Medien

Missionare des neoliberalen Glaubens – oder wie Unternehmer-Kampagnen Politik (an)stiften

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von WERNER BIERMANN und ARNO KLÖNNE, 25. November 2007:

Eine Botschaft wirkt um so glaubwürdiger, je häufiger sie wiederholt wird, am besten aus vielen scheinbar voneinander unabhängigen Quellen. Wenn in der Öffentlichkeit zahlreiche unterschiedliche, überparteiliche Organisationen, Politiker aller Lager und „hochkarätige Experten“, alle das Gleiche sagen, so zeigt dies beim normalen Bürger Wirkung: An den Positionen muß wohl was dran sein. Auf diese Weise werden die gewünschten Themen auf die politische Tagesordnung gehievt und wunschgemäß diskurspolitisch abgearbeitet.

Wesentlich ist dabei, daß Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse bei der Regierung entsprechend beeinflußt werden. Dazu dienen die sogenannten Kommissionen. Die zentralen ‚Reformvorhaben’ der rotgrünen Bundesregierung wurden in solchen Kommissionen vorgedacht, die vornehmlich von medial erzeugten Experten und Unternehmensberatern bestückt waren. Ob sie qualifiziert, unabhängig oder im Auftrag mächtiger Lobbygruppen agieren, ist in solchen Fällen oft nicht zu klären; entscheidend ist: diese Experten besitzen keine demokratische, in Wahlen oder durch Parlamente erworbene Legitimation, sie sind jedoch so einflußreich, daß sie die Fachgremien in den Fraktionen der politischen Parteien und die Parlamentsausschüsse überragen: Die sogenannte Agenda 2010 der Regierung Schröder wurde maßgeblich von Experten der Bertelsmann Stiftung konzipiert. Für die SPD-Parlamentarier und die Basis der Partei hieß es dann nur noch, den Vorschlag abzusegnen, aber keinesfalls zu diskutieren. Und die Grünen hatten dabei nur mitzutun.

Die Herzog-Kommission der CDU zu Sozialkonzepten der Zukunft bestand im wesentlichen aus Mitarbeitern der Beratungsfirma McKinsey. Auch hier wurden innerparteiliche Diskussions- und Entscheidungs-prozesse umgangen.
Großunternehmerische Interessengruppen zögern nicht, ihren Einfluß auf das Regierungshandeln zur Geltung zu bringen und sich nötigenfalls über die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie hinwegzusetzen. Interessengruppen „der Wirtschaft“ (Wirtschaftsverbände, einzelne Unternehmen, Handelskammern) haben im heutigen politischen System einen höheren Stellenwert als etwa Lohnabhängige, Verbraucher, Arbeitslose, Rentner oder Kinder. Ein wichtiges Kennzeichen ist dabei der informelle Charakter dieser oft verdeckten Einwirkung auf Entscheidungsprozesse, die Einfußnahme abseits der Öffentlichkeit und jenseits des Parlaments. Lobby-Arbeit kommt dem Anspruch von Demokratien nach größtmöglicher Transparenz und Regelhaftigkeit des Regierungshandelns nicht nach. Ministerialbeamte, Minister und Staatssekretäre sind normativ dem Gemeinwohl verpflichtet. Die Öffentlichkeit hat deshalb das Recht, zu erfahren, welche Interessen bei politischen Entscheidungen im Spiel sind. Dies wird aber immer schwieriger, und inzwischen werden komplette Gesetzesvorlagen von den Lobbyisten ohne öffentlich erkennbaren Absender geliefert. Die Aushöhlung des Parlamentarismus mit seinen Funktionen, Politik zu formulieren und zu kontrollieren, schreitet damit weiter voran, so Thomas Leif und Rudolf Speth in ihrem Zeit-Online Artikel „Die fünfte Gewalt“ (1)

„Die parlamentarischen Prozesse, in deren Verlauf eigentlich politische Konzepte diskutiert, verändert und zur Entscheidungsreife gebracht werden sollen, haben hier nur noch den Charakter eines nachgeordneten Verwaltungsablaufs. Die politischen Grundentscheidungen sind längst außerhalb des Parlaments und sogar außerhalb der zuständigen Ministerien vorbesprochen und festgelegt. Vom Volk und seinen Parlamentariern erwartet man nicht aktive Teilnahme am demokratischen Prozeß, sondern Akklamation und Einsicht in scheinbar unabweisbare Notwendigkeiten. Nicht, was das Volk will, soll umgesetzt werden, sondern unterstellt wird, der Bürger müsse über ‚das Notwendige’ aufgeklärt werden; und genaue dieser Einblick in das Notwendige entziehe sich dem demokratischen Souverän. Suggeriert wird, über den entsprechenden Sachverstand verfügten nur die klügsten Berater und Ökonomen“, schreibt Albrecht Müller in seinem Buch Machtwahn. (2)

Damit die parlamentarischen Institutionen kein störendes Eigenleben entwickeln, werden sie von außerparlamentarischen Elitezirkeln an die Hand genommen. Dies hat System, weil der Neoliberalismus eben nicht einfach eine Ideologie ist, sondern ein hegemoniales und plurales Projekt, das der ständigen Reartikulierung durch „Wissensarbeiter“ des Kapitals bedarf, um die Akzeptanz herrschender Interessen immer wieder neu abzusichern; ein Partikularinteresse – wie etwa die „Profitmaximierung“ – wird so als ein allgemeines Interesse ausgegeben.

Eine anti-demokratische und autoritäre Gesellschaftsformen begünstigende Politik wirft für die Vertreter des Neoliberalismus keine Probleme auf. Der Neoliberalismus stellt ein ökonomisches Konstrukt dar, das die Reduzierung staatlicher Eingriffsfähigkeit im ökonomischen Bereich zur politischen Maxime erhoben hat. Politische Amtsinhabe ist von relativ geringer Bedeutung, solange diese die Vorgaben erfüllen kann, die kapitalorientierte Ökonomen und Berater aufstellen. Das oberste Ziel ist eine möglichst weitgehende Selbststeuerung der Märkte, die nach der Theorie automatisch zu optimalen Verhältnissen führen müsse. Daher rechtfertigen sich für Neoliberale auch enorme soziale Kosten, die bei „wirtschaftsfreundlichen“ Umgestaltungen zwangsläufig anfallen.

„Die Waage“ – eine Aktion für ‚Soziale Marktwirtschaft’ aus den 50er Jahren

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (abgekürzt: INSM) ist keineswegs neu. Bereits in den 50er Jahren – zu Beginn des bundesrepublikanischen ‚Wirtschaftswunders’ – gab es eine ähnliche Initiative. Sie hieß „Die Waage“ und hatte von der Konzeption und von der politischen Stoßrichtung her deutliche Parallelen zur INSM 50 Jahre später. Bereits hier wurde die Idee geboren, daß die Unternehmer für eine ihnen gemäße Wirtschaftsform Werbung machen müßten. Entstanden ist die Idee im Umfeld des Bundes der Katholischen Unternehmer im Jahr 1952. Es galt, eine „Aktion Soziale Marktwirtschaft“ mit zu gründen und zu finanzieren, um in „leicht faßbarer Form“ mit Zeitungsanzeigen, Plakaten, Filmchen und ähnlichem mehr, ohne Polemik und frei von politischen Aggressionen für die Grundsätze, Handlungszusammenhänge und Erfolge der westdeutschen Wirtschaftsordnung zu werben.

Zu den Gründungsmitgliedern zählten vornehmlich Manager, die hohe Positionen in der Chemieindustrie innehatten; sie brachten die finanziellen Mittel auf, mit denen „Die Waage“ ihre Werbung für die „Soziale Marktwirtschaft“ Ludwig Erhards betreiben konnte. Entscheidend war aber, daß sich die Initiatoren der Initiative der Mittel bedienten, die die moderne Werbung bereitstellte.

„Die Waage“ stützte sich auf die Dienste der Gesellschaft für Gemeinschaftswerbung (GfG). Nicht nur auf diesem Gebiet war „Die Waage“ modern und eine Vorläuferin der INSM. Sie bezog auch die entstehende Demoskopie von Allensbach und Emnid mit ein. Neu und innovativ war auch die Zusammenarbeit mit der Frankfurter Werbeagentur Brose, die von der Gründung 1951 bis zum Ende der Initiative im Jahr 1965 anhielt. Die Arbeit der Agentur war für »Die Waage« entscheidend, weil sie nicht nur Konzepte für den Transport der Inhalte bieten konnte. Sie bot darüber hinaus auch PR-Dienste an, was damals einzigartig war. Ziel „Die Waage“ war es insgesamt, nicht nur auf die Bevölkerung einzuwirken, sondern auch die Wirtschaftsführer der alten Ruhrindustrien, die sich im BDI sammelten, für ein neues Wirtschaftsverständnis zu gewinnen.
„Die Waage“ war „Pionier der modernen Polit-Werbung“ und hatte einen „kommunikativen Vorsprung“ gegenüber den anderen Akteuren im sich etablierenden Politik-Markt. Sie hatte dazu beigetragen, daß die Vorstellung von der sozialen Marktwirtschaft als Interessengegensätze harmonisierendes Modell im Bewußtsein verankert wurde. Sie hat so mitgeholfen, der bundesrepublikanischen Bevölkerung einen Gründungsmythos zu verschaffen, an den heute wieder angeknüpft werden soll. (3)

Reforminitiativen heute

Die Bundestagswahl 1998 brachte mit der rot-grünen Koalition neue politische Kräfte an die Macht, die auf einen neoliberalen Kurs mit mehr Effizienz eingeschworen waren. Die Überwindung des „Reformstaus“ wurde zur programmatischen Leitlinie der Regierung Schröder, was nichts anderes bedeutete, als den vorgegebenen politischen Weg noch konsequenter zu beschreiten. Insofern konnte das sogenannte bürgerliche Lager beruhigt in die Zukunft blicken. Andererseits schien es geboten, vom außerparlamentarischen Raum aus im unternehmerischen Interesse den Gestaltungsdruck auf die Regierung zu erhöhen. Dazu dienten neue Themenfelder wie Globalisierung, demographischer Wandel und Staatsverschuldung. Ziel war es offensichtlich, die Notwendigkeit für weitere ‚Reformen’ aus der wirtschaftlichen Lage herzuleiten, die als bedrohlich und krisengeschüttelt ausgegeben wurde.

Die bis dahin verläßlichen politischen Parteien, CDU, CSU und FDP, waren verbraucht; eine neue Partei zu etablieren, war wenig verheißungsvoll. Es bot sich daher an, die SPD und die Grünen neoliberal zu präparieren und das ideologische Feld gesamtgesellschaftlich zu bestellen, was die Inanspruchnahme professioneller Werbe- und PR-Agenturen einschloß. Die in diesen Jahren gegründeten sogenannten ‚Reforminitiativen’ vermitteln dem naiven Betrachter das Bild von mitgliederstarken Gruppen und Sammlungsbewegungen, in denen sich betroffene Bürger scharenweise zusammengefunden haben. Tatsächlich handelt es sich um Kleinstvereine, die aber durch Vernetzung mit Großkapital und Medien im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig sind. Da macht es sich gut, prominente Honoratioren und solche mit wissenschaftlicher Reputation als Fürsprecher zu haben. Ein paar Beispiele:

► In mehreren Reden hatte der damalige Bundespräsident Herzog das Krisenbewußtsein in der Bevölkerung geschürt. Besonders markant war dabei seine sogenannte ‚Ruck-Rede’ vom April 1997. Dies bildete den Hintergrund für die erste Reforminitiative „Deutschland packt‘s an“. Zu den Gründungsmitgliedern zählten der Aufsichtsratsvorsitzende des Fernsehsenders n-tv, der Chefredakteur der Bild am Sonntag, der ehemalige Ministerpräsident Späth, die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach und der Chef der Werbeagentur Scholz & Friends. Ihr Anspruch: „die öffentliche Lähmung zu überwinden“. (4) Die Initiative kann als wirtschaftspsychologischer Beitrag der Medien und Werbewirtschaft zur ‚Reform’-Animation in Deutschland angesehen werden. Sie stieß damit aber auch an ihre Grenzen, denn die unterstellte mangelnde Reformbereitschaft ist nicht nur eine Frage von Stimmungen, sondern auch der konkreten Politik und politischer Interessen.

► Von anderem Zuschnitt ist der im Mai 2003 gegründete Bürgerkonvent. Mit 6 Millionen. Euro von bis heute nicht bekannten Finanziers ausgestattet, erreichte der Bürgerkonvent innerhalb weniger Monate einige Bekanntheit in der Bevölkerung. Die Gruppe pflegt eine aggressivere parteienkritische Rhetorik und verfolgt das Ziel, die Politiker unter Druck zu setzen. In der Selbstbeschreibung wird der Bewegungscharakter der Initiative betont. Der Bürgerkonvent sei eine Nichtregierungsorganisation (NGO) des Bürgertums, der bürgerlichen Mittelschichten. Der Bürgerkonvent möchte mit der Macht der Mitglieder Druck „von unten“ erzeugen. Deutlich wird dabei ein Politikverständnis, das emphatisch den Bürgerbegriff hochhält und sich auf bürgerliche Tugenden beruft. Die Politik dürfe man nicht den Werbe-Agenturen überlassen, heißt es kurioserweise aus dem Bürgerkonvent.

► Im Unterschied zum Bürgerkonvent ist die Kampagne Marke Deutschland – „Deutschland TMTM“ – von Werbe- und PR-Agenturen bestimmt. Marke Deutschland ist eine „Initiative des Management- und Technologiedienstleisters Accenture, der Markenagentur Wolff Olins und der PR-Gruppe ECC Kohtes Klewes“. (5) Ein wesentliches Motiv von Accenture scheint dabei zu sein, sich bekannt zu machen, denn diese Firma ging aus der Anderson Consulting hervor, einer Unternehmensberatung, die im Zusammenhang des Enron-Skandals in den USA in die Schlagzeilen geriet und deshalb aufgelöst wurde. Hinzu kommen Medienpartnerschaften mit der Financial Times Deutschland, dem Hessischen Rundfunk, dem Wirtschaftsmagazin impulse und mit dem Fernsehsender n-tv. Ziel ist es, Deutschland als ‚Marke’ zu begreifen und dem Land und den Menschen zu einem neuen Selbstbewußtsein zu verhelfen. Zupackend, tatkräftig und vorwärts weisend soll das neue entstehende Markenbewußtsein sein, nachdem das alte ‚Made in Germany’ sich als 50er-Jahre-Image abgenutzt hat. Das neue Markenbewußtsein soll als Katalysator für Reformen und gesellschaftliche Veränderungen genutzt werden. Methodisch handelt es sich hier um die Übertragung von Werbekonzepten aus der Konsumgüterwerbung auf gesamtgesellschaftliche Ziele.

Das Nahziel dieser Gruppierungen, auf einen Regierungswechsel bei den Bundestagswahlen 2002 hin zu arbeiten, wurde nicht erreicht. Erkennbar wurde, daß weite Teile der Bevölkerung der Demontage des Sozialen, ob von Rot-Grün oder von Schwarz-Gelb exekutiert, ablehnend gegenüberstanden. Wohl deshalb schlossen sich der Bürgerkonvent und andere Gruppen im Mai 2004 zur Aktionsgemeinschaft Deutschland zusammen. Hierbei handelt es sich eher um eine lose Koordination, die auf das Ansinnen und auf den Druck der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände zurückgeht. Beim Reformkongreß des BDI in Berlin im Jahr 2003 hat dies der Präsident des BDI Rogowski zum Ausdruck gebracht. Der Zusammenschluß sollte ein weiteres Problem beheben: Die beteiligten Initiativen waren für die Öffentlichkeit kaum auseinander zu halten. Die Aktionsgemeinschaft wollte gegenüber den politischen Parteien, die nicht in der Lage seien, Lösungswege aus der Krise zu finden, eigene Akzente setzen und herausstellen, die verschiedenen Initiativen repräsentierten eine bürgerliche „Bewegung“, die Mängel des etablierten Politikbetriebes angehen werde.

Die Gruppierung litt jedoch unter Schwächen: Kanzler Schröder selbst förderte eine neue Initiative, und die größte und finanzstärkste Gruppe, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, eine Ausgründung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, blieb abseits.

Die Initiative Partner für Innovation wurde laut Website des business & people magazins W&V im Januar 2004 auf Einladung des damaligen Bundeskanzlers gegründet. Zu den Partnern gehörten 17 Spitzenmanager namhafter Unternehmen und Forschungseinrichtungen, darunter BASF, Deutsche Telekom, Lufthansa, Siemens und – wie immer dabei – Roland Berger. Das Credo: „Für zwei Jahre alle Regeln aussetzen“. „Viele Reformen müssen folgen – von der weiteren Entlastung von Sozialausgaben über zusätzliche Steuersenkungen und die Öffnung der Arbeitsmärkte bis zum Abbau von Bürokratie“. (6)

Im Auftrag der Initiative Partner für Innovation entwickelten Hamburger Werbeagenturen eine Kampagne „Ich bin Deutschland“. Ziel des Auftritts sei es, „die Stimmung im Land zu drehen und für ein innovationsfreudiges Klima zu sorgen“.
Die Kampagne wurde breit in TV, Print, Internet etc. geschaltet. In einer Gemeinschaftsaktion stellten über 20 Medienunternehmen Werberaum im Wert von angeblich 30 Millionen Euro zur Verfügung. Den bisher größten Auftritt der Initiative durfte Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG, koordinieren.

Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)

Die Geschichte der INSM beginnt kurz nach dem Amtsantritt der Regierung Schröder im Jahr 1999. Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach hatten ergeben, daß die Mehrheit der Bevölkerung zur umfassenden sozialstaatlichen Sicherung tendierte und Reformen der sozialen Sicherungssysteme ausgesprochen skeptisch gegenüberstand. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall reagierte: Eine Tochterfirma – berolino.pr – wurde gegründet und mit einem Budget von 20 Millionen D-Mark jährlich ausgestattet, um die Einstellung der Öffentlichkeit zu marktwirtschaftlichen Reformen zu verändern. Die INSM selbst ist das Ergebnis der darauf folgenden Ausschreibung. Die Agentur Scholz & Friends entwickelte das Konzept und begleitet seitdem als leitende Agentur die Kampagne. Der Geschäftsführer der Agentur, Klaus Dittko, faßte die Aufgabe so zusammen: „Wie verändert man die Einstellung zu unserer Wirtschafts- und Sozialordnung?“

Der von Scholz & Friends ersonnene Aufbau der Initiative ist hocheffektiv und genial einfach. Der eigentliche Kern der INSM besteht aus einem Büro mit nur acht festen sowie einigen freien Mitarbeitern, ist somit straff organisiert. Hinzu kommen je nach Aufgabe weitere freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Mitgliedschaft ist nicht vorgesehen. Allerdings wurde im Juni 2005 ein gemeinnütziger Förderverein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, „das Verständnis der Bürger für wirtschaftliche Zusammenhänge zu stärken“. Die Gründung dieses Vereins läßt vermuten, daß er den Anstrich von Gemeinnützigkeit, den die INSM ihren Aktivitäten gerne geben möchte, verstärken soll. Wichtigster Partner ist das von den Arbeitgeberverbänden finanzierte Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, mit dem die INSM unter einem Dach in Köln logiert. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat einen eigenen Verlag, den Instituts Verlag. Dieser Verlag organisiert nicht nur viele Publikationen der INSM, sondern ist auch Inhaber der Agentur berolino.pr, die die Initiative politisch und strategisch-kommunikativ lenkt.

Das Institut wird getragen von etwa 35 Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden und 60 Fach- und Regionalverbänden. Die 300 Mitarbeiter des Instituts liefern Zahlen und Analysen und spüren Trends auf. Es hat den Auftrag, marktwirtschaftliches Denken und Handeln möglichst vielen Bevölkerungsgruppen nahe zu bringen, wobei marktwirtschaftliches Denken und Handeln natürlich im Sinne der Unternehmerverbände zu begreifen ist. Das Institut richtet sich mit seinen Analysen an Multiplikatoren, Meinungsbildner und Entscheider in Politik und Wirtschaft. Insofern ist es von seinem Auftrag nahe mit der INSM verwandt. Man kann beinahe sagen, die INSM sei die Marketingabteilung des Instituts der deutschen Wirtschaft. Diese und andere Wissenschaftler werden gebraucht, wenn es darum geht, Reputation herzustellen. Sie sind Teil der medialen Öffentlichkeitsstrategie. Denn Aufmerksamkeit kann nur erzeugt werden, wenn hinter dem Argument auch noch wissenschaftliche Seriosität zu stecken scheint. Wissenschaftler können Begründungszusammenhänge für die Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Reformen liefern. Sie liefern aber erst durch ihre Person und ihren Status die notwendige Aufmerksamkeit.

Zum Medien- und Öffentlichkeitskonzept der Initiative gehört der Kreis prominenter Köpfe, die ihre Inhalte wirksam auf die öffentliche Agenda setzen. Der Reigen der Köpfe teilt sich auf in Kuratoren und Botschafter, die zum Teil ehrenamtlich tätig sind. Im Vergleich zu anderen Initiativen sind hochrangige Politiker gerne gesehen.

Wenn einer dieser Multiplikatoren in den Medien eine Aussage macht, erregt das mehr Aufmerksamkeit, als käme es von einem Nobody, und niemand weiß, daß sie Aussagen zuvor mit der INSM abgestimmt wurden.

Presse und Medien spannt man auch noch auf andere Weise ein. So liefert man der Presse druckfertige Berichte oder den TV-Sendern fertige Filmbeiträge. Dieses Vorgehen liegt im Trend des neuen PR-Journalismus, der die Grenzen zwischen Public Relation und Journalismus langsam und für das Publikum kaum wahrnehmbar verschleift. Eine Folge davon ist, daß zwischen einer journalistischen Meldung oder Recherche und absichtlich erzeugter Kommunikation nicht mehr unterschieden werden kann. Slogans, Sichtweisen und Vergleichsrechnungen werden übernommen, weil sie mediengerecht und schnell zur Hand sind.

Inhaltlich konzentriert sich die Arbeit auf grundsätzliche Einstellungen und politische Debatten. Dazu gehört explizit keine klassische Lobbyarbeit, keine direkte Einfußnahme auf Gesetzesentwürfe: Nicht die Parlamentarier sind die Adressaten der Arbeit, sondern vielmehr Meinungsführer in der Gesellschaft. Die INSM arbeitet fast ausschließlich über die Plazierung ihrer Themen und Botschaften in den Medien. Dazu gehören auch so genannte Medienpartnerschaften, also Kooperationen, bei denen beispielsweise die INSM und eine Zeitung gemeinsam eine Diskussion zu einem aktuellen Thema veranstalten, so genannte Rankings erstellen oder Studien in Auftrag geben und vermarkten (zu nennen sind hier beispielsweise die FAZ und manager magazin, aber auch die Fuldaer Zeitung und die Zeitschrift Eltern). Gleichzeitig berichtet dann die Zeitung im Vorfeld und im Nachhinein über die Veranstaltung. Sie führt Interviews mit den Diskutanten, die gleichzeitig auch Botschafter der Initiative sind. Einige Gesprächspartner, die gegenteilige Meinungen vertreten, genügen als Feigenblatt. So gibt sich eine von Arbeitgebern finanzierte und bestimmte Öffentlichkeitsarbeit neutral – mit breiter Unterstützung der beteiligten Medien. Die Kampagne geht in jedem Fall weiter. 2005 hat der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Verlängerung des Budgets von nunmehr 8,8 Millionen Euro per Anno für weitere fünf Jahre beschlossen. (7)

Wie Unternehmen ihre Informationen unters Volk bringen

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) gilt als die effektivste Reformkampagne. Gegründet wurde sie im Jahr 2000 von den 16 regionalen Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, die jährlich 10 Millionen Euro in das auf 10 Jahre angelegte Projekt investieren. Der Auftrag besteht darin, wirtschaftsliberale Themen auf die Agenda zu setzen und für einen wirtschaftsfreundlichen Klimawechsel in der Gesellschaft zu sorgen. Allerdings führt Gesamtmetall die INSM an einer „langen Leine“. Ihre Organisationsstruktur muß als effektiv bezeichnet werden: eine kleine schlagkräftige Geschäftsstelle in Köln, intensive Zusammenarbeit mit PR-und Eventagenturen. Insgesamt hat die Initiative einen Netzwerkcharakter, was ihre Beweglichkeit und ihren Einfuß erhöht. Wesentlicher Pfeiler der Initiative ist die Riege der Kuratoren und Botschafter und Botschafterinnen. Sie sind weit über die gesellschaftlichen Gruppen gestreut und sorgen durch ihre Tätigkeit – u. a. in den Medien – für eine permanente Präsenz der Initiative. Die Botschafter agieren ihrerseits wieder in verschiedenen Netzwerken, so daß sich eine effektive Kampagnenführung ergibt. Grundlage aller Kampagnen der INSM ist eine intensive Versorgung mit Informationen. Am Beginn stehen in der Regel wissenschaftliche Expertisen, meist zugeliefert vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) oder von den beteiligten Wissenschaftlern und den Botschaftern. Hinzu kommen ständig aktualisierte demoskopische Daten aus dem Hause Allensbach. Dadurch ergibt sich eine Verzahnung verschiedener Disziplinen wie in professionellen Wahlkämpfen.

Die Grenzen zwischen PR und Journalismus verschwinden

Die INSM ist auch deshalb innovativ und erfolgreich, weil sie die Kampagnenführung mit integrierter Kommunikation betreibt. Dies bedeutet: Sie nutzt alle kommunikativen Formen: Wissenschaftliche Expertisen, Aufbereitung der Argumente für die Medien, Beiträge der Botschafter, Anzeigen, Plakataktionen, Beiträge in Zeitschriften, Internet; hinzu kommt eine zeitliche Orchestrierung. Durch die Arbeit der Initiative verschwimmen die Grenzen zwischen PR und Journalismus. Deutlich wird dies durch die Medienpartnerschaften mit
► Wirtschaftswoche,
► impulse,
► Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
► Die Welt,
► Handelsblatt.

Die INSM beliefert auch Talkshows mit Gästen. Neu ist die Kooperation mit MTV, um jüngere Leute anzusprechen.
Die INSM verfügt über eine hervorragende Medienpräsenz und -reichweite:

► Mit den beteiligten Prominenten werden unter anderem die sogenannten Testimonialanzeigen geschaltet, die sich an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Werbung bewegen. In einem als INSM-Anzeige veröffentlichten Interview beispielsweise forderte Ex-Bundespräsident Roman Herzog umfassende Reformen des Sozialstaates. Nachrichtenagenturen und Zeitungen zitierten anschließend Teile aus dem Interview im Rahmen ihrer eigenen Berichterstattung. Auf den Entstehungszusammenhang wird dann kaum noch hingewiesen. So wird Themensetzung auf den Weg gebracht. Ein Bravourstück gelang der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, als sie im Jahr 2000 den Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“ in den öffentlichen Diskurs einspeiste. Die CDU hat dann den Satz zu einem zentralen Wahlkampfmotto erkoren.

► In Kooperation mit zwei Filmproduktionsfirmen versendet die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zweimal wöchentlich Themenvorschläge an ca. 100 private und öffentliche Fernsehredaktionen. Das muß man sich vorstellen wie eine Presseinformation, allerdings auf die Bedürfnisse von Fernsehjournalisten abgestellt. Dann wird die Redaktion, wenn sie Interesse hat, sich mit dieser Produktionsgesellschaft in Verbindung setzen und nach ihren Vorstellungen einen Beitrag bestellen, der dann vom betreffenden Sender auch bezahlt wird. Dabei geht es in erster Linie eben um diese Reformthemen. Und da alle Fernsehsender auf Zulieferungen dieser externen Produktionsfirmen sowieso angewiesen sind, hat sich dieses Instrument als relativ erfolgreich erwiesen, weil dadurch vielmehr diese Reformthemen in die Medien, in die Fernsehmedien gelangt sind.

► Medienpartnerschaften der INSM bestehen neben den oben genannten Zeitungen seit neuestem mit der Financial Times Deutschland und Hör Zu. Die Allianz aus Politik, Wirtschaft und Medien funktioniert bestens. Die Botschafter und Kuratoren bieten der Initiative ihre Prominenz, im Gegenzug bekommen sie dafür noch mehr Öffentlichkeit. Trotz allen Erfolgs hat die INSM (wie auch andere Initiativen) ein Handlungsdilemma. Sie hat zwar die Meinungsführer von der Notwendigkeit neoliberaler ‚Reformen’ überzeugt, aber die Mehrheit der Bevölkerung bleibt skeptisch bis ablehnend gegenüber einer solchen Politik. Folge davon ist, daß sich die Initiative verstärkt um massenwirksame Botschaften bemüht.

Die Wiederentdeckung des Nationalgefühls

Patriotismus und Nationalgefühl sind von den Kampagnen als Ressourcen entdeckt worden. Seit längerem ist eine Neudefinition des Bezugs auf die Nation im Gang. Die Erinnerung an die NS-Zeit und den Holocaust wird schwächer und das Gewicht der bundesrepublikanischen Geschichte steigt. Die Kampagnen befördern diesen Wandel in der kollektiven Identitäts-Politik. Ein emotional-positiver Bezug auf das eigene Land soll erreicht werden. Unsichtbar bleiben daher die konkreten Interessen der Wirtschaft, die sich hinter diesen Kampagnen verbergen. „Unbeschwerter Patriotismus“ ist die Formel, mit der die häßlichen Ausformungen von nationalem Bewußtsein verdeckt werden sollen. Die Kampagne „Du bist Deutschland“ hat den Patriotismus als Werbebotschaft für die Politik entdeckt. Sie ist ein populistischer Propagandafeldzug, der sich an die breite Masse der Bevölkerung richtet. Ihr Ziel war, eine affirmative Grundstimmung für ‚Reformen’ und zugleich für den Wirtschafts-Standort zu erzeugen. Die Macher glauben, einen „gefühlten Aufschwung“ erzeugt zu haben. Die Regierungs- und Wirtschaftskampagne „Deutschland – Land der Ideen“ nahm die Fußball-WM zum Anlaß für Standortmarketing und Gefühlspflege.

Ideenagenturen

Die Rollenverteilung für die gesellschaftlichen Gruppen bei ihrem „Dienst an der Gemeinschaft“ ergibt sich ziemlich naturwüchsig daraus, was eben der einzelne mit seinem bürgerschaftlichen Engagement zu leisten vermag. Diejenigen, die nicht so viel Geld und Vermögen haben, machen Sozialarbeit, etwa Altenpflege oder den Übungsleiter im Sportverein, die Vermögenden vergeben Forschungsaufträge oder Stiftungslehrstühle oder sie stiften gleich ganze Denkfabriken und prägen damit Trends in der Wissenschaft oder im gesellschaftlichen Diskurs und nehmen so Einfluß auf die Pfade in die Zukunft.
So hat sich eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die ihren Druck auf das gesamte politische System ausdehnt und die Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterläuft und gleichzeitig öffentliche Meinung generiert.

Diese „zivilgesellschaftliche“ Macht stützt sich ausschließlich auf Besitz und Vermögen. Darauf, daß zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern und seine Stiftung, die Volkswagen- oder die Robert-Bosch-Stiftung mehr Geld haben als andere private und staatliche Institutionen, um Expertisen und Gutachten erstellen zu lassen, Kongresse zu veranstalten, Forschungsaufträge zu erteilen, um den Missionsauftrag ihrer Stifter zu erfüllen. Demokratisch legitimierte Macht im Staate wird so mehr und mehr durch Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar teilweise schon ersetzt.

Der Weg in diese Art von Zivilgesellschaft befördert nicht nur die ohnehin bestehende extreme materielle Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern er schließt – anders als das im Mehrheitsprinzip der Demokratie vorgesehen ist – vor allem die weniger wohlhabende Bevölkerung mehr und mehr von der politischen Teilhabe und der Gestaltung ihrer gesellschaftlichen Zukunft aus.

In Deutschland werden Produktion und interessengeleitete Verteilung von Wissen, das gesellschaftliche Entscheidungen beeinflußt, vermehrt über Ideenagenturen oder Think Tanks getätigt. Üblicherweise werden dabei folgende Typen unterschieden:

► Die sieben großen Wirtschaftsforschungsinstitute wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). In diese Gruppe der akademischen Politikberatung fallen auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
► Die sechs parteinahen Stiftungen sowie die den Gewerkschaften nahestehende Hans-Böckler-Stiftung.
► Die praxisorientierten Institute der Sozial-, Umwelt- und Technikforschung, beispielsweise: das Wuppertal-Institut, die Fraunhofer Gesellschaft und das Wissenschaftszentrum Berlin WZB.
► Die mit Stiftungsmitteln finanzierten Think Tanks, die neben Politikberatung im engeren Sinne auch umfassende Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme offerieren.
► Zahlreiche privatwirtschaftliche Unternehmen wie McKinsey, Roland Berger bieten auch ‚Politikberatung’ an. Dabei handelt es sich um Strategie-Beratung, die aber implizit Positionsbestimmungen umschließt.

Man geht ferner davon aus, daß es ungefähr 130 Ideenagenturen gibt; der überwiegende Teil entstand erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Auffällig ist, daß zwischen 1990 und 2000 35 Think Tanks gegründet wurden. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die akademischen Institute tonangebend. Das hängt wohl mit der Annahme zusammen, daß Wissenschaft zur Unabhängigkeit verpflichte und darüber hinaus eine hohe Qualität aufweise.
Tatsächlich gestalten Einrichtungen aus dem wirtschaftsnahen Bereich zunehmend die wirtschafts- und sozialpolitische Diskussion. Das ist nicht überraschend, wenn man die finanziellen Mittel bedenkt, auf die diese Einrichtungen zurückgreifen können. Außerdem steht hinter ihnen die geballte Macht großindustrieller Interessen. Kein Wunder also, daß es ihnen besser als anderen gelingt, ihre Konzepte in den Politikprozeß einfließen zu lassen, zumal sie sich der Dienste vorgeblich unabhängiger Wissenschaftler bzw. renommierter Forschungsinstitute sichern, um seriös und glaubwürdig zu erscheinen. Wichtig ist nun, die so aufbereiteten Botschaften in der Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. Das erfordert Medienpräsenz und das Einwerben von prominenten Personen mit hohem Ansehen.
Offenbar hat vor allem die Bertelsmann Stiftung diese Probleme rechtzeitig erkannt, und es ist ihr gelungen, Ideenangebote zu präsentieren, die vordergründig wissenschaftlich fundiert sind, keine allzu auffällige Parteinahme erkennen lassen, öffentlichkeitswirksam daher kommen und auf die Infrastruktur eines weltweit mit Erfolg operierenden Medienkonzerns bauen können. Das erklärt die herausragende Stellung dieser ‚Denkfabrik’.

Medien

In einer ‚Mediendemokratie’ sind gesellschaftspolitische Entscheidungen von der öffentlichen Meinungsbildung abhängig: Es geht darum, vorab gefällte Entscheidungen der politischen Kaste Massenakklamation zu sichern. Faustregel: Wer die veröffentlichte Meinung beherrscht, der bestimmt auch die politische Linie. „Und weil es große Interessen gibt, die die politische Linie bestimmen wollen, forcieren sie ihren Einfluß auf die öffentliche Debatte“ (8) Vorbildhaft hierbei sind Erfahrungen aus der Werbeindustrie. Erfolgreiches Verkaufen setzt strategische Planung voraus, die in vielfältigen Methoden und Kampagnen umgesetzt wird. Kampagnen zur Meinungssteuerung folgen einem genau systematischen, in sich differenzierten Konzept.

► Lernziele, Botschaften, Begriffe, Argumente und Fakten werden strategisch entwickelt und sortiert.

► Zur Umsetzung werden vielfältige Propagandamittel aus der Werbeindustrie wie Anzeigen und Fernsehauftritte, Webseiten, Veranstaltungen etc. eingesetzt.

► Von der Öffentlichkeit als seriös wahrgenommene Personen verkünden diese Botschaften.

► Kontrolle und Feinsteuerung werden im Hintergrund von Public-Re-lations Spezialisten durchgeführt. Sie sorgen auch für mundgerechte Presseartikel und Fernsehspots, die von den Medien übernommen werden. Eine Überprüfung der Inhalte bei den Abnehmern findet nur noch ausnahmsweise statt.

Die gegenwärtige sogenannte Reformdebatte ist das Ergebnis einer solchen Inszenierung; kontroverse Standpunkte entzünden sich höchstens an Details, an der Gültigkeit jener Glaubenssätze, die von unterschiedlichen Personen und wechselnden Plattformen in immer gleichen Argumenten und Behauptungen vorgebracht werden, wird nicht gerüttelt. So wird der Öffentlichkeit suggeriert, an Reformen führe kein Weg vorbei und deren Inhalte seien „objektiv“, d. h. durch Sachzwänge weitgehend vorbestimmt.

Sogenannte ‚Medienkooperationen’ stellen den bequemsten Weg dar, die Manipulation der Öffentlichkeit zu erreichen. Hier wird der Gegenpol Öffentlichkeit zum Partner der interessengeleiteten Elitezirkel und ihrer Initiativen. Die Initiative Soziale Marktwirtschaft (INSM) kooperiert mit Tageszeitungen und TV-Anstalten, zu der Aktion „Wir sind Deutschland“ haben sich praktisch sämtliche führenden Medienunternehmen zusammengeschlossen. ARD, ZDF, die großen Verlage und die bekanntesten deutschen Moderatoren und Journalisten treten hier als Partner der ‚Reform’-Werkstatt auf. Um eine möglichst flächendeckende Wirkung zu erzielen, werden auch ‚unabhängige’ und kleine Zeitungsverlage berücksichtigt. Kompensationsgeschäfte sind dort üblich; als Gegenleistung für einen positiven Beitrag über die Reform-Agenda werden bezahlte Anzeigen geschaltet, die gerade für die kleinen ‚Unabhängigen’ lebenswichtig sein können.
Eine der einfußreichsten Talkshows im bundesdeutschen Fernsehen, nämlich „Sabine Christiansen“, war die Plattform für den neoliberalen Diskurs, lautet das Ergebnis einer Studie von LobbyControl. (9) Untersucht wurden Sendungen im Zeitraum Januar 2005 bis Juni 2006.

Die Auswertung der Sendungen von „Sabine Christiansen“ ergab vier miteinander verwobene strategische Komponenten:

► Elitäres und einseitiges Gästespektrum: Die Sendung klammerte weite Bereiche und Gruppen der Gesellschaft aus. Politik war in der Talkshow primär Parteipolitik. Dabei wurde zwar bei den geladenen Politikerinnen und Politiker auf den Proporz geachtet, dies galt aber nicht für die übrigen Gäste. Vertreter von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden wurden bevorzugt, während Gewerkschaften oder Sozialverbände unterrepräsentiert waren. Andere Akteure wie Verbraucherorganisationen, Nichtregierungsorganisationen aller Art oder gar Bürgerinitiativen tauchten in der Talkrunde kaum auf. Die einseitige Einladepolitik schloß eine große Gruppe von der Artikulation ihrer Sichtweisen und Interessen aus.

► Einseitiges Themenspektrum: Im Zentrum standen wirtschaftliche und sozialstaatliche »Reformen«, Parteipolitik, Innere Sicherheit und aktuelle Großereignisse oder Katastrophen. Die Sendungen zu ‚Reformen’ zeichneten immer wieder ein Bild von Deutschland am Abgrund. Andere Themen und Perspektiven kamen zu kurz. Dabei ist bemerkenswert, daß sich das Spektrum in 2006 etwas veränderte. Die Zahl der ‚Reform’-Sendungen sank – Einschnitte wie die Erhöhung des Rentenalters oder die Anhebung der Mehrwertsteuer wurden gar nicht mehr thematisiert.

► Neoliberal geprägter Diskurs: In den Sendungen über wirtschaftliche und sozialstaatliche »Reformen« überwogen unternehmensnahe und marktliberale Positionen. Hier fand sich ein systematisch verzerrter Pluralismus: Es kamen zwar (innerhalb des beschränkten Gästespektrums) verschiedene Stimmen zu Wort, aber insgesamt hatten die Sendungen eine deutliche Schlagseite zu neoliberal geprägten Positionen.

► Mangelnde Transparenz: Die Präferenz für neoliberale Positionen wurde verdeckt, indem deren Vertreter als neutrale ‚Experten’ vorgestellt wurden. Kritische Positionen wurden demgegenüber vorsorglich ideologisch eingestuft. Ein Wissenschaftler mit einer dem Neoliberalismus gegenüber kritischen Position, der in den Sendungen zu Wort kam, wurde als „linker Ökonom“ vorgestellt. Die ideologische Verortung der anderen Ökonomen oder die Verfechtungen der Gäste mit der INSM und dem Konvent für Deutschland wurden hingegen nicht offen gelegt. Die Zuschauer erfuhren wenig über die Hintergründe der geladenen Gäste. Infolgedessen war der Pseudo-Pluralismus der Sendung schwierig zu erkennen.

Insgesamt präsentierte sich „Sabine Christiansen“ als Schaubühne der Einflußreichen und Meinungsmacher – und bot vor allem denjenigen ein Forum, die sich für eine neoliberal geprägte ‚Reform’ des Sozialstaats einsetzen.

„Du bist Deutschland“

Die erste Kampagne „Du bist Deutschland“ hat den Patriotismus als Werbebotschaft für die Politik in den Mittelpunkt gestellt. Sie ist ein populistischer Feldzug, der sich an die breite Masse der Bevölkerung richtet. Als klassische Stimmungskampagne hat sie eine hohe Reichweite erzielt, allerdings kontroverse Reaktionen hervorgerufen.
Werbe- und PR-Agenturen sind die treibenden Kräfte, mit denen die gesellschaftspolitische Kommunikation umgestaltet wird. Sie tragen ihre sogenannten Branding-Strategien in die Politik: Emotionen statt Argumente ist ihre Tendenz. Politik läßt sich allerdings nicht auf Werbung für Produkte reduzieren. In ihr geht es um existentielle Fragen.
Auch einzelne Unternehmen begreifen sich inzwischen, unabhängig von Wirtschaftsverbänden, als politische Akteure und sind bereit, mit Kampagnen und Initiativen in den politischen Prozeß einzugreifen. Eine gewisse Schwäche der Wirtschaftsverbände – besonders in der Kommunikation – gibt den Unternehmen die Chance, eigenständiger zu agieren. Die neuen Kampagnen werden von einzelnen Großunternehmen finanziell und organisatorisch getragen. Ein Lerneffekt ist unstrittig; die erste Welle der Initiativen und Kampagnen nach dem Ende der Kohl-Ära huldigte einer Rhetorik der Negativbotschaften. Die gegenwärtige Welle kommt hingegen positiv daher, ist besser organisiert, weniger alarmistisch und finanziell besser ausstaffiert.

Es wird in nächster Zeit mehr von diesem neuen Kampagnentyp aus der Wirtschaft geben. Viele Unternehmen sind bereit zu so etwas zu finanzieren, und Agenturen stehen in den Startlöchern, um zu neuen Themen Kampagnen aufzulegen. Intern glauben die Macher und Auftraggeber, mit diesem ideologischen Engagement einiges bewegen und mit Kampagnen auch bei Einzelthemen einen Stimmungsumschwung zu ihren Gunsten erzeugen zu können.

Neuauflage von „Du bist Deutschland“

„Es war im Herbst 2004, als deutsche Medienunternehmen mit ›Du bist Deutschland‹ einen Kontrapunkt gegen die schlechte Stimmung im Land setzen und ein neues Klima der Zuversicht wecken wollten. Es sollte die größte und erfolgreichste Social Marketing Kampagne in der Geschichte des Landes werden. Diesen Schulterschluß zu erneuern, das war das erklärte Ziel von Bertelsmann-Vorstandsvorsitzendem Gunter Thielen und Bernd Kundrun, Vorstandsvorsitzender Gruner + Jahr. In Berlin brachten sie führende deutsche Medienunternehmen gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen an einen Tisch. Die Kampagne ›Du bist Deutschland‹ soll nun in die zweite Runde gehen und dabei den Fokus auf die Kinder legen.“ (10)

 


(1) „Die fünfte Gewalt“, ZEIT online, 2.3.2006
http://www.zeit.de/online/2006/10/lobbyismus
(2) Albrecht Müller, Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet, München 2006, S. 317f.
(3) Dirk Schindelbeck/Volker Ilgen, „Haste was, biste was!“ Werbung für die Soziale Marktwirtschaft, Darmstadt 1999, S. 147; Arnold J. Heidenheimer, German Party Finance: The CDU, The American Political Science Review, Vol. 51, No. 2 (1957), S. 369-385.
(4) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20. Juli 2003, S. 31
(5) www.marke-deutschland.de
(6) Süddeutsche Zeitung vom 8./9. Januar 2005
(7) Quellen: Rudolph Speth, „Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, Hans-Böckler-Stiftung, August 2004; Magnus-Sebastian Kutz und Sabine Nehls, „Angriff der Schleichwerber“, Frankfurter Rundschau vom 9. Januar 2007
(8) Albrecht Müller, Die Reformlüge, München 2004, S. 63
(9) http://www.lobbycontrol.de/blog/download/Christiansen-Schaubuehne_kurz.pdf
(10) Bertelsmann AG, storys worldwide, Berlin 9. Juli 2007;
http://213.83.55.197/bertelsmann_corp/wms41/bm/index.php?ci=1&language=1 ;
Zugriff am 15. Juli 2007

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