Medien

Panama Papers und die mediale „Putinophobie“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Berichterstattung mit Schlagseite: Ein Mann steht im Zentrum der Enthüllungen, der in den geleakten Dokumenten gar nicht auftaucht

(Lesen Sie zu den Panama Papers auch unseren Artikel vom Dienstag)

Fünf Tage nach den Enthüllungen im Zusammenhang mit den Panama Papers drängt sich die Frage auf, worin der eigentliche Skandal besteht. Dass die Besitzer großer Vermögen bestrebt sind, ihre Eigentumsverhältnisse über Offshore-Firmen in Steueroasen zu verschleiern, ist keine neue Erkenntnis. Und inwieweit es sich bei den bislang öffentlich gemachten Transaktionen um illegale Aktivitäten handelt, ist nach wie vor offen.

Der Tagesspiegel hat es korrekt erfasst, wenn er den eigentlichen Skandal in der „Doppelmoral der Politik“ (1) ausmacht, die sich zwar wortgewaltig über die enthüllten Finanzpraktiken empört, diesen aber keinen gesetzlichen Riegel vorschiebt.

Bemerkenswert ist vor allem der mediale Umgang mit den Panama Papers. Denn im Vordergrund der anfänglichen Berichterstattung stand ein Mann, dessen Name in den Dokumenten gar nicht auftaucht: Wladimir Putin.

Ob an der Auswertung beteiligte Medien wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) oder der Guardian oder unbeteiligte Medien wie der Spiegel: Die ersten Berichte konzentrierten sich auf den russischen Präsidenten.

„Enthüllt: Die 2-Milliarden US-Dollar Offshore-Spur, die zu Waldimir Putin führt“, so der Titel des ersten Berichts des Guardian zu den Panama Papers. (2) Ein kurz darauf erschienener Artikel der britischen Zeitung, der einen allgemeinen Überblick über die Enthüllungen bietet, wird mit einem großen Portrait Putins illustriert. (3)

Mit der Schlagzeile „Putins reiche Freunde – die Spur des geheimen Geldes“ eröffnete die Süddeutsche Zeitung ihre Berichterstattung. Unter dem Titel „Datenleck enthüllt Offshoredeals reicher Putin-Freunde“ berichtete Spiegel-Online erstmals über die Enthüllungen – weitere Artikel, die sich auf Putin einschießen, folgten, auch in vielen anderen Medien.

Die Vorwürfe konzentrieren sich dabei auf einen alten Jugendfreund des Präsidenten, den Cellisten Sergej Roldugin, dem mehrere Offshore-Firmen zugeordnet werden. Auch andere Personen aus dem Kreml-Umfeld sollen in windige Offshore-Geschäfte verwickelt sein, darunter die Ehefrau des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow.

Putin selbst oder dessen Angehörige werden in den Panama Papers nicht erwähnt. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, bei den Enthüllungen handele es sich eigentlich um Putin Papers. Eine Google-Suche verstärkt diese Wahrnehmung: Gibt man den Namen des russischen Präsidenten zusammen mit „Panama Papers“ in die Suchfunktion ein, erhält man über vier Millionen Treffer – weitaus mehr, als eine entsprechende Suche im Zusammenhang mit der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca (Mossfon), die im Mittelpunkt des Skandals steht.

Auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko kommt nur auf einen Bruchteil der Suchergebnisse im Vergleich zu seinem russischen Amtskollegen, obwohl er selbst eine Briefkastenfirma besitzt, die über Mossack Fonseca auf den britischen Jungferninseln eingerichtet wurde. Poroschenko richtete diese zwei Monate nach seiner Vereidigung als Präsident ein, „auf dem Höhepunkt des Krieges in der Ostukraine“ (SZ). (4)

Trotz der doch in diesem Fall eher gegebenen Brisanz – schließlich wird die Poroschenko-Regierung vom Westen unterstützt und finanziell gefördert – nehmen Putins Freunde, die über Russland hinaus kaum Bekanntheitsgrad genießen, einen weitaus größeren Raum in der Berichterstattung westlicher Medien ein. (Und gleichzeitig übt sich etwa Spiegel-Online in argumentativer Akrobatik, um Poroschenko reinzuwaschen. (5) )

Dabei geht es nicht darum, die erhobenen Vorwürfe gegenüber den Angehörigen des russischen Polit-Establishments unter den Teppich zu kehren oder gar in Abrede zu stellen – überprüfen lassen sie sich ohnehin nicht. Es geht um die Relation und die Relevanz: Würde es etwa internationale Schlagzeilen hervorrufen, wenn die Ehefrau des Sprechers der Bundesregierung in windige Geschäfte verwickelt wäre? Oder ein mit der Bundeskanzlerin befreundeter Musiker?

Haben Medien, die nun von einer „putinschen Kleptokratie“ (Die Welt) oder einer „Putin-Connection“ (Focus) sprechen, jemals von solch tendenziösen Formulierungen während des Skandals um die Luxemburg Leaks, bei dem EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eine maßgebliche Rolle spielte (6), Gebrauch gemacht?

Warum richtet die hiesige Öffentlichkeit ihr Augenmerk so stark gen Moskau, wenn doch der deutsche Einfluss auf Mossfon „bedeutend“ (SZ) ist, und „tausende Deutsche“ in die Finanzmachenschaften involviert sein sollen?

In Anbetracht der Schieflage der Berichterstattung kommt es nicht von ungefähr, wenn Moskau im Zusammenhang mit den Enthüllungen nun von einer „Informationskampagne“ und einem neuen Grad an „Putinophobie“ spricht.

Es findet sich, wonach man sucht

Angesichts der medialen Schwerpunktsetzung überrascht es nicht, dass bereits wenige Stunden nach den ersten Veröffentlichungen „Kritiker eine selektive Darstellung“ witterten, wie Markus Kompa auf Heise feststellt. „So fiel manchen auf, dass Mossfon kaum nennenswerte Kunden aus den USA haben soll. Dem gegenüber treffen die Enthüllungen der ersten Berichtswelle vor allem Personen aus Simbabwe, Nordkorea, Russland und Syrien – Länder, die das US-Außenministerium auf dem Kieker hat.“ Das werfe Fragen zur Neutralität der „vierten Gewalt“ auf, so Kompa. (7)

Die vermeintlich selektive Darstellung hat ihre Ursache in den Kriterien, nach denen die Dokumente durchforstet wurden: Es wurde in erster Linie nach Personen gesucht, gegen die Sanktionen durch die Vereinten Nationen verhängt wurden. (8) Entsprechend führen die Spuren in besagte Länder.

Ob in den Datensätzen aber tatsächlich „vor allem Vertreter kleptokratischer Regime“ auftauchen, wie Die Welt schreibt, oder ob dieser Eindruck nicht eher einer bestimmten Suchauswahl geschuldet ist, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Nach Ansicht des Springer-Blattes zeigen die Panama Papers, „wie wichtig eine freie und gesunde Presse ist, um Missstände aufzudecken und wenn möglich zu beheben“. (9)

Der ehemalige britischer Botschafter Craig Murray bezweifelt hingegen, dass die Enthüllungen den guten Gesundheitszustand westlicher Medien bezeugen: „Ich weiß, dass Russland und China korrupt sind, das muss man mir nicht noch einmal erzählen. Warum schaut ihr nicht auf die Sachen, die hier bei uns im Westen im Argen liegen und gegen die wir angehen könnten?“ (10)

Murray kritisiert die Kriterien der Suchauswahl und schlägt Alternativen vor: „Was wäre wohl passiert, wenn man die Mossack-Fonseca-Daten nach den Namen der Besitzer der westlichen Medienkonzerne, ihrer Unternehmen und allen Redakteuren und leitenden Journalisten durchsucht hätte? (…) Was wäre passiert, wenn man die Daten nach jedem Unternehmen durchsucht hätte, dass an den Börsen des Westens gelistet ist und nach jedem westlichen Millionär?“

Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?

Die angewandte Filterung der Mossfon-Daten folge einer „klaren westlichen Agenda“, so Murray. Der Ex-Diplomat wirft auch folgende Frage in den Raum: „Und was wäre passiert, wenn man die Mossack-Fonseca-Daten nach allen Spendern des Center for Public Integrity und deren Unternehmen durchsucht hätte?“

Das Center for Public Integrity (CPI) ist die Organisation, die hinter dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) steht und dieses finanziert. Nachdem ihr die Mossfon-Datensätze von einem anonymen Informanten vor über einem Jahr zugespielt worden waren, hatte die Süddeutsche Zeitung das ICIJ zur Auswertung der riesigen Datenmenge mit ins Boot geholt.

Das CPI, das sich der Aufgabe widmet, „Machtmissbrauch, Korruption und Pflichtverletzung durch mächtige öffentliche und private Institutionen aufzudecken“, wird unter anderem von der Ford Foundation, dem Carnegie Endowment und dem Rockefeller Family Fund finanziert – also Stiftungen, die einen festen Platz im politischen Establishment der USA haben. (11)

Zu den Geldgebern des CPI zählt auch die Open Society Foundation des Milliardärs George Soros, die der Maidan-Protestbewegung in der Ukraine beim Sturz des Präsidenten Janukowitsch behilflich war, um die Ex-Sowjetrepublik auf prowestlichen Kurs zu bringen. (12)

Soros‘ Stiftung gehört neben dem United Nations Democracy Fund (UNDEF) und der United States Agency for International Development (USAID) zu den drei Finanziers des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), das wiederum vom ICIJ in die Auswertung der Panama Papers eingebunden wurde. (13)

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass USAID-Mitarbeiter im September 2012 von Russland des Landes verwiesen wurden. Die formell unabhängige Behörde ist berüchtigt dafür, im Namen von Demokratie und Zivilgesellschaft Länder zu destabilisieren, deren Regierungen Washington im Wege stehen – sie ist eine wichtige Waffe im „Soft-Power“-Arsenal der USA.

Auch wenn zwei der drei OCCRP-Geldgeber eine antirussische Agenda verfolgen, muss man sich nicht der Meinung von Wikileaks anschließen, wonach „die Attacke gegen Putin“ im Rahmen der Panama-Enthüllungen vom OCCRP organisiert worden sei (14) – ein gewisses Geschmäckle bleibt dennoch zurück.

Koordination mit Weitblick

Es falle auf, „dass es in erster Linie wieder um Putin geht, dabei bekommen Sie selbst den Präsidenten mit ihrer Datenauswertung gar nicht zu fassen“, leitete der Bayerische Rundfunk am Montag ein Gespräch mit Georg Mascolo ein, dem Leiter des Rechercheverbunds von SZ, WDR und NDR. (15) „Ist es also eher eine Entscheidung aus Marketinggründen, auf Putin wieder den Fokus zu legen?“, fragt der Sender nach.

Mascolos Antwort fällt erhellend aus: „Nein, ich halte das für eine der bedeutsamsten Geschichten in all dem. Wir haben ja mit vielen internationalen Medien zusammengearbeitet, so beispielsweise mit der BBC und dem Guardian. Auch die haben sich entschieden, groß – nicht über Wladimir Putin zu berichten, um das zu sagen, denn sein Name taucht in den Papieren nicht auf – aber was man feststellt, ist, dass ganz viele seiner engsten Freunde sich in diesem Netzwerk von Offshore-Firmen befinden.“ Man müsse daran erinnern, „dass Waldimir Putin bereits vor Jahren gesagt hat, dass das Offshore-System unpatriotisch sei. Dass muss man sich schon fragen, wie es sein kann, wenn das unpatriotisch ist, wieso man nun ausgerechnet seine allerengsten Freunde in solchen Briefkastenfirmen findet.“

Putin wurde also in den Fokus gerückt, um den mangelnden Patriotismus seiner Freunde aufzuzeigen? Eine schwächere Begründung hätte sich der ehemalige Spiegel-Chefredakteur kaum ausdenken können. Immerhin gesteht Mascolo ein, dass es eine Absprache mit den internationalen Medienpartnern gab, den russischen Präsidenten vermittels seiner Freunde in den Vordergrund der Berichterstattung zu stellen.

Die Entscheidung der Süddeutschen Zeitung, sich auf Putin zu konzentrieren, muss schon lange im Vorfeld der Veröffentlichungen gefällt worden sein. Das belegt das von SZ-Redakteuren verfasste Buch „Panama Papers – Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung“, das am heutigen Donnerstag im Buchhandel erscheint.

Der einzige Name, der auf dem Titelblatt auftaucht, ist der des russischen Präsidenten. Ein Buchcover werde „nicht zwischen Tür und Angel produziert“, gibt Albrecht Müller, Herausgeber der Nachdenkseiten, diesbezüglich zu Bedenken. „Die Passage über Putin ist sehr viel früher festgelegt worden und findet sich dann wie beschrieben als quasi aktuelle Feststellung in den Medien von heute wieder. Da man Putin nicht finden konnte, aber sein Name – als einziger!! – unbedingt auf dem Titel erscheinen sollte, schreibt man etwas von ‚Putins innerstem Zirkel‘.“ (16)

Die Panama-Papers und ihre Veröffentlichung würden für eine „grenzüberschreitenden Diffamierungskampagne“ benutzt, so Müller. „Das ist so lächerlich und durchsichtig, dass man kaum glauben mag, dass intelligente Menschen darauf hereinfallen.“

Folgt man dieser Sichtweise, dann muss man sich um einen Mangel an Intelligenz innerhalb der russischen Bevölkerung keine Sorgen machen: Frohlockte etwa die Berliner Morgenpost am Montag noch, die Enthüllungen sorgten für „Panik im Kreml“ (17), kehrte am Mittwoch bereits Ernüchterung unter deutschen Medienschaffenden ein – die Anti-Putin-Kampagne hat in Russland nicht wie beabsichtigt gezündet.

„Korruption unter Putin in Russland? Was soll‘s!“, titelte das Handelsblatt fast schon resignierend angesichts ausbleibender Massenproteste. (18) Unter der Überschrift „Das System ist korrupt. Na und?“ empört sich auch Spiegel-Online darüber, dass die Reaktion der russischen Öffentlichkeit nicht wie gewünscht ausfällt, und zitiert in dem Zusammenhang die Begründung des Schriftstellers Sergej Schargunow: „Die Leute denken automatisch, dass jemand mit solchen Enthüllungen gewisse politische Ziele verfolgt.“ (19)

Das Problem sei nicht, „Korruption in Putins Umfeld nachzuweisen“, so der Artikelverfasser Benjamin Bidder, (Anti-)Russland-Experte des Hamburger Nachrichtenmagazins. „Die Herausforderung besteht darin, das schiefe Weltbild der Russen geradezurücken.“

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Anmerkungen

(1) http://www.tagesspiegel.de/politik/panama-papers-die-doppelmoral-der-politik-ist-der-eigentliche-skandal/13401222.html
(2) http://www.theguardian.com/news/2016/apr/03/panama-papers-money-hidden-offshore
(3) http://www.theguardian.com/news/2016/apr/03/a-world-of-hidden-wealth-why-we-are-shining-a-light-offshore
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/panama-papers-wie-der-ukrainische-praesident-mitten-im-krieg-eine-briefkastenfirma-gruenden-liess-1.2932954
(5) http://www.spiegel.de/politik/ausland/panama-papers-vorwuerfe-gegen-petro-poroschenko-a-1085815.html
(6) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201411063309/wirtschaft/finanzwelt/luxemburg-leaks-auf-dem-weg-zur-steuergerechtigkeit.html
(7) http://www.heise.de/tp/news/Panama-Papers-Wie-objektiv-ist-die-Recherche-3161081.html
(8) http://panamapapers.sueddeutsche.de/articles/56ff9a28a1bb8d3c3495ae13/
(9) http://www.welt.de/politik/article153961591/Die-Milliarden-Dollar-Spuren-einer-globalen-Affaere.html
(10) https://www.craigmurray.org.uk/archives/2016/04/corporate-media-gatekeepers-protect-western-1-from-panama-leak/
Eine deutsche Übersetzung findet sich hier: http://www.nachdenkseiten.de/?p=32707
(11) https://www.publicintegrity.org/about/our-work/supporters
(12) https://www.opensocietyfoundations.org/projects/stand-ukraine
(13) https://www.occrp.org/en/about-us
(14) http://de.sputniknews.com/politik/20160406/308994745/offshore-skandal-usa-gegen-russland.html
(15) Podcast der Sendung: http://cdn-storage.br.de/iLCpbHJGNL9zu6i6NL97bmWH_-by/_-9S/9-xH9AFg/160404_1803_radioWelt_PanamaPapers-Brenner-Plastiktuete.mp3
(16) http://www.nachdenkseiten.de/?p=32861
(17) http://www.morgenpost.de/politik/article207377327/Enthuellungen-der-Panama-Papers-sorgen-fuer-Panik-im-Kreml.html
(18) http://www.handelsblatt.com/politik/international/panama-papers-korruption-unter-putin-in-russland-was-solls/13403508.html
(19) http://www.spiegel.de/politik/ausland/panama-daten-und-wladimir-putin-das-system-ist-korrupt-na-und-a-1085539.html

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