Türkei: Repression statt Entspannung

(18.06.2013/dpa)

Die türkische Regierung setzt trotz einer leichten Entspannung bei der Protestwelle im Land weiter auf Repression. Nach den nun fast drei Wochen dauernden Demonstrationen nahmen Anti-Terror-Einheiten am Dienstag mindestens 84 Gesuchte fest, wie türkische Medien berichteten. Die Opposition setzt nun auch auf stillen Protest, bei dem Demonstranten an Brennpunkten stundenlang bewegungslos verharren. Die Aktion eines einzelnen Mannes in der Nacht fand sofort viele Nachahmer.

Die Berichte über den Protest des stehenden Mannes (türkisch: duran adam), der stundenlang auf dem Taksim-Platz stand und in Richtung eines Porträts des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk starrte, hatten sich über den Kurznachrichtendienst Twitter (Hashtag #duranadam) verbreitet.

Nach wochenlangen Auseinandersetzungen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der türkischen Polizei war die Nacht zum Dienstag in Istanbul vergleichsweise ruhig.

Wie Aktivisten über soziale Netzwerke mitteilten, gab es auf dem zentralen Taksim-Platz lediglich Festnahmen, als sich Dutzende Gegner der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dem stillen Protest des einzelnen Demonstranten anschlossen. Andernorts in Istanbul habe die Polizei erneut Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt. Auch aus der Hauptstadt Ankara wurden wieder Zusammenstöße gemeldet.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat die Türkei aufgefordert, exzessive Polizeigewalt gegen Demonstranten zu unterbinden. Die Regierung in Ankara sei verantwortlich dafür, dass Sicherheitsleute jederzeit die international anerkannten Menschenrechte respektierten. Wer dagegen verstoße, müsse zur Verantwortung gezogen werden, forderte Pillay am Dienstag in Genf. „Jede übermäßige Gewaltanwendung muss bestraft werden, wenn das Vertrauen in die Bereitschaft der Behörden zur Rechtstaatlichkeit wiederhergestellt werden soll“, erklärte sie. „Ich fordere die Regierung auf, friedliche Protestaktionen zu erlauben und zu beschützen.“

Die Erdogan-Regierung fühlt sich an diese Aufforderung offenbar nicht gebunden. Stattdessen befürchten viele Aktivisten Rachemaßnahmen seitens der Regierung, sollte die Bewegung  abflauen und aus dem Fokus des öffentlichen Interesses verschwinden. Anzeichen für die Richtigkeit dieser Einschätzung lieferten Anti-Terror-Einheiten, die am frühen Diensttagmorgen begannen, Wohnungen in Istanbul, Ankara und der nordwestlichen Provinz Kocaeli zu durchsuchen. Den währenddessen Festgenommenen wird vorgeworfen, in die Proteste gegen die Regierung verwickelt und für Gewalt gegen Polizisten verantwortlich zu sein, hieß es in Medienberichten. Regierung und Behörden hatten in den vergangenen Tagen erklärt, es sei bekannt, wer die Demonstrationen mitorganisiert und unterstützt habe. Sie müssten mit Strafen rechnen.

Die landesweite Protestwelle hatte sich an der brutalen Räumung eines Protestlagers im Gezi-Park in unmittelbarer Nachbarschaft des Taksim-Platzes entzündet, das am Wochenende zum zweiten Mal geräumt wurde. Die Regierung plant dort den Nachbau einer osmanischen Kaserne mit Wohnungen, Geschäften oder einem Museum. Inzwischen richten sich die Demonstrationen aber vor allem gegen den autoritären Regierungsstil Erdogans.

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