Medien

Im Kampf um das freie Wort

Woran Zensurmaßnahmen scheitern

1760849070

Foto: stevepb; Quelle: pixabay; Lizenz
Mehr Infos

Das Zensurgeschehen hat sich in den vergangenen Jahrhunderten von der Kirche auf den Staat und zuletzt auf die großen digitalen Konzerne verlagert. Galt zur Mitte des 15. Jahrhunderts das nun über Druckverfahren herstellbare Buch der Kirche als Teufelswerk, so versucht heutzutage die Europäische Union Produzenten missliebiger Internetseiten per Sanktionslisten mundtot zu machen und ihrer bürgerlichen Rechte zu berauben. Was zu allen Zeiten ähnlich ist: Die von unterschiedlichsten Herrschaftsformen betriebenen Repressionsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer Diskurshoheit scheitern – an systemischen Widersprüchen, an risikofreudigen Unternehmern und vor allem an der menschlichen Kreativität.

Beginnen wir unsere kurze Rückschau auf gescheiterte Zensurregime mit dem Kampf der katholischen Kirche gegen die Druckerpresse eines gewissen Johannes Gensfleisch, besser bekannt unter dem Namen Gutenberg. Der hatte in den späten 1440er Jahren ein neues Druckverfahren mit beweglichen Lettern entwickelt und damit den Klerus herausgefordert. Zwar druckte Gutenberg sogleich die Bibel und zeigte damit die damals übliche Gottesfurcht, aber mit seiner neuen Technologie war die Monopolstellung der Kirche auf Information gebrochen. Bis dahin fungierte nämlich die Kanzel als einziger Ort, an dem Wahrheit verkündet oder Angst verbreitet wurde. Dazu bedurfte es freilich keiner allgemeinen Alphabetisierung. Kirchenmänner und Adelige waren – neben ganz wenigen Bürgern – die Einzigen, die lesen und schreiben konnten. Zu Ende des 15. Jahrhunderts betrug die Alphabetisierungsrate in Deutschland geschätzte 5 Prozent. Mit der Erfindung des Buchdrucks eröffnete sich ein ganzes Universum an Bildungsmöglichkeiten. Nun konnte es interessant sein, lesen zu lernen. Nicht zufällig war es der Erzbischof und Kurfürst von Mainz, Berthold von Henneberg, der im Jahr 1486 die erste Zensurbehörde einrichtete, und zwar genau in jener Stadt, in der Gutenberg junge Männer in der Kunst des Buchdrucks unterrichtet hatte. Ohne das „Imprimatur“ – lateinisch für „Es werde gedruckt“ – der Kirchenväter durfte mithin keine Schrift vervielfältigt werden. Wer es dennoch tat, musste hohe Geldstrafen und die Exkommunikation gewärtigen.

Dass sich gegen derlei Praxis bald Widerstand regte, verwundert nicht. Und als Martin Luther im Oktober 1517 seine für Rom ketzerischen Thesen an die Pfarrkirche von Wittenberg heftete, war es mit der Allmacht der katholischen Kirche bald vorbei. Zwar wurde der protestantische Rebell per päpstlicher Bannbulle ex- kommuniziert. Und Kaiser Karl V. sprach mit eigens erlassenem Wormser Edikt den Reichsbann über ihn aus, was Luther all seiner Bürgerrechte beraubte, oder besser: berauben sollte. Denn nicht alle Fürsten des Reiches handelten entsprechend. Der Landesherr Friedrich von Sachsen hielt sich weder an den päpstlichen noch an
den kaiserlichen Bann und gewährte Martin Luther Schutz.

Die territoriale Zersplitterung der deutschen Lande bot in der Folge vielerlei Möglichkeiten für religiöse oder politische Oppositionelle, Zensurmaßnahmen – oder auch angedrohten Gefangenschaften – zu entkommen, indem man in weniger repressive Fürstentümer auswich; freilich unter Verlust der Heimat und nicht selten ohne jegliches Vermögen. Veröffentlichungsverbote und Verbannung scheiterten bis ins 19. Jahrhundert immer wieder an unterschiedlichen Herrschaftspraktiken.

Die katholische Kirche gab sich allerdings im Kampf um die Meinungshoheit nicht so leicht geschlagen. Schon 1559 erschien der erste sogenannte „Index librorum prohibitorum“, ein Verzeichnis verbotener Bücher. Wer solche in Umlauf brachte oder auch nur las, musste mit strengen Strafen rechnen. Hier galt dasselbe wie zuvor: Die unterschiedlichen politischen Verhältnisse im Deutschen Reich boten immer wieder Ausweichmöglichkeiten. Und je mehr sich die Macht der Kirche am aufkommenden Absolutismus zerrieb, desto weniger Wirkung zeigten die Strafandrohungen. Es gab Buchhändler, die indexierte Texte mit dem Buchumschlag „Verboten vom Heiligen Offizium“ versahen, weil sie sich damit einen Werbeeffekt und höhere Verkaufszahlen beim kirchenskeptischen Publikum versprachen. Als dann im Jahr 1777 ein Wiener Buchhändler namens Johann Georg Binz den kirchlichen Index als Druckwerk herausgab, um nicht jedes von Rom verbotene Buch einzeln anpreisen zu müssen, war dies ein sichtbares Zeichen für die Schwäche der Zensurbehörden. Da half es auch nichts mehr, dass die Kirche den gedruckten Index auf den Index setzen ließ.

„Preßfreiheit“ im 18. Jahrhundert

Vernunft statt Glauben. Das 18. Jahrhundert war in den europäischen Städten vom rationalen Denken der Aufklärung geprägt. Harte Zensurmaßnahmen konnten immer wieder Schaden anrichten, das freie Wort allerdings nicht ständig verbieten. „Preßfreiheit“ lautete die Forderung der Intellektuellen jener Zeit. Bei den Herrschenden stießen sie damit nur zaghaft und jeweils zeitlich begrenzt auf Zustimmung. Der Habsburger Kaiser Josef II. schien vom freigeistigen Zeitalter angesteckt, als er die Zensurschraube im Jahr 1781 lockerte und bislang verbotene Literatur erlaubte. Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. wiederum begründete 1788 das Anziehen genau jener Schraube damit, dass die gewährte „Preßfreiheit“ in „Preßfrechheit“ umgeschlagen sei.

Die Französische Revolution von 1789 und die Deutsche Revolution von 1848 stellten für ihre Länder Akte der Befreiung dar, die sich auch auf das Publikationswesen – zumindest für kurze Zeit – positiv auswirkten. Die Reaktion folgte jeweils bald auf dem Fuße. Insbesondere Napoléon mit seinem allgegenwärtigen Spitzelwesen und die „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819, die für den gesamten Deutschen Bund Geltung hatten, waren Repressionsmaschinen gegen die freie Meinungsäußerung, wie sie bis dahin nicht existiert hatten. Der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm bezahlte den Vertrieb Napoléon- feindlicher Schriften mit seinem Leben. Die Schergen des französischen Monarchen verschleppten ihn ins damals bayrische Braunau, umzingelten die Innenstadt mit Hunderten Soldaten und exekutierten Palm am Hauptplatz der Innstadt.

Auch die Freude über die Abschaffung jeglicher Zensur im Zuge der Deutschen Revolution von 1848 währte nur kurz. Bereits am 19. Mai 1849 wurde das Flaggschiff der progressiven Bewegung, die von Karl Marx herausgegebene Neue Rheinische Zeitung, verboten. Marx und viele andere flohen aus deutschen Landen. Widerstandsformen gegen Zensurmaßnahmen erschöpften sich meist in der Emigration.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

„Eine Zensur findet nicht statt“, so oder ähnlich hieß es nach 1945 in der BRD, der DDR, der Schweiz und Österreich, nachdem die Welt in Schutt und Asche gelegt worden war. Das freie Wort war wieder in Gebrauch und vor allem: Dort, wo es eingeschränkt wurde, gab es Widerstand. Im deutschen Osten entstanden Kulturen des Samisdat und des Tamisdat. Die aus dem Russischen stammenden Wörter bedeuten Selbstverlag und Dortverlag. Im ersten Fall wurden verbotene Schriften im Untergrund selbst verbreitet, Matrizendrucker halfen bei der Vervielfältigung. Tamisdat wiederum bezeichnet die Herstellung von Druckwerken im Ausland, „dort“ eben, von wo sie dann in kleinen Auflagen über die Grenze geschmuggelt wurden.

In Westdeutschland wehrten sich sowohl Verleger (zum Teil auch aus unternehmerischem Interesse) als auch Schriftsteller und Künstler gegen Publikationsverbote. Diese kamen Mitte der 1970er Jahre im Zuge des Aufstiegs linksradikaler Gruppen wieder zahlreich zum Einsatz. Stoßtrupps von Polizisten durchkämmten verdächtige Buchhandlungen, denen man vorwarf, staatsfeindliche Literatur zu verkaufen. Vier Arbeiter des Drucker-Kollektivs „Agit-Druck“ wurden im Oktober 1977 verhaftet und wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ – gemeint war die Herstellung von Druckerzeugnissen, die mit der Roten Armee Fraktion sympathisierten – zu Haftstrafen verurteilt. Staatlicherseits konfisziert wurden unter anderem Titel der maoistischen Oberbaumpresse wie Bernd Rabehls Oktoberrevolution oder der Rote Kalender 73.

Auf breiten Protest stieß eine vom Münchner Amtsgericht angeordnete Beschlagnahmung des Buches Wie alles anfing von Michael „Bommi“ Baumann, herausgegeben im Trikont-Verlag. Der Autor war in der bewaffneten „Bewegung 2. Juni“ aktiv, einer Berliner Stadtguerilla, die zum Beispiel Anschläge auf Landeskriminalämter und führende Repräsentanten des von ihnen verhassten Systems verübte. Seit 1972 befand sich Baumann auf der Flucht und pendelte zwischen Syrien und Afghanistan. Aus dem Untergrund rief er zur Einstellung des bewaffneten Kampfes auf: „Werft die Knarre weg“, ließ er seine Genossen wissen. Der Staatsschutz suchte nach ihm. In dieser Situation, in der seine Schrift verboten wurde, schlossen sich linke und linksliberale Intellektuelle zusammen und brachten eine spektakuläre Reprint-Ausgabe von Wie alles anfing heraus. Zu dem guten Dutzend Autoren der Rettung des Baumann-Textes zählten Peter Handke, Jean-Paul Sartre, Gerhard Zwerenz und Wolfgang Abendroth. Der Reprint wurde zum Bestseller und die Zensur damit umgangen.

Während der 1980er- und 1990er Jahre schien der Zensurapparat in einen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Zensur fand nun tatsächlich kaum statt. Erst mit dem Wiedererstarken Russlands kam die Verbotskultur – meist von Deutschland aus- gehend – wieder in Schwung. Mit ihr sollte verhindert werden, dass eine andere als die transatlantische Sichtweise auf die Welt hierzulande Verbreitung findet. So viel kann schon gesagt werden: Dieses Vorhaben misslang.

Vom RT- bis zum Compact-Verbot: gescheitert

Der erste massive Löschangriff gegen das zum damaligen Zeitpunkt größte oppositionelle Videoportal des deutschsprachigen Raumes kam am 21. September 2021, fünf Tage vor der deutschen Bundestagswahl. YouTube nahm RT.de, den von Russland finanzierten Auslandssender, vom Netz. Begründet wurde dies nicht, außer man hält die lapidare Zeile, die nun statt der Inhalte von RT.de am Bildschirm aufpoppte, für eine Rechtfertigung: „Verstoß gegen die Gemeinschaftsregeln von YouTube“.

Den vollständigen Text lesen Sie in der  aktuellen Ausgabe 9/10 2025 unseres Magazins, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

HANNES HOFBAUER Jahrgang 1955, österreichischer Autor und Verleger, u. a. für Analyse & Kritik, Konkret, Junge Welt oder Neues Deutschland, Ko-Geschäftsführer des Promedia Verlages Wien. Von ihm ist kürzlich er- schienen: „Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland“. Zum Thema hat er das Buch „Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung“ 2022 veröffentlicht.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Medien „Die Menschen wollen Frieden und die Presse hetzt für den Krieg“
Nächster Artikel Editorial von Heft 11/12-2025 Kanonen statt Butter