Innenpolitik

Wenn der heilige St. Martin nimmt statt zu teilen

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Der Einfluss der Kirchen auf den deutschen Staat – 

Von ABRAHAM GOLDSTEIN, 10. Juli 2014 – 

Wenn es mal wieder heißt, die Reichen mögen etwas von ihrem Reichtum an die Armen abgeben, denkt vermutlich kaum jemand an die Kirchen, schon gar nicht an den Vatikan in Rom, wo erst im Juni 2013 der vatikanische Buchhalter Nunzio Scarano wegen der Beteiligung an einer Schwarzgeldverschieberei über 20 Millionen Euro verhört wurde. Scarano, der übrigens nur unter “Hausarrest” (in seiner Villa) steht, enthüllte dabei, dass sich in der schwarzen Kasse des Vatikan etwa 700 Millionen Euro liquide Mittel befänden und dass es regelmäßige Schwarzgeldgeschäfte aus dem Vatikan gab – bei dem sogar einmal Goldbarren in Gemüsekisten versteckt wurden.

Im Gegenteil, trotz hoher Subventionen durch alle Steuerzahler gleich welcher Religionszugehörigkeit, die sich zum Beispiel auch in der Bezahlung der Gehälter bis zu 12 000 Euro monatlich von Bischöfen und Erzbischöfen durch den Staat zeigt oder direkten Zuwendungen an kirchliche Einrichtungen, reicht das Geld offenbar nicht:
Die evangelische und katholische Kirche in Deutschland beziehen vom Staat
fast 10 Milliarden Euro Kirchensteuer pro Jahr, sehen sich aber mit langfristig sinkenden Einnahmen konfrontiert, denn nicht nur die demografische Entwicklung zeichnet trotz der momentanen Einwanderungswelle aus den südeuropäischen Staaten ein düsteres Bild – auch die durch viele selbstverschuldete Skandale begründeten Kirchenaustritte wirken sich unmittelbar auf die Einnahmen aus.

Ein Unternehmen würde in dieser Situation nach Einsparpotenzial suchen, um  durch neue Produkte und Dienstleistungen mehr Gewinne zu erzielen. Die Kirchen dagegen sind zu starr organisiert, schließlich darf das Produkt nicht geändert werden – oder gar der Umgang damit: Statt schonungsloser Aufarbeitung werden pädophile Priester meist weiterhin nur versetzt und die Opfer vertröstet.

Was liegt also näher, als eine Einnahmesteigerung ohne Produktänderungen? Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, wurde zum Jahreswechsel mit Hilfe des Gesetzgebers eine wesentliche Effizienzsteigerung bei der Kirchensteuer erzielt: Dieser Tage flattern Bankkunden verstärkt Briefe oder Emails ins Haus, die so aussehen wie übliche Ergänzungen der Allgemeinen Geschäftsbeziehungen (AGB). Ab dem Jahr 2015 werden auch auf die Einnahmen aus Kapitalerträgen – schlicht auch Zinsen und Dividenden genannt – von den auszahlenden Banken automatisch Kirchensteuerabzüge bei ihren Kunden durchgeführt. Zwar ist die Erhebung dieser Steuer nichts Neues, aber bisher gab es diesen Automatismus nicht neben der Quellensteuer: Während diese einheitliche Zinsabgeltungssteuer auf Einkommen seit 2009 direkt von den Banken eingezogen wird, mussten die Mitglieder der Kirchen ihre Konfessionszugehörigkeit ihren Finanzbehörden durch ihre Steuererklärung mitteilen.

Dies geschah offenbar nicht in allen Fällen, da nicht jeder zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet ist: Beispielsweise die unterste Einkommensklasse bis 8 130 Euro (für das Jahr 2013) oder Singles mit Lohnsteuerklasse 1. Vielleicht aber auch Multimillionäre und Milliardäre, die gar nicht arbeiten und allein von ihren Kapitalerträgen leben. Offenbar hat jemand ausgerechnet, dass nicht alle Steuerzahler freiwillig ihre Kirchensteuer abführen. Und dass sich ein Automatismus wie bei der Quellensteuer finanziell lohnen könnte.

Kein Wunder also, dass die Kirchen diese für sie missliche Situation nicht länger hinnehmen wollten. Der Gesetzgeber schloss für sie die Lücke, und so wird der Staat auch bei den Zinseinnahmen ab dem nächsten Jahr Kirchensteuer auf den Abgeltungssteuerbetrag anrechnen und von den Banken einziehen lassen.

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Damit kommt aber auch noch eine weitere persönliche Information an die Hausbank: nämlich ob der Kunde Kirchenmitglied ist oder nicht – und das obwohl der Artikel 136 Absatz 3 Grundgesetz besagt: “Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.” Denn die Kreditinstitute fragen ab Sommer 2014 einmal im Jahr beim Bundeszentralamt für Steuern die Religionszugehörigkeit ihrer Kunden ab, bei Anlass kann dies auch zweimal geschehen. Sie erhalten dann von der Behörde das nach “Kismet” klingende Kirchensteuerabzugsmerkmal „Kistam“. Es gibt Auskunft, ob der Kunde einer Religionsgemeinschaft angehört und zu welchem Steuersatz. Die Information ist zwar in einer verschlüsselten sechsstelligen Kennziffer verborgen. Faktisch wird jedoch dadurch ein Raster erzeugt: Auf der einen Seite sind die Mitglieder der christlichen Kirchen und auf der anderen Seite Atheisten, Juden, Muslime und sonstige Andersgläubige.

Die Durchsetzung der Neuregelung zeigt erneut, wie groß der Einfluss der Kirchen im deutschen Staat tatsächlich ist, in dem nach Artikel 137 Grundgesetz ausdrücklich keine Staatskirche existiert. Das können andere Religionsgemeinschaften nicht von sich behaupten, Atheisten schon gar nicht.

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