Unter Druck: Erdogan spricht von „Verschwörung“

(25.02.2014/dpa)

Im Internet tauchen angebliche Aufnahmen von kompromittierenden Telefonaten des türkischen Ministerpräsidenten mit seinem Sohn auf. Ein Gesprächsteilnehmer fordert den anderen auf, Geld wegzuschaffen. Der Druck auf Erdogan steigt.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat kompromittierende Mitschnitte von angeblichen Telefonaten mit seinem Sohn Bilal als Fälschung zurückgewiesen. Erdogan sprach am Dienstag vor Abgeordneten seiner islamischen-konservativen AKP in Ankara von einer „Verschwörung“ und einem Angriff gegen die Türkei und ihren Ministerpräsidenten. Auf Youtube waren zuvor Mitschnitte von Telefonaten veröffentlicht worden, auf denen angeblich Erdogan seinen Sohn dazu auffordert, große Geldmengen vor Korruptionsermittlern in Sicherheit zu bringen.

Die Opposition forderte Erdogans Rücktritt. Die Telefonate sollen am 17. Dezember 2013 geführt worden sein. An dem Tag wurden bei Großrazzien zahlreiche Verdächtige aus dem Umfeld der Regierungspartei AKP unter Korruptionsverdacht festgenommen, darunter auch die Söhne von drei Ministern. Vier Minister mussten im Zuge der Affäre zurücktreten.

Das Youtube-Video wurde bis Dienstagnachmittag rund zwei Millionen Mal angeklickt. Darin sagt die Stimme des älteren Gesprächsteilnehmers im ersten Telefonat, dessen Zeitpunkt mit 8.02 Uhr morgens angegeben wird: „Bringe alles weg, was in Deinem Haus ist.“ Die jüngere Stimme antwortet: „Dein Geld ist im Tresor.“ In einem Gespräch, dessen Zeit mit 23.15 Uhr angegeben wird, sagt die jüngere Stimme, 30 Millionen Euro hätten noch nicht „aufgelöst“ werden können. Sie fragt dann: „Soll etwas Geld bei Dir verbleiben?“ In einem fünften und letzten Telefonat warnt die ältere Stimme: „Sohn, Du wirst abgehört.“

Seit Wochen tauchen im Internet angebliche Mitschnitte von Telefonaten Erdogans auf. Unter anderem soll er Druck auf einen Manager einer Mediengruppe ausgeübt und die Berichterstattung im TV-Sender Habertürk beeinflusst haben. Zumindest ein solches Telefonat – bei dem der Manager aufgefordert wird, Aussagen eines Oppositionspolitikers aus dem Laufband des Senders zu nehmen – räumte Erdogan überraschend selbst ein. Er sagte zur Rechtfertigung, bei den Oppositionsaussagen habe es sich um „Beleidigungen“ gehandelt.

Kurz vor den jüngsten Telefonmitschnitten hatten am Montag Berichte in regierungstreuen Zeitungen für Aufsehen gesorgt, wonach Erdogan, zahlreiche seiner Vertrauten und selbst der Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, jahrelang abgehört worden sein sollen. Unter dem Vorwand angeblicher Terrorermittlungen seien Tausende Anschlüsse angezapft worden, schreiben die Zeitungen Star und Yeni Safak – was der laut den Berichten zuständige Staatsanwalt umgehend bestritt.

Seit den Großrazzien am 17. Dezember hat die Erdogan-Regierung Tausende nicht-genehme Polizisten und Staatsanwälte ihrer Posten enthoben. Der Ministerpräsident sieht in den Korruptionsermittlungen ein Komplott des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, mit dem er sich überworfen hat. Dessen Anhänger, so Erdogans Lesart, haben Justiz und Polizei unterwandert – und wollen mit allen Mitteln die Regierung stürzen. Die Gezi-Proteste im Sommer sieht er dabei ebenso als Teil der Verschwörung wie die Korruptionsvorwürfe.

Während der Druck auf die Regierung wächst, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage in der Türkei – ausgerechnet vor den Kommunalwahlen am 30. März, die als Stimmungstest für Erdogans islamisch-konservative AKP gesehen werden. Der angeschlagene Ministerpräsident versucht, seine Macht mit umstrittenen Gesetzesänderungen zu festigen. Neben der Entlassung tausender Beamter verabschiedete das Parlament außerdem ein Gesetz, dass der Regierung mehr Einfluss auf die Justiz ermöglicht, von Staatspräsident Abdullah Gül aber noch nicht unterschrieben wurde.

Bereits unterzeichnet hat Gül in der vergangenen Woche trotz internationaler Kritik ein Gesetz zur schärferen Kontrolle des Internets. Die Telekommunikationsbehörde kann Internetseiten demnach ohne vorherige richterliche Genehmigung sperren lassen. Am Samstag kam es deshalb in Istanbul bei Protesten gegen  die „Internet-Zensur“ erneut zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Ein weiterer Gesetzesentwurf sieht vor, die Macht des Geheimdienstes MIT auszuweiten. Journalisten, die geheime MIT-Dokumente veröffentlichen, müssten demnach mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die regierungskritische Zeitung Today’s Zaman warnte, Erdogan wolle die Türkei in einen Geheimdienststaat verwandeln.

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