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Der e-G8-Gipfel in Paris: Sarkozy heuchelt wieder

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Von SEBASTIAN RANGE, 25. Mai 2011 –

Im Vorfeld des G8-Gipfels im französischen Deauville lud Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zu einem exklusiven Internet-Forum ein, um die „Zivilisierung“ des Internets voranzutreiben. Geladen zum e-G8-Gipfel in Paris waren Mitglieder der  „high-level community“, bestehend aus Vorstandschefs, Technologieexperten, Jung-Unternehmern und Bloggern.

Rund hundert Teilnehmer folgten dem Ruf, darunter Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Google-Chef  Eric Schmidt, Amazon-Boss Jeff Bezos, Medienmogul Rupert Murdoch, BBC-Generaldirektor Mark Thompson oder auch der Herausgeber der New York Times, Arthur Sulzberger. (1)

Finanziert wurde der Gipfel laut Ankündigung aus dem „privaten Sektor“. Der Pariser Tageszeitung La Tribune zufolge mussten pro Person zwischen 100.000 und 500.000 Euro berappt werden, um teilnehmen zu können. (2) Wer diese stolze Summe aufgebracht hat und wer „ehrenhalber“ geladen wurde, ist nicht bekannt.

Bekannt ist allerdings, dass Nicolas Sarkozys jüngerer Bruder Francois Top-Manager der Werbeagentur Publicis Groupe ist, die den Gipfel ausgerichtet hat. „Es ist das erste Mal, dass die Denker und Unternehmer, die das Internet aufgebaut haben, direkt von den höchsten Ebenen der Weltpolitik angehört werden“, erklärt der Veranstalter. (3)

„Lassen Sie nicht die Revolution, die es [das Internet] ausgelöst hat, das Grundrecht des einzelnen auf sein Privatleben einschränken“, sagte Sarkozy zur Eröffnung des Forums am Dienstag in Paris. (4)

Schöne Worte, die ganz danach klingen, der staatlichen Schnüffelei in Form von verdachtsunabhängiger Vorratsdatenspeicherung und anderen Überwachungsmethoden einen Riegel vorzuschieben. Doch Sarkozy meint nicht das, was er sagt und sagt nicht das, was er meint.

Frankreichs Präsident agiert ganz im Sinne des „großen Bruder“, wie er in George Orwells 1984 beschrieben ist. Der große Bruder war ein Meister in der Sinn-Umkehrung des Gemeinten. „Krieg ist Frieden“ war eine der Parolen, die er von sich gab. Diese Denkweise hat auch ein Sarkozy verinnerlicht. Wenn er zum Angriffskrieg trommelt, dann nur, um den Frieden zu erhalten oder durchzusetzen. Wenn dabei zahlreiche Menschen getötet werden, wie gegenwärtig in Libyen, dann dient das nur der Durchsetzung ihrer Rechte als Menschen.

Auch in Sachen Internet geht Sarkozy nach dieser Devise vor: „Freies Internet, das ist zum Kriterium dafür geworden, ob es sich um eine Diktatur oder eine Demokratie handelt“, sagte der Präsident der Grande Nation auf dem e-G8-Gipfel.

Nimmt man ihm beim Wort, dann ist Frankreich eine Diktatur. Schließlich wurde unter Sarkozy eine restriktive Praxis eingeführt, die allen Vernunftbegabten als Gegenteil eines freien Internets erscheinen muss. Dank des „Hadopi“-Gesetz sind Internet-Provider in Frankreich verpflichtet, auf Verlangen der Medien- und Unterhaltungsindustrie ihre Kunden abzumahnen, wenn ein (behaupteter) Verstoß gegen Urheberrechte vorliegt. Nach der dritten Abmahnung ist es mit der Freiheit vorbei: der Internetzugang wird gesperrt.

Wenn Sarkozy von der „Zivilisierung“ des Internets redet, dann ist damit nicht der Schutz der Zivilgesellschaft vor den staatlichen Autoritäten gemeint, sondern das Recht der staatlichen Autoritäten, jeden Internetnutzer quasi präventiv als Kriminellen zu betrachten, dessen hinterlassene Spuren sorgfältig gespeichert und ausgewertet werden müssen. Alles was jemand im Internet sagt und tut, soll im Fall des Falles gegen ihn verwendet werden können.

Der Graswurzel-Imperialismus

Das ideale Internet in der Vorstellung Sarkozys soll aber nicht nur dazu dienen, die eigenen Untertanen verfolgen zu können, vielmehr soll damit auch das Ziel verfolgt werden können, unliebsame Herrscher aus dem Weg räumen zu können. „Facebook-Revolte“ oder „Twitter-Revolution“ sind die Schlagworte, hinter denen die Einflussnahme westlicher Regierungen auf ihnen unliebsame Regierungen wie im Iran, in Venezuela oder auch in Libyen kaschiert werden soll.

Seit Jahren gibt es eine Kooperation zwischen den Internet-Größen und westlichen Regierungskreisen, allen voran denen der USA. Beispielhaft dafür sei auf die Jahresversammlung der Organisation „Alliance of Youth Movements“ in New York im Jahr 2008 verwiesen. Die Allianz möchte mithilfe der „Anwendung der neuen Technologien“ Graswurzelaktivisten rund um den Globus dabei helfen, ihre „Kapazitäten zu erhöhen und einen größeren Einfluss auf die Welt“ zu erlangen. (5)

Unter der Ägidie von Mitarbeitern des US-Außenministeriums, Beratern der Heimatschutzbehörde und Mitgliedern des Council on Foreign Relatons, trafen sich dort neben den Vertretern der etablierten Medien (ABC, CBS, CNN, MSNBC, MTV) und der neuen Medien (Google, Facebook, AT&T) Graswurzelaktivisten aus allen Teilen der Welt. Darunter auch Mitglieder der „Bewegung 6. April“, welche die Proteste in Ägypten durch ihren Ausruf zum des „Tag des Zorns“ auslösten.

Ein Mitglied der „Bewegung 6. April“ fasste seine Eindrücke des Treffens in New York so zusammen: „Wir lernten, wie man Koalitionen organisiert. Das hat uns während der Revolution sicher geholfen.“ (6)

Natürlich nahmen auch Demokratie-Vorkämpfer aus Venezuela („No Mas Chavez“) an diesem Vernetzungstreffen im Dienste der Interessen des US-Imperialismus teil. (7)

Die USA haben die wichtig Rolle, die den neuen Technologien bei der Destabilisierung einer unliebsamen Regierung zukommt, frühzeitig erkannt.

Mit einem Budget von 50 Millionen US-Dollar unterstützte die US-Regierung in den letzten beiden Jahren das technische Wettrennen von Oppositionellen in arabischen und anderen Ländern gegen ihre Regierungen. Die Aktivisten werden mit Technologie unterstützt die es ihnen ermöglicht, Internetsperren zu umgehen oder Attacken gegen Webseiten abzuwehren.

Die von Facebook, Twitter und YouTube angeheizten Proteste in Ägypten oder Iran würden die Macht der Internet-Technologie als einem „Beschleuniger politischer, sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen“ aufzeigen, so ein US-Chefdiplomat. (8)

Im „Krieg gegen den Terror“ wurden bereits die nötigen Erfahrungen gesammelt, wie diese sozialen Online-Netzwerke manipuliert werden können. Eine speziell im Auftrag des Pentagons entwickelte Software ermöglicht das Erstellen zahlreicher „Fake-Accounts“, also real nicht existierender Identitäten, die von einer Person bedient werden können und sich nicht auf diese zurückverfolgen lassen.

Mittels dieser virtuell geschaffenen zahlenmäßigen Überlegenheit soll in Online-Diskussionen ein pro-amerikanischer Konsens geschaffen, widersprechende Ansichten marginalisert und somit demokratische Mehrheiten künstlich produziert werden.

Bereits 5.000 Aktivisten wurden von der US-Regierung in verschiedenen Teilen der Welt technisch unterwiesen. Anfang März 2011 fand eine Sitzung mit Teilnehmern aus Tunesien, Ägypten, Libanon und Syrien statt. „Sie gehen zurück und es gibt einen Welleneffekt“, so Michael Posner, Mitarbeiter des US-Außenministeriums. (9) Wie von Geisterhand eskalierten kurz darauf die Proteste in Syrien.

„Wir haben viel voneinander zu lernen“, betonte Sarkozy daher auf dem Internet-Gipfel die Wichtigkeit der Kooperation beider Seiten, also der westlichen Regierungen und den Vertretern der neuen Medien.

Ob in Bezug auf Libyen oder Venezuela, das Gerede von Demokratie und Menschenrechten dient letztlich nur dem Zweck, im neoliberalen Sinne eine Eigentumsform gegenüber einer anderen durchzusetzen. Sprich: Privateigentum hui, alle gemeinschaftlichen Eigentumsformen, ob staatlich oder kommunal, pfui. Dass sich Privateigentum etwa im Energiesektor im Gegensatz zu öffentlichem Eigentum grundsätzlich demokratischer Kontrolle entzieht, tut der Demokratie-Rhetorik keinen Abbruch. Auch die  angepeilte „Zivilisierung“ des Internets dient diesem Zweck. Darunter versteht Sarkozy „das Recht der Autoren, für ihre Ideen gerecht entlohnt zu werden“, also den Schutz des sogenannten intellektuellen Eigentums.

Und da es sich grundsätzlich bei jedem Internet-Nutzer um einen Gedankenverbrecher handeln könnte, muss auch grundsätzlich jeder überwacht werden. Zum Schutz der Freiheit.

Es ist allerdings nicht bekannt, ob Sarkozy George Orwell posthum dafür entlohnt hat, dass er dessen Konzept der begrifflichen Sinn-Umkehrung  fortwährend plagiiert.



Anmerkungen

(1) Übersicht der vortragenden Teilnehmer: http://www.eg8forum.com/en/speakers/

(2) http://www.latribune.fr/journal/edition-du-0205/technos-medias/1154286/le-g8-de-l-internet-un-sommet-tres-prive.html

(3) http://news.yahoo.com/s/afp/20110522/tc_afp/g8franceinternetmediaindustry

(4) Soweit nicht anders angegeben: alle Zitate dpa.

(5) http://www.movements.org/pages/mission

(6) http://www.nytimes.com/2011/04/15/world/15aid.html?_r=2&nl=todaysheadlines&emc=globaleua2

(7) Übersicht der Teilnehmer: http://allyoumov.3cdn.net/f734ac45131b2bbcdb_w6m6idptn.pdf

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(8) http://www.thestarphoenix.com/technology/trains+activists+worldwide+phone+Internet+protection/4582578/story.html

(9) http://www.dailymail.co.uk/news/article-1367535/U-S-military-using-fake-online-profiles-spread-propaganda.html

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