Medien

Ob öffentlich-rechtlich oder kommerziell: Programme und Personen austauschbar

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Heute im Ladenschwengel–TV:  Gummibärchen statt Information

Von VOLKER BRÄUTIGAM, 10. August 2011 –

Am 11. September geht es los: Günter Jauch moderiert im „Ersten“ die sonntagabendliche Polit-Talkshow. Als letztes ARD-Gremium hat der WDR-Verwaltungsrat zugestimmt. Trotz einiger Bedenken. Denn Jauch moderiert außerdem weiterhin beim Kommerzsender RTL. Verwechselbarkeit und Austauschbarkeit des Öffentlich-rechtlichen mit dem Kommerzfernsehen werden somit in einer weiteren Personenidentität manifest: Jauch hier und Jauch da. Als ob es nur diese Sorte Jahrmarktverkäufer im Maßanzug gäbe. „Quotengarant“ für die einen, Typ „Ladenschwengel“ für die anderen.

Man kann nicht oft genug darauf hinweisen: Jauch, der Ackermann der ARD, wird 10,5 Mio. Euro für jährlich 39 Stunden Sendung kassieren. Für die teuerste Polit-Talkshow, die das öffentlich-rechtliche TV je bot. Das bombastische Gehalt sei gerechtfertigt, meinten die WDR-Verwaltungsräte, „… vor allem vor dem Hintergrund des hohen Ansehens und Respekts, den Herr Jauch in der Öffentlichkeit genießt.“

Ich welcher Welt leben sie, diese Verwaltungsräte?
Nicht in meiner. Als einstiger Überzeugungstäter, der sich bis vor 20 Jahren häufig für das Prinzip des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schlug, verfolge ich seit geraumer Zeit dessen Programmangebote mit wachsender Distanz. Und zunehmendem Zorn. Angesichts der Beauftragung Jauchs brauch ich mich nur selbst zitieren: „Zum seriösen politischen Journalisten qualifiziert ihn nichts. Aber die ARD will mit seinem sonntäglichen Talk-Spektakel ja nicht ihren Informationsauftrag erfüllen, sondern nur Unterhaltungsinteressen bedienen.“ (1) Hier noch eine Ergänzung: ARD und ZDF entziehen sich ihre Existenzberechtigung selbst mit einer Programmpolitik, die sich im Glamourösen und in Gagen-Gigantomanie ergeht, seichte Unterhaltungsgötzen anbetet und Scheininhalte als Information ausgibt.

Meine Bezeichnung „Ackermann der ARD“ trifft nicht genau. Ackermann ist um Etliches billiger als Jauch. Er bekommt in diesem Jahr 9 Millionen Euro vor Steuern. Gestehen wir ihm zu, dass er an 220 Tagen jeweils 5 Stunden richtig arbeitet (an Wochenenden, Feiertagen und im Urlaub wird ja wohl auch er pausieren; die 3-Stunden-Differenz zum normalen 8 Stunden-Arbeitstag ist mit „Arbeitsessen“, repräsentativen Geselligkeiten, Reisen im Erste-Klasse-Standard u.ä. ausgefüllt), so ergibt sich für ihn eine Entlohnung von
(9.000.000/€ : 1.100/Std.: 60/Min.) = 136,36 Euro – pro Minute.

Bei Jauch sieht die Rechnung hingegen so aus: Von seinen 10,5 Mio. Euro muss er 2,5 Mio. für sein Team und für Studiokosten abziehen. Bleiben 8 Mio. Euro. Jede seiner 39 Sendestunden erfordert zusätzlich maximal 15 Stunden Planungs-, Einarbeitungs-, und Vorbereitungszeit. Mehr braucht ein ausgebuffter Profi nicht. Also ein Jahresaufwand von 624 Std. bzw. 37.440 Minuten. Bei 8 Mio. Euro sind das (vor Steuern)
213,67 Euro – pro Minute.

Jauch wird von der ARD demnach anderthalbmal höher bezahlt als Ackermann von der Deutschen Bank. Und jetzt wollen wir bitte keine Zeit mehr auf die ohnedies depperte Frage verschwenden, wer von den beiden für die Gesellschaft nützlicher ist.

„Noch skandalöser [ist] das Engagement des Quizmasters Jauch als angeblicher ‚Doyen des deutschen TV-Politikjournalismus’ ins Prime-Programm der ARD – und dies bei weiterdauernder Top-Position des Moderators als Star-Quizer bei Bertelsmanns RTL. Und das bedeutet: Ein langfristig substanzzerstörendes Go-In des Bertelsmann-Konzerns übers ‚Erste’ in den Verbund der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. In den Primetimes immer dümmer, immer primitiver, niedriger, erbärmlicher, niveauloser … eine erschreckende Abkehr vom Sinn, Auftrag und Konzept des Fernsehens in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft.“ (2)

Selbstverstümmelung

Über „Sinn, Auftrag und Konzept“ des grundgesetzlich verankerten öffentlich-rechtlichen Fernsehens lesen wir im Rundfunk-Staatsvertrag aller Bundesländer vom 31. 8. 1991 zum Beispiel, dass die Sender „das gesellschaftliche Meinungsspektrum möglichst umfassend und fair widerzuspiegeln“ sollen. Vergleicht man das Statuarische mit der Programmwirklichkeit, so erkennt man allerdings eine „…ständige Verletzung des gesetzlichen Auftrags. Eine ungenierte Partnerschaft von öffentlich-rechtlichen Medien und den kommerziellen. Die Öffentlich-rechtlichen als Steigbügelhalter des Kommerzes, würde ich sagen.“ (3)

Die Selbstverstümmelung des Fernsehens – vom Vermittler seriöser Information und Bildung zum kommerziellen Varieté – zeigt sich freilich nicht nur in Personalien wie der Doppelrolle des Abgreifers Jauch. Besonders die Pflicht, das „gesellschaftliche Meinungsspektrum umfassend und fair widerzuspiegeln“, wird von ARD und ZDF gröblich missachtet.

Quasselrunden

Sichtbar wird das z.B. an der parteipolitischen Zusammensetzung der Quasselrunden bei Anne Will und Konsorten. Das Leipziger Nachrichtenportal www.news.de brachte dazu aufschlussreiche Daten, ermittelt von Oktober 2010 bis Juni 2011.  

In diesen neun Monaten mit unsäglichen 163 (!!) Polit-Talk-Sendungen hatten demnach Maischberger, Will, Beckmann, Plasberg und Illner 861 Gäste. Darunter 220 führende Berufspolitiker: CDU/CSU 73 mal vertreten, am häufigsten mit Geißler, Röttgen, von der Leyen und Dobrindt. Die FDP 48 mal, vorzugsweise mit Brüderle, Lindner und Niebel. Die SPD 42 mal, Spitzenreiter waren von Dohnanyi und Buschkowsky vom rechten Flügel der Partei. Die GRÜNEN 36 mal, zumeist waren Trittin, Höhn und Roth eingeladen. Die Linkspartei 21 mal, hauptsächlich vertreten von Gysi und Lafontaine.

Parteipolitische Verteilung in Prozent: CDU/CSU 33,2   FDP 21,8   SPD 19,1   GRÜNE 16,4   Linke 9,5. 
DKP 0 Prozent. Kommunisten werden ignoriert. So hält man ihre Partei klein. Marxismus wird nicht als ideengeschichtlich epochal und gemäß seiner aktuellen weltpolitischen Bedeutung bedacht. Wo kämen wir sonst hin.

Schlagseite

Schon im Vergleich mit der politischen Aufteilung im Bundestag wird die Schlagseite von ARD und ZDF sichtbar. Das rechte Spektrum, voran die FDP und inklusive die GRÜNEN, wird prächtig bedient. Linke hingegen werden nach Kräften benachteiligt. Bedenken wir einerseits, welch prägenden Einfluss Polit-Talkshows bei ihrem Millionenpublikum bedauerlicherweise haben. Bedenken wir andererseits, dass der Programmauftrag des öffentlichen Rundfunks verlangt, alle in der Gesellschaft vertretenen Meinungen fair zu berücksichtigen. „Der Rundfunk (ist) als Medium und Faktor des Prozesses freier, individueller und öffentlicher Meinungsbildung der Allgemeinheit verpflichtet. … Er hat sicherzustellen, dass … das Programm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient …“

Das Gesetz verlangt völlige Gleichbehandlung. Auch von Proporz ist keine Rede. Politische Inhalte der CDU/CSU mit 33,8 Prozent im Programm zu berücksichtigen, weil die Unionsparteien in dieser Stärke im Bundestag sitzen – oder entsprechend die SPD mit 23 Prozent, die FDP mit 14,6 Prozent, die Linkspartei mit 11,9 Prozent und die GRÜNEN mit 10,7  Prozent –nein, nicht einmal das wäre gesetzeskonform. Informationen über eine Weltanschauung gar komplett davon abhängig zu machen, dass diese parlamentarisch vertreten ist, widerspricht dem Geist und dem Buchstaben des Gesetzes diametral.

Mit dieser täglichen Praxis machen sich „unsere“ elektronischen Massenmedien jedoch zur unentbehrlichen Stütze der bourgeoisen Formaldemokratie (präziser: unserer Parteien-Oligarchie). Ihr Programmangebot ist Verrat am Verfassungsgut, dem Gleichheitsgedanken. Die Sender begehen permanenten Gesetzesbruch.

„Kommerzfernsehen lebt von der Flucht in die Ablenkung und Unterhaltung von beruflich oder sozial gestressten Menschen. Es ist Überwachung durch Ruhigstellung“ (4). Stimmt. Ich füge hinzu: Auch die nur scheinbar seriösen, gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender leben davon. Betrachten es als ihre Zweckbestimmung. ARD und ZDF hintertreiben ebenfalls den uneingeschränkten Informationsanspruch der Zuschauer.

Jahrmarktsverkäufer

Die ARD hat im Juli Showmaster Thomas Gottschalk („Wetten dass…?“) verpflichtet, vom nächsten Jahr an montags bis donnerstags die halbe Stunde vor der Tagesschau mit vermeintlich Prominenten aus dem Entertainment über das Zeitgeschehen zu plaudern.

Fraglos metastasiert das Geschwätz in die anschließende Nachrichtensendung. Dort wird dann weiter vernebelt, scheininformiert, weggelassen, irregeführt, schwadroniert. Sogenannte Spezialisten firmieren als Experten: z.B. ZDF-Elmar Theveßen, der sich den Titel „Terrorismusexperte“ auf den Bauch pinseln lässt und uns, wir erinnern uns an das norwegische Attentat, sachlich nicht begründbare islamophobe Feindbilder aufschwätzt, die im neokonservativen Trend liegen. Journalistische Proporz-Karrieristen wie Ulrich Deppendorf, Rainald Becker, Peter Frey und Bettina Schautzen interpretieren unsere Welt aus dem Blickwinkel der Familie Piefke.

Um Objektivität bemühte Konkurrenz haben sie ja nicht zu fürchten, denn die gibt es nicht. So trägt diese Journaille Kaisers neue Kleider, und keiner lacht sie aus, wenn sie  Knallchargen wie Olaf Henkel und Arnulf Baring und gescheiterte Politiker wie Steinbrück hochjubeln, kindische „Politbarometer“ und „Deutschlandtrends“ mit dümmlichen „Politiker-Beliebtheitsskalen“ kommentieren, läppische Antworten auf hirnrissige Konjunktivfragen absondern („Wenn am Sonntag der Bundeskanzler direkt gewählt werden könnte, bekäme Merkel x Prozent“), größere und weiterführende Zusammenhänge verbergen usw.

Jahrmarktsverkäufer wie Gottschalk (auch er wird ein Millionenhonorar bekommen) und Jauch sind Zentralfiguren einer ausgeklügelten Fehlführung der Zuschauer. Und ihre märchenhaften Honorare für moderierende Mittäterschaft bei der Volksverblödung sind nichts anderes als veruntreute Rundfunkgebühren.

Ach ja: Showmaster Harald Schmidt, wegen gelegentlicher Schweinigeleien auch „Dirty Harry“ geheißen, wechselt im September von der ARD wieder zu Sat1. Einer von ungezählten Pendlern zwischen den Systemen. Für TV-Laberkönige findet sich allemal ein hochdotierter Posten in unseren versauten Medienpalästen. Ob kommerziell oder öffentlich-rechtlich: Wer dreht dazwischen die Hand noch um?


Anmerkungen

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(1) V.B., „Erziehung zum Glotzen“, Ossietzky 6/2011
(2) K.U. Spiegel, „Ungeordnete Bemerkungen zur Programmtendenz in den Öffentlich-Rechtlichen“, www.NachDenkSeiten, 27.01. 2011
(3) Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten, im Vorwort zu K.U. Spiegels Aufsatz
(4) Wolfgang Lieb, NachDenkSeiten, 15.07.2011


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Politik-Zeitschrift Ossietzky

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