme bei unvollständigen Einkommensangaben. „Diesen Messfehler haben wir behoben“, sagte Grabka.

„Für mich sind die Daten hochgradig unglaubwürdig“, sagte dagegen Gerd Bosbach, Professor für Statistik, Mathematik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Fachhochschule Koblenz im Interview mit der jungen Welt (Mittwochausgabe). (1)

Der Koautor des Buches „Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden“ sagte weiter: „Was mich stutzig macht, sind die Widersprüche zu anderen Erhebungen. Laut Mitteilung des Statistischen Bundesamtes vom Januar waren im Jahr 2009 nach einer EU-Stichprobe 15,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland armutsgefährdet. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung über Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern bezogen im Jahr 2008 in den Bundesländern zwischen 7,4 und 35,7 Prozent der unter 15jährigen SGB-II-Leistungen. Lediglich Bayern lag unter der 8,3-Prozent-Quote des DIW, Baden-Württemberg lag genau auf der Grenze, alle anderen zum Teil deutlich darüber. Wenn das DIW jetzt völlig andere Ergebnisse präsentiert, muss an den Zahlen gearbeitet worden und kann Absicht im Spiel gewesen sein.“

Bosbach gibt Spekulationen wider, nach denen „sich das DIW den Regierungsinteressen mehr anpassen will, um demnächst beispielsweise wieder als Wirtschaftsgutachter im Regierungsauftrag zum Zuge zu kommen. Das Institut liefert schon seit längerem Ergebnisse, die der Regierung eher zupass kommen.“

Der Wissenschaftler fordert deshalb: „Die Statistik darf nicht länger privaten Instituten überlassen bleiben, sondern muss in staatliche Hand. Man darf einfach nicht zulassen, dass beim Forschen an einem so wichtigen Thema wie der Kinderarmut womöglich Geschäftsinteressen verfolgt werden. Ich plädiere dafür, die Daten im Rahmen des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes zu erfassen. Hier werden 400.000 Haushalte mit Auskunftspflicht befragt und nicht wie vom DIW nur 10.000 auf freiwilliger Basis. Außerdem muss die ganze Forschung öffentlich transparent gemacht werden.“

(1) http://www.jungewelt.de/2011/05-11/008.php

Drucken

Drucken

Teilen