Innenpolitik

Ein Bauernopfer

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Die Affäre um den BND-Mitarbeiter, der Dokumente an US-Geheimdienste weiterleitet, empört das politische Berlin. Der wirkliche Skandal liegt aber in der alltäglichen Zusammenarbeit von US-Diensten und BND –

Von SEBASTIAN RANGE, 8. Juli 2014 –

Nachdem die parlamentarische Opposition angesichts des Spionageverdachts gegen einen BND-Mitarbeiter am Wochenende bereits von „einem der größten Spionagefälle in Deutschland“ sprach, bemühen sich die offiziellen Stellen nun um Schadensbegrenzung.

Der 31-jährige Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes, der nun in Untersuchungshaft sitzt und aus finanziellen Motiven für einen US-Dienst spioniert haben soll, habe keine besonders sensiblen Daten weitergegeben, sondern eher allgemein den BND betreffende Dokumente, wie die Deutsche Presse-Agentur  (dpa) „aus hochrangigen BND-Kreisen“ erfahren haben will. Der am vergangenen Mittwoch Festgenommene sei in Pullach bei München als Hilfskraft in der Abteilung „Einsatzgebiete Ausland“ eingesetzt gewesen. Der BND-Mann aus dem mittleren Dienst soll mindestens zwei Jahre lang als „Doppelagent“ aktiv gewesen sein. Dabei habe er insgesamt 218 BND-Geheimpapiere gestohlen und auf einem USB-Stick gespeichert. Bei drei Treffen mit US-Geheimdienstlern in Österreich soll er insgesamt 25 000 Euro bekommen haben

„Es ist nicht gut, dass er das weitergegeben hat. Aber es ist nach der ersten Bewertung nicht etwas, was der GAU (größte anzunehmende Unfall) wäre“, hieß es weiter. Der BND habe seine internen Abläufe auf Fehler hin überprüft, aber nichts feststellen können. „Bei uns ist nichts falsch gelaufen.“ Auch bei der schriftlichen oder elektronischen internen Nachverfolgung von Geheimdokumenten gebe es keine Lücken. Der 31-Jährige sei nicht von einem fremden Geheimdienst angeworben worden, sondern habe seine Dienste selbst angeboten, wurde betont. „Gegen einen solchen Selbstanbieter ist jeder Dienst der Welt machtlos“, hieß es.

Laut einem Bericht des US-Senders CBS News habe die CIA allerdings beim Anwerben des Spions mitgeholfen. Es handele sich um eine autorisierte Aktion, mit der man mehr über die Abläufe der Bundesregierung in Erfahrung bringen wollte, so der Sender unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Regierungsbeamten.

Insbesondere der Verdacht, der BND-Mann, der laut einem Bericht der Bild  seine Anweisungen direkt aus der US-Botschaft bekommen haben soll, könnte den NSA-Untersuchungsausschuss ausspioniert haben, sorgt für Empörung.  Unter den an die USA verkauften BND-Papieren seien mindestens drei Dokumente mit Bezug zum NSA-Ausschuss gewesen.

Doch diese sagten nach  Angaben des Ausschussvorsitzenden nichts über dessen Arbeit aus. „Ich kann (…) derzeit sagen, dass ich keine Erkenntnisse habe, dass Dokumente des Untersuchungsausschusses selber ausgespäht worden sind“, sagte der CDU-Politiker Sensburg im Deutschlandfunk. „Unsere internen Papiere hoffen wir sicher zu halten, dass sie nicht nach außen dringen.“

Ende Mai war die beim Bundesamt für Verfassungsschutz angesiedelte Spionageabwehr der BND-Aushilfskraft auf die Schliche gekommen. Zum Verhängnis wurde dem Mann jedoch nicht seine Spionagetätigkeit für die USA – laut politischen Vorgaben betreiben die deutschen Geheimdienste keine Spionageabwehr gegenüber „befreundeten“ Staaten –, sondern eine Ende Mai an das russische Generalkonsulat in München gesandte Email, in der der BND-Mann seine Dienste anbot. Im Anhang schickte er als Beleg für seine Tätigkeit drei als geheim eingestufte BND-Dokumente, von denen zwei den NSA-Untersuchungsausschuss betrafen. Diese Mail fing der Verfassungsschutz ab, was schließlich zur Enttarnung des „Maulwurfs“ führte.

Einhellige Empörung

Das Bekanntwerden des Vorfalls habe „im politischen Berlin Fassungslosigkeit“ ausgelöst, heißt es in einer dpa-Meldung. Politiker der Koalition und der Opposition übertrumpfen sich dabei gegenseitig in der Verurteilung des Vorgangs. „Wenn die Berichte zutreffen, dann reden wir hier nicht über Kleinigkeiten“, sagte SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach von einem „unerhörten Angriff auf die Freiheit des Parlaments und unsere demokratischen Institutionen“.

Der SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, Christian Flisek, sprach im Bayerischen Rundfunk ebenso von einem „Angriff auf die parlamentarische Demokratie“. Dies müsse Konsequenzen haben, sowohl im Bereich der Zusammenarbeit der Geheimdienste als auch im Bereich der Politik. „Der Überwachungswahn der NSA muss endlich ein Ende haben“, bezog Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Montag Stellung. Auch aus der Union gab es scharfe Wortmeldungen. Laut CSU-Außenpolitiker Hans-Peter Uhl führten sich die US-Amerikaner auf wie eine „digitale Besatzungsmacht“. Dessen Parteikollege und innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer, sprach von einem „riesigen Vertrauensbruch im transatlantischen Verhältnis“.

Selbst der stets die transatlantische Treue beschwörende Bundespräsident Joachim Gauck meinte, wenn sich der Verdacht bestätige, dann müsse man wirklich mal sagen: „Jetzt reicht’s auch einmal.“ Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von einem „Riesendebakel für den BND und die Bundesregierung“, sollte sich der Verdacht geheimdienstlicher Spionagetätigkeit gegen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bestätigen. Der Linke-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi warf Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut „Duckmäusertum“ gegenüber den USA vor.

In den Vereinigten Staaten selbst stößt der Vorgang nur auf mäßiges Interesse. In den Medien rangiert der Vorfall eher unter „ferner liefen“. Das Weiße Haus will zur Situation bislang keinen Kommentar abgegeben. Den US-Amerikanern fällt es offenbar schwer zu verstehen, warum ein in der Geheimdienstwelt gewöhnlicher Vorgang – das Anwerben von Mitarbeitern anderer Dienste – so hohe Wellen schlägt, und nicht unter „Business as usual“ verbucht wird. Zumal es sich bei dem mutmaßlichen Doppelagenten nur um eine Aushilfskraft handeln soll, und nicht etwa wie einst im Falle von Günter Guillaume um einen Mitarbeiter im Bundeskanzleramt. Von „einem der größten Spionagefälle in Deutschland“ kann also wahrlich nicht die Rede sein. Dennoch scheint der Fall auch in der US-Regierung für Beunruhigung zu sorgen. Die New York Times zitierte einen Regierungsvertreter mit der Einschätzung, der Fall drohe alle Reparaturarbeiten im deutsch-amerikanischen Verhältnis wieder zu zerstören.

Skandal als Ablenkungsmanöver?

Der querbeet durch alle Parteien zu vernehmende Aufschrei der Empörung überrascht vor dem Hintergrund der von Edward Snowden an die Öffentlichkeit gebrachten Tatsache, dass Politik und Wirtschaft in Deutschland von den USA intensiv ausspioniert werden.  Die Bundesregierung hat die Erkenntnis, dass auch ihre Mitglieder von den Vereinigten Staaten überwacht werden, bislang mit kaum mehr als einem Achselzucken goutiert.  Als Gregor Gysi vor Wochen während einer Bundestagsdebatte dem  Bundestagspräsidenten Norbert  Lammert zu Bedenken gab, dass auch dieser „nach wie vor abgehört werde“, konterte der Bundestagpräsident mit dem vielsagenden Ausspruch: „Im Unterschied zu Ihnen trage ich das mit Fassung, Herr Kollege Gysi.“

Es scheint fraglich, warum das politische Berlin ausgerechnet angesichts dieses eher harmlosen Falles die Fassung verliert und nun verschiedene Abwehrmaßnahmen – etwa die Ausweisung von US-Spionen oder die Ausweitung der Spionageabwehr auf befreundete Staaten – erörtert. Das kann – nach der vor einem Jahr ausgelösten NSA-Affäre – kaum dem naiven Glauben geschuldet sein, die US-Dienste würden sich bei der Informationsbeschaffung nicht auch menschlicher Quellen bedienen, die über Zugang zu Geheimmaterial verfügen. Als vor einem Monat Snowden-Dokumente an die Öffentlichkeit gelangten, die belegen, wie eng die NSA und der BND im Rahmen diverser Ausschnüffelungsprogramme kooperieren, und die offenkundig auch darauf hinweisen, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst gegen die Verfassung verstoßen hat, fiel die politische Empörung vergleichsweise mau aus. (1)

Der Aufschrei blieb auch aus, als der ehemalige NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Thomas Drake, der gegenüber Spiegel-Online die deutschen Geheimdienste als „Wurmfortsatz der NSA“ bezeichnete,  im NSA-Ausschuss in Berlin den Vorwurf erhob, die USA würden vom BND bereitgestellte Daten für ihren verfassungs- und völkerrechtwidrigen Drohnenkrieg benutzen. (2)

Wie kann es sein, dass die auf finanziellen Motiven basierenden Dienste einer BND-Aushilfskraft für einen US-Geheimdient höhere Wellen schlagen als die Beteiligung des deutschen Auslandsgeheimdienstes an der flächendeckenden Überwachung der deutschen Bevölkerung sowie an dem Drohnen-Mordprogramm der USA? Dahinter vermutet der Historiker und Autor des Buchs Überwachtes Deutschland, Josef Foschepoth, ein politisches Ablenkungsmanöver, bei dem mit „Nebelkerzen geworfen“ werde, um die deutschen Dienste aus der politischen Schusslinie zu nehmen.  „Überrascht bin ich darüber, dass plötzlich von einem Doppelagenten die Rede ist. Doppelagent trifft es nicht: Der BND hat die Dokumente bislang einfach ausgehändigt“, so Foschepoth gegenüber tagesschau.de. Es gebe eine  „strukturelle Gemeinsamkeit“ zwischen den deutschen und US-amerikanischen Diensten. „Der BND ist im Prinzip ein Ziehkind der Amerikaner. Und die deutschen Geheimdienste haben sich oft entsprechend unterwürfig verhalten. Es ist kein partnerschaftliches Verhältnis, sondern ein über- und untergeordnetes.“ Die NSA-Affäre sei „keine rein amerikanische, sondern eine janusköpfige, deutsch-amerikanische Affäre“. (3)

Diese Sichtweise teilt auch Thomas Drake. „Alle Beziehungen, die die NSA mit anderen Diensten pflegt, sind ungleiche“, so der Ex-NSA-Mann gegenüber Hintergrund. „Die NSA diktiert die Bedingungen und schreibt diesen nationalen Diensten vor, weiterzugeben, was sie zur Verfügung haben. Andersherum läuft das aber nicht so.“ (4) Der Verdacht, es handele sich bei der Affäre in erster Linie um ein politisches Schauspiel, in dem eine Bürokraft des BND als Bauernopfer fungiert, um von den wirklich wichtigen Fragen im Zusammenhang mit der NSA-Affäre abzulenken, wird erhärtet durch das Zurückrudern von Vertretern der Regierung und der Opposition, denen nach dem ersten spontanen Wutschnauben offenbar gedämmert ist, dass effektive Maßnahmen gegen die US-Spionage nicht auf der politischen Agenda Berlins stehen.

So sei „eine Ausweitung des BND-Aufklärungsauftrags auf das befreundete Ausland nicht hilfreich“, erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. „Man kann doch nicht kritisieren, dass die US-Dienste maßlos Daten sammeln, und dann dasselbe tun“, so der SPD-Politiker. Auch Katrin Göring-Eckardt kritisiert Überlegungen zur Ausweitung der Spionageabwehr. „Die Antwort auf Spionage ist nicht Gegenspionage. Es braucht mehr Sicherheit und gegenseitigen Respekt unter Partnern.“

Angesichts der beharrlichen Weigerung der Vereinigten Staaten, mit Deutschland ein Nicht-Spionage-Abkommen zu vereinbaren, ist die Rede von „mehr Sicherheit und gegenseitigen Respekt unter Partnern“ nichts als eine leere Phrase, die Washington kaum davon abhalten wird, auch zukünftig alle Kanäle zu nutzen, um seine „Partner“ abzuhorchen und auszuspionieren.   


 

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Anmerkungen

(1) Siehe: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nsa-ausschuss-will-neue-bnd-enthuellungen-schnell-pruefen-a-975340.html
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/datenknoten-frankfurt-bnd-gab-telefondaten-an-nsa-weiter-a-977514.html
(2) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ex-nsa-mitarbeiter-drake-bnd-unterstuetzte-drohnenkrieg-der-usa-a-979130.html
(3) http://www.tagesschau.de/inland/bnd-foschepoth-100.html
Siehe auch: http://www.hintergrund.de/201307092668/politik/inland/aussen-hui-innen-pfui-rechtsstaat-bundesrepublik.html
http://www.hintergrund.de/201310252869/politik/inland/die-alliierten-interessen-sind-laengst-in-deutschem-recht-verankert.html
(4)  http://www.hintergrund.de/201406263131/politik/welt/qdie-usa-wurden-zum-experimentierfeld-fuer-massenueberwachungq.html

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