Bilanz einer Drangsal

Heraus aus dem Schock – Zur Aufarbeitung der Corona-Politik

Über zwei Jahre lang konzentrierten sich die Regierungsparteien darauf, die gesamte Bevölkerung durch Kontaktverbote vor Infektionen zu „schützen“. Statt die eigene Immunabwehr stärken zu helfen, wurde auf millionenfaches Injizieren nicht erprobter Stoffe gesetzt. Jetzt ist die Zeit zum Bilanzieren gekommen.

1679581482

Wer gegen die Maßnahmen protestiert hat, hat es vorausgesehen: Irgendwann platzt die Blase (Foto von einer Demonstration in Frankfurt am Main im Juni 2022).
Foto: 7C0/ Flickr Lizenz: CC BY 2.0, Mehr Infos

Gemeinsam mit Reinhard Frankl und Tobias Weißert hat Prof. Rainer Roth 2020 und 2021 zwei Broschüren zur Corona-Politik in Deutschland herausgebracht. Beide Broschüren sind mittlerweile als PDF-Dateien auf der Website des KLARtext e.V abrufbar.1 Die drei Autoren, die zudem dem Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne angehören, sehen sich nach wie vor als Linke. Aber sie sind enttäuscht von den politischen Vertretern der Linken. Kürzlich haben sie den Parteivorständen von SPD, CDU, CSU und Grünen ausführliche Briefe geschrieben und sie zu einer Aufarbeitung der Corona-Politik aufgefordert.2

Nachdem wir im vergangenen Jahr bereits einen ausführlichen Artikel von Tobias Weißert bei Hintergrund veröffentlichen durften3, haben wir nun Rainer Roth gebeten, seine Forderung nach Aufarbeitung für uns noch einmal zusammenzufassen. Es folgt ein Gastbeitrag, der auch die Zustimmung des Rhein-Main-Bündnisses gegen Sozialabbau und Billiglöhne hat. (hb)

Aufarbeitung der Corona-Pandemie verhindern oder vertiefen

Drei Jahre nach dem Beginn der Corona-Pandemie ist unbedingt eine gründliche Aufarbeitung notwendig, welche ergriffenen Maßnahmen zweckmäßig waren, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen bzw. in welchem Maße sie ihr geschadet haben. Einzelne Vertreter der verantwortlichen Regierungsparteien haben sich in Talkshows oder Interviews weit vor gewagt, Herausragend sind hier Gesundheitsminister Prof. Dr. Lauterbach (SPD) und der frühere CDU-Vorsitzende Laschet.

Welche Fehler werden zugegeben?

Was Schwachsinn gewesen ist, …, sind diese Regeln draußen“, sagte Lauterbach. Er bezog sich etwa auf das zeitweise ausgesprochene Verbot, ohne Maske joggen zu gehen. „Das ist natürlich klar, das sind Exzesse gewesen“, sagte er. Die Länder hätten massiv überreizt, insbesondere Bayern. (Lauterbach räumte auch ein, die Regierungsparteien seien „bei den Schulen und bei den Kindern sehr hart eingestiegen“, weil Schulen und Kindergärten „zu lange geschlossen gewesen seien.“4 Er befürwortet also nach wie vor grundsätzlich die Schließung von Kitas und Schulen. Wie viele Monate war es denn sinnvoll? Sehr hart bei Kindern gingen die Regierungen aber auch vor, indem sie Spielplätze und Sportplätze dicht machten, auch gegen Kinder Ausgangssperren, Spielverbote und Kontaktverbote im Freien verhängten.

Armin Laschet erklärte: „Mit den Corona-Schutzverordnungen haben wir eine Regelungswut an den Tag gelegt, die im Rückblick völlig überzogen war.“5 Dabei fällt ihm allerdings nicht der „Schwachsinn“ auf, „Eindämmungsmaßnahmen“ gegen Ansteckungen für den Aufenthalt im Freien zu erfinden, obwohl dort die Viruslast so gering ist, dass es so gut wie unmöglich ist, sich zu infizieren.6 Bestand die überzogene Regelungswut auch in der Schließung von Schulen, Kindergärten, Spiel- und Sportplätzen, in Ausgangssperren, Kontaktverboten usw.? Laschet erwähnt nur Friseursalons, Kosmetik- und Tattoostudios, bei denen angeblich jede Bewegung reglementiert worden sei.7 Laschet überrascht mit der Aussage: „Die Methode, die wir angewandt haben (auf dem Verordnungswege fundamentale Grundrechte außer Kraft zu setzen, R.R.) halte ich für hochgefährlich.“ War der Ausnahmezustand, in dem MinisterInnen über Verordnungen regierten, undemokratisch und deswegen „hochgefährlich“? Die Selbstkritik Laschets bleibt nebulös und unverbindlich. Stellungnahmen der Parteivorstände von SPD und CDU zu Fehlern bleiben vollkommen aus. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag z. B., Dr. Janosch Dahmen, ist sogar zu keiner Einsicht in Fehler bereit.8 Er habe immer nur das Beste gewollt. Es habe ihn betrübt, dass es nicht gelungen sei, vulnerablere Menschen ausreichend vor schwerer Krankheit und Tod zu schützen. Verantwortung dafür jedoch trägt anscheinend niemand.

Entsprachen die Maßnahmen dem damaligen Wissensstand?

Die FAZ bringt die Haltung der Regierungsparteien auf den Punkt: „Die Corona-Politik hat viele Fehler gemacht. Entscheidend ist aber: sie war erfolgreich.9 Sie habe viele Leben gerettet. Die Fehler im Einzelnen zu analysieren scheint überflüssig zu sein. Eine konkrete Aufarbeitung der Fehler durch Regierungsparteien und ihnen nahestehende Staats- und Konzernmedien ist nicht zu erwarten.

Lauterbach rechtfertigt die von ihm zugegebenen Fehler damit, dass der „Wissensstand nicht gut genug gewesen sei“. Kultusminister Holetschek (CSU) stimmt zu: „Die Maßnahmen, die wir immer nur auf Basis des aktuellen Wissensstands treffen konnten, gingen zu sehr zulasten der Kinder und Jugendlichen.“

Von Anfang an gab es WissenschaftlerInnen, die die Grundlagen der Corona-Maßnahmen sachlich kritisiert haben. Zu ihnen gehört nicht zuletzt Prof. Dr. Matthias Schrappe. Er ist Facharzt für innere Medizin, arbeitete jahrelang an drei kommunalen Kliniken und zwei Universitätskliniken, u. a. als ärztlicher Direktor, lehrte an verschiedenen Universitäten und war jahrelang Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens, vier Jahre davon stv. Vorsitzender. Acht Mediziner um Schrappe, darunter Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske und der Rechtsmediziner Prof. Dr. med. Klaus Püschel haben seit Beginn der Pandemie mit acht Thesenpapieren und zahlreichen Stellungnahmen eine solide wissenschaftliche Grundlage zur Beurteilung der Pandemiemaßnahmen entwickelt.10

Zu den wichtigsten Maßnahmen lagen laut Schrappe „alle relevanten Informationen“ vor. Das Virus sei keine „unbekannte Herausforderung“ gewesen, wie Merkel es am 13.03.2020 behauptete und die Maßnahmen auch keine „Entscheidung im Ungewissen“, wie es Bundesjustizministerin Lamprecht am 30.6.2021 verkündete.11

Die kritischen Mediziner jedoch wurden von den Regierungsparteien, den Staats- und Konzernmedien, aber auch von den die Regierung beratenden Ärzten und Virologen als Querdenker, Verschwörungstheoretiker und Pseudo-Experten verleumdet.

Welche Fehler wurden begangen?

Über ein Dutzend Ärzte und Wissenschaftler haben am 14. Februar 2023 zusammen mit Schrappe eine medizinisch fundierte ausführliche Stellungnahme zur Aufarbeitung der Pandemie-Politik veröffentlicht.12

Wir beschränken uns hier auf drei zentrale Punkte.

Fehler Nr. 1: Die Autoren halten das Hauptziel der Maßnahmen für falsch, Ansteckungen bei allen Menschen möglichst umfassend verhindern zu wollen, weil auch Menschen ohne Krankheitssymptome Infektionen verbreiten können. Quarantäne für alle positiv Getesteten zu verhängen, sei unsinnig gewesen, da viele von ihnen nicht oder kaum noch ansteckend waren. Für Kinder, Jugendliche und für die Masse der Menschen im erwerbsfähigen Alter seien Infektionen mit dem Virus zudem keine große Bedrohung, wohl aber für Vorerkrankte, besonders unter älteren Menschen. (Das zeigen alle Statistiken des RKI). Die Lockdown-Maßnahmen missachteten das vorhandene Wissen.

Stattdessen konzentrierten sich die Regierungsparteien darauf, die gesamte Bevölkerung durch Kontaktverbote vor Infektionen zu „schützen“, obwohl diese sich in bedeutendem Umfang durch intakte Immunabwehr selbst schützen konnte. Schul-, Universitäts- und Kitaschließungen und andere Lockdown-Maßnahmen (wie Ladenschließungen, Ausgangssperren, Sportverbote, Versammlungsverbote usw.) waren kontraproduktiv. Sie schwächten die Immunabwehr. Die Kontaktverbote konnten nicht einmal verhindern, dass sich das Virus am Ende schneller ausbreitete als erwartet. Infektionen durch Kontakte zuzulassen, d. h. mit dem Virus zu leben, war regierungsamtlich unerwünscht, obwohl das bei Millionen Menschen wirkungsvoll zur Herdenimmunität beigetragen hat.

Die Maßnahmen hätten sich also auf den Schutz immungeschwächter Menschen konzentrieren müssen, insbesondere unter der älteren Bevölkerung. Das geschah jedoch nicht, vor allem bei BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen, wie selbst die FAZ feststellte (Thomas Holl, FAZ 30.01.2023). Viele Todesfälle unter ihnen waren die Folge. Auf den Intensivstationen habe ferner bei vergleichbarem Schweregrad die bevorzugte invasive Beatmung an Beatmungsgeräten zu einer Todesrate von 60 Prozent geführt, sechsmal so viel wie bei nicht invasiver Beatmung.13

Fehler 2: Viele Maßnahmen konzentrierten sich darauf, Aktivitäten im Freien, d. h. außerhalb geschlossener Räume, zu verbieten, „obwohl eine Ansteckung eigentlich nur in Innenräumen (erfolgt). … Draußen steigt nicht nur die abgeatmete Luft schneller nach oben, sie wird auch sofort verdünnt. Somit werden praktisch nie genug Viren inhaliert, um eine Infektion auszulösen.

Aktivitäten im Freien zu verbieten, verleugnete das vorhandene Wissen. Es war eben, wie Lauterbach erklärte, „Schwachsinn“. Es war Schwachsinn, Sport im Freien, Spaziergänge mit Freunden zu verbieten und überhaupt den Aufenthalt im Freien mit Ausgangssperren zu untersagen. Maskenpflichten im Freien waren außerdem „vollkommen sinnlos“. In Innenräumen jedoch konnten Masken sinnvoll sein, besonders wenn viele Personen anwesend waren, die Decken niedrig und die Lüftung schlecht war.

Fehler 3: Impfungen und die Produktion von Antikörpern als Hauptschutz gegen Infektionen sei ein „wissenschaftlicher Irrweg“. „Es gehört seit Jahrzehnten zum Basiswissen der Immunologie, dass die breite zelluläre Immunreaktion mit ihrem Gedächtnis für Antigene (fremde Substanzen) im Vordergrund der Immunabwehr steht.“ Die Stärkung der individuellen Immunabwehr hätte also im Vordergrund der Maßnahmen stehen müssen und nicht der Schutz vor jeder Infektion. Menschen zu impfen, die ein intaktes Immunsystem hätten, sei unnötig. Ein großer Teil von Pandemiemaßnahmen dagegen trug zur Schwächung des Immunsystems bei, statt es zu stärken. Das Autorenteam um Schrappe beschäftigt sich nicht mit dem Ausmaß der Impfschäden und der Übersterblichkeit, die es seit dem Zeitraum der Impfkampagne gibt.

Das notwendige Wissen war also in zentralen Bereichen der Pandemiemaßnahmen vorhanden, doch die Regierungsparteien wollten davon nichts wissen. Sie erzeugten bewußt eine lähmende Angst vor dem Virus und setzten entgegen besserem Wissen Maßnahmen durch, die die Gesundheit nicht schützten, sondern ihr eher schadeten. Dieser Schluss liegt erst recht nahe, nachdem die schwedische Statistikbehörde SCB auf Grundlage u. a. der Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat bekannt gab, dass die Übersterblichkeit in Schweden in den Jahren 2020-2022 gegenüber den Jahren 2017-2019 mit Abstand die niedrigste in Europa war. Sie war halb so hoch wie in Deutschland, obwohl (oder weil?) in Schweden Schulen, Kindergärten, Läden, Cafés usw. offen blieben und keine Maskenpflicht bestand. 14

Auch „Sinnloses“ hat seinen Sinn

Was bei nüchterner Betrachtung für uns als sinnlos erscheint, muss für die Verantwortlichen einen Sinn gehabt haben. Sonst hätten sie „sinnlose“ Maßnahmen nicht auf dem Boden eines für die gegenwärtige Demokratie „hochgefährlichen“ Ausnahmezustandes mit der Staatsmacht durchgesetzt. Den wirklichen Sinn offenzulegen, d. h. die Interessen aufzuzeigen, aus denen die Handlungen entspringen, wagten sie allerdings nicht.

Die wichtigste Aufgabe besteht also darin, anhand der Folgen der Pandemiemaßnahmen den wirklichen Sinn herauszuarbeiten. Entscheidend hierbei ist aufzudecken, wie die Interessen des Kapitals in der Coronakrise durch die für uns „sinnlosen“ Maßnahmen bedient wurden. (vgl. Frankl, Roth, Weißert, Lockdown – Nicht nochmal!, Frankfurt August 2020, 87 ff.)Zu untersuchen ist vor allem, wie die längerfristige Verwertung von Kapital für die wichtigsten Kapitalgruppen durch die Pandemie-Politik gefördert wurde. Es geht hier nicht nur um die Geschäftsinteressen der Pharmaindustrie und anderer Profiteure, sondern um die überfallartige Förderung der digitalen Revolution in allen Bereichen, um die staatliche Förderung von Gewinnen und Renditen mit Hilfe gewaltiger Staatsschulden und um die Einübung von Herrschaftsmethoden, mit denen die Mehrheit der Bevölkerung trotz drohender Senkung ihres Lebensstandards dazu gebracht wird, auch sinnlosen Anweisungen zu gehorchen und dennoch das Vertrauen nicht zu verlieren. Die verantwortlichen Regierungsparteien sehen sich schon von ihren Programmen her verpflichtet, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals in Deutschland zu fördern. Genau das haben sie auch in der Coronapandemie gemacht.

Anm. Redaktion: Gerne veröffentlichen wir weitere Texte, die der Aufarbeitung der Politik der vergangenen drei Jahre dienen. Teilen Sie uns gerne mit Ihre Meinung mit. Schreiben Sie uns an redaktion@hintergrund.de

___________________

Der Autor

Rainer Roth ist Sozialwissenschaftler. Als Professor an der Fachhochschule Frankfurt a. M. arbeitete er bis zu seiner Pensionierung mit dem Schwerpunkt Armut und Sozialhilfe. Er ist Vorsitzender von Klartext e.V., einem Verein, der für die Sanierung der Staatsfinanzen auf Kosten der Banken, Konzerne und Reichen eintritt.

 

Quellen

2 https://klartext-info.de/?p=1218

3 https://www.hintergrund.de/politik/realismus-statt-alarmismus/

4 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/lauterbach-kritik-corona-auflagen-bayern-101.html vom 10.2.2023)

5 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-01/corona-pandemie-fehler-armin-laschet-manuela-schwesig/komplettansicht

7 FAZ 30.01.2023

8 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-01/corona-pandemie-fehler-armin-laschet-manuela-schwesig/komplettansicht

9 Thomas Holl, Einer Diktatur überlegen, FAZ 30.01.2023

10 https://www.schrappe.com/ms2/

11 Matthias Schrappe, Zehn Thesen zur Aufarbeitung der Corona-Krise https://www.cicero.de/innenpolitik/corona-krise-aufarbeitung-zehn-thesen-schrappe-teil-1, https://www.cicero.de/innenpolitik/corona-krise-aufarbeitung-zehn-thesen-schrappe-teil-2

12 https://cicero.de/kultur/stellungnahme-sokrates-corona-pandemie-schrappe-antes

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

13 Matthias Schrappe, Gerd Antes, Thomas Voshaar u.a.: Stellungnahme zum Umgang mit Corona-Lehren aus der Pandemie https://cicero.de/kultur/stellungnahme-sokrates-corona-pandemie-schrappe-antes; das ist auch die Quelle für die unter Fehler 2 und 3 aufgeführten Zitate

14 Lockdownfrei und Erfolg dabei, taz 7.3.2023, https://taz.de/Uebersterblichkeit-in-den-Corona-Jahren/!5920764/

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Volksvertreter contra Wahlvolk Kriegskabinett Scholz gegen Volksentscheid
Nächster Artikel Europas Position Verheugen: „Wir müssen uns von den USA emanzipieren“