Innenpolitik

Daten von Bundesbürgern für den US-Heimatschutz

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von Helmut Lorscheid, 13. März 2008:

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Wer künftig im Rahmen einer polizeilichen Maßnahme seine Fingerabdrücke abgibt, muß damit rechnen, daß diese auch an die USA weitergeleitet werden, an einen Staat also, der Folter als selbstverständlichen Teil der Informationsbeschaffung praktiziert. (1)
Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) haben am 12. März 2008 in Berlin zusammen mit ihren US-amerikanischen Amtskollegen, dem Justizminister Michael Bernard Mukasey, und dem Minister für Innere Sicherheit, dem sogenannten Heimatschutzminister Michael Chertoff, ein entsprechendes bilaterales Abkommen unterzeichnet. Darin ist vorgesehen, künftig auch ohne Ersuchen personenbezogene Daten zu übermitteln, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen terroristische Straftaten oder Straftaten, die hiermit in Zusammenhang stehen, begehen werden oder eine Ausbildung zur Begehung von terroristischen Straftaten durchlaufen oder durchlaufen haben.“ (2)
Übermittelt werden sollen künftig Daten zur Identifizierung der Person (z. B. Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, daktyloskopische Daten, also Daten die Fingerabdrücke einer Person betreffen) und Informationen zu Umständen, die einen Terrorismusverdacht begründen. Das Abkommen schaffe ferner, so die Bundesregierung, die Grundlage für einen automatisierten Austausch von Fingerabdruck- und DNA-Daten im hit/nohit-Verfahren nach Vorbild des Vertrags von Prüm, der im Jahr 2005 zwischen mehreren EU-Mitgliedstaaten geschlossen wurde. Bei einem hit/nohit-Verfahren handelt es sich um ein Verfahren, bei dem eine Anfrage auf die Zentralstelle einer Datenbank nur mit „Treffer“ oder „kein Treffer“ beantwortet wird. Dieses Verfahren findet vor allem Anwendung auf Datenbanken zur Speicherung von biometrischen Daten im Rahmen europäischer Zusammenarbeit. Bei diesem Verfahren gewähren sich die Vertragsstaaten gegenseitig einen begrenzten Zugriff auf die sogenannten Fundstellendatensätze ihrer nationalen DNA- und Fingerabdruckdatenbanken, mit dem Recht, diese für einen automatisierten Abgleich von Fingerabdrücken und DNA-Profilen zu nutzen. (3)
Wolfgang Wieland, MdB (B 90/Grüne) bedauerte im Zusammenhang mit der Paraphierung des Abkommens mit den USA, daß die Bundesregierung keine Konsequenzen aus den bisherigen Erkenntnissen des BND-Untersuchungsausschusses ziehe. Dieser Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages befaßt sich u.a. mit der Verschleppung deutscher Staatsbürger durch die USA in Foltergefängnisse und mit den sogenannten „CIA-Flügen“(4). Wenn man solche Abkommen mit dem US-Heimatschutzminister abschließe, so Wieland, müsse man bedenken, daß die Weitergabe von Daten an die USA mit dazu geführt habe, daß beispielsweise der deutsche Staatsbürger Muhammad Haidar Zammar nach Syrien in ein Foltergefängnis entführt worden sei. Und auch die USA selbst sei, so Wieland, „leider weiterhin ein Folterstaat“. (5) Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, warf der Bundesregierung vor, sie übernehme „europaweit eine Vorreiterrolle beim Grundrechtsabbau. Das Abkommen ist ein schwerwiegender Verstoß gegen den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte“ (6).
Frau Jelpke bezeichnet das Abkommen als Einstieg in einen viel weitergehenden Datentransfer. Sie befürchtet, dass künftig alle auf europäischen Polizeicomputern gespeicherten Personendaten unkontrolliert in die USA fließen könnten. „Wer in Gorleben bei einer Demonstration gegen Atomkraft festgenommen wurde, könnte bei einer USA-Reise sein blaues Wunder erleben.“ Umgekehrt flössen Daten nach Deutschland, die von US-Behörden auch unter Zwang in illegalen Gefängnissen im Irak oder Guantanamo gewonnen worden seien (6). Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, kritisierte die unzureichend formulierte „Zweckbindung“ der Datenweitergabe und forderte die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, „für essentielle datenschutzrechtliche Regelungen einzutreten, wenn ihnen das Abkommen zur Ratifizierung zugeleitet wird.“ Das Abkommen muß, bevor es in Kraft tritt, noch vom Bundestag beraten werden (7).

Quellen:
(1) http://www.taz.de/1/politik/amerika/artikel/1/bush-will-weiter-foltern-lassen/?src=SZ&cHash=d4846edaea
sowie zur Folter http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Menschenrechte/folter-export.html
(2) http://www.bmi.bund.de/cln_012/nn_122688/Internet/Content/Nachrichten/Pressemitteilungen/2008/03/Bilaterales__Abkommen.html
(3) http://www.bmi.bund.de/cln_012/nn_122688/Internet/Content/Themen/Polizei/
DatenundFakten/Pruemer__Vertrag.html zu hit/nohit-Verfahren siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Hit/no_hit-Verfahren
(4) http://www.stern.de/politik/deutschland/:Fall-Zammar-Das-BKA-Entf%FChrung/579771.html
Wolfgang Wieland im Pressegespräch am 12.3.08
(6) http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=806
(7) http://www.bfdi.bund.de/cln_027/nn_531002/sid_
513AD800B6FB9E313556119C2858CD9E/DE/Oeffentlichkeitsarbeit/Pressemitteilungen/2008/PM-10-08-UnzureichenderDatenschutzDatenaustauschUSA.html

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