Erziehung zum Glotzen
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Das Talkshow-Sedativ – Wer vor der Wunderlampe döst, stört die Reichen nicht beim Geldzählen –
Von VOLKER BRÄUTIGAM, 21. März 2011 –
Zuerst die gute Nachricht: Es bleibt dabei, dass Anne Will im Herbst von ihrem Sendeplatz im „Ersten“ weichen muss. Jetzt mehrere schlechte: Es bleibt dabei, dass statt ihrer Günther Jauch die lästige sonntägliche Politquasselei moderieren wird. Will bekommt einen anderen Talktag. Die Zahl der Sendungen im „Gesprächsformat“, mit denen die ARD nervt, wird auf fünf pro Woche erhöht. Die übrigen „Moderatoren“, die dafür zu sorgen haben, daß die Gespräche moderat, das heißt seicht und unergiebig bleiben: Reinhold Beckmann, Frank Plasberg und Sandra Maischberger.
Seit September 2007 beeinträchtigt Anne Will die TV-Sonntagabende. Vorher machte das Sabine Christiansen. Beide Frauen hatten als Redakteurinnen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Christiansen: NDR, Will: SFB, später WDR) begonnen und schließlich die Weihen zur teleprompter-gestützten Moderation der ARD-Tagesthemen erhalten. Das allabendliche Vorlesen machte sie unabwendbar einem Millionenpublikum bekannt. Alsbald zu ARD-Talkshow-Masterinnen ernannt, mutierten sie aus eigenem Antrieb zu Firmenchefs, ließen ihre Sendungen vom eigenen Unternehmen produzieren (TV21 GmbH bzw. Will Media GmbH), kassierten ein Vielfaches ihrer früheren Gehälter als Gewinn – und wurden Millionärinnen.
Der Vollständigkeit halber seien hier die übrigen Firmen genannt, deren Bosse im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mittels Talkrunden fette Beute machen: Beckground TV+Film Produktion GmbH (Beckmann, montags), Vincent Television GmbH (Maischberger, dienstags), Ansager und Schnipselmann GmbH & Co KG (Plasberg, mittwochs).
Bald darf Günther Jauch sonntags mit seiner I&U, Information & Unterhaltung TV GmbH am meisten absahnen. Die konkrete Summe verschweigt der federführende NDR verständlicherweise: Laut Wikipedia sind es unverschämte 10,5 Millionen Euro für jeweils 39 Sendungen. Demnach wird Jauch brutto 4487 Euro pro Minute kassieren. Zwar brauchte er das „Erste“ nicht, um reich zu werden, er ist schon vielfacher Millionär. Wohl aber fragt man sich, ob seine NDR-Vertragspartner den Straftatbestand der Untreue erfüllen. Den Vorwurf maßloser Unanständigkeit verdienen sie allemal.
Jauch startete einst beim BR in München. Seine Entwicklung hin zum TV-Reklameonkel verlief nicht eben geradlinig. Man warf ihm vor, er habe in seinen Magazinsendungen erfundene Storys publizieren lassen. Doch gilt er längst als quotensicherer „Infotainer“. Zum seriösen politischen Journalisten qualifiziert ihn nichts. Aber die ARD will mit seinem sonntäglichen Talk-Spektakel ja nicht ihren vorrangigen Informationsauftrag erfüllen, sondern nachrangige Unterhaltungssucht bedienen, zwecks hoher Einschaltquoten.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist staatsfern zu organisieren und von gesellschaftlich relevanten Gruppen zu kontrollieren. Deren Emissäre – Arbeitgebervertreter, Gewerkschafter, Kirchenleute, diverse Verbandsfunktionäre, Wissenschaftler, Kulturmenschen und vor allem die Aufpasser der Staatskanzleien sowie die Platzhirsche der bürgerlichen Parteien – sollen in den Rundfunkgremien für Unabhängigkeit und Programmqualität sorgen. In welchem Ausmaß ihnen das misslingt, kann der Zuschauer tagtäglich feststellen.
Dem WDR-Rundfunkrat fiel immerhin auf, dass die ARD-Intendantinnen und -Intendanten mit ihrem Aufgebot ewig gleicher Gesichter – der Moderatoren wie auch der Talk-Gäste – Gefahr laufen, ihr Publikum zu vergraulen, zumindest das junge (obwohl zu dem Zweck bereits der Musikantenstadl ausgestrahlt wird. Der könnte geradeso gut „Fossilienstadl“ heißen). Die WDR-Räte monierten, „dass die bis Herbst vorhandene Zeit nicht genutzt wurde, grundsätzlich und ergebnisoffen über die Programmstruktur im Ersten zu diskutieren und auch darüber nachzudenken, wie die Qualitäten der genannten Moderatorinnen und Moderatoren anders und möglicherweise besser eingesetzt werden können, ohne den Zuschauerinnen und Zuschauern an fünf Tagen in der Woche Talk, wenn auch in unterschiedlicher Form anzubieten. (…) Insofern wurde mit den aus unserer Sicht vorschnellen Entscheidungen zur zukünftigen Programmstruktur im Ersten eine Chance vertan.“ (WDR-Pressemitteilung).
Und wie steht es mit den Talk-Teilnehmern? „Beim Deutschen Fernsehen gibt es einen extrem kleinen Adress-Zettelkasten. Die 25 Talkshow-Redaktionen ziehen daraus ihre 6 aus 49 Kandidaten. Mehr als 49 Gästenamen passen leider nicht in das Kästchen. Deshalb dominieren Heiner Geißler und Heinz Olaf Henkel noch immer die Hitlisten der Talkshow-Gäste“, spottete Wolfgang Micha im Internet-Portal Carta unter dem Titel ARD & Co.: Die vorhersehbare Talkshow.“
Angesichts ihres nach dem Peterprinzip gestalteten Innenlebens (jeder Beschäftigte neigt dazu, in einer komplexen Hierarchie bis zu einer Stufe aufzusteigen, für die er ungeeignet ist) verwundert es allerdings, dass die ARD nicht statt Jauch die Tagesthemen-Moderatorin Carmen Miosga kürte. Längst ist sie prädestiniert, kann sie doch Wörter quirlen wie keine Zweite und grandios schwachsinnig formulieren: „Guten Abend, meine Damen und Herren. Dass die Wahrheit im Krieg zuerst stirbt, ist eine Binse, die aber auch wieder mal bestens beschreibt, was in Ghaddafis Wüstenstaat seit Wochen vor sich geht.“ (Tagesthemen, 6. März 2011). Oder hier: „Dass man als Beginn des Karnevals den Elften Elften gewählt hat, geht auf die Theorie zurück, nach der dafür die Anfangsbuchstaben des Mottos der Französischen Revolution herhalten mussten: Égalité, légalité, fraternité (sic!) – zusammen: Elf.“ (Tagesthemen, 19.02. 2009). Ihr Götter, erbarmt euch!
Ich hatte dieser ARD-Begnadeten vor Jahren ein kleines Denkmal gesetzt. (1) Es blieb so folgenlos wie die Maulschelle des WDR-Rundfunkrates für die ARD-Intendanten. Die haben das Ding weggesteckt. Statt Aufklärung, Reflektion und anspruchsvollen Diskurs zu ermöglichen, lassen sie das Publikum vom Herbst an von noch einem weiteren lausigen TV-Schwadroneur sedieren. Der höhere Zweck: Döst das Volk vor der Glotze, wird es die Besitzenden und Mächtigen nicht beim Geldzählen stören. Wer seine Zeit vor der häuslichen Wunderlampe verschwendet, dem erschließt sich der Zweitnutzen von Straßenlaternen nicht.
Die französischen Revolutionäre kannten zwar das von Miosga so erbärmlich falsch zitierte „Motto“ nicht: Das Fanal „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ (Liberté, Ègalité, Fraternité!) wurde ihnen ja erst ein halbes Jahrhundert später zugeschrieben, während der Regentschaft Napoleons III. Aber Kampfrufe hatten die 1789er Revolutionäre tatsächlich, z.B.: „Les aristocrates à la lanterne!“ Auf moderne Verhältnisse umformuliert müsste er lauten: „Das Kapitalistenpack, seine Politlakaien und journalistischen Stiefellecker – ins Bergwerk, Sohle 13!“
Mit freundlicher Genehmigung der Politikzeitschrift Ossietzky, Berlin-Hannover.
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(1) Volker Bräutigam, „Hirn-Tot-Schlag“, in: Die Falschmünzer-Republik. Scheunen-Verlag, Kückenshagen, ISBN 978-3-938398-90-6