Innenpolitik

Eine Mischung aus George Clooney und Inge Meysel

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Warum die Jagd auf Peer Steinbrück jetzt schon eröffnet ist –

Ein Kommentar von SUSANN WITT-STAHL, 5. Oktober 2012 –

Peer Steinbrück hat tüchtig zugelangt und für Banken, Versicherungen und Unternehmen aller möglicher Branchen gut dotierte Vorträge gehalten. Laut Schätzungen ist dabei eine stattliche Honorarsumme von mehreren 100.000 Euro zusammengekommen. Als besonders delikat – und längst nicht nur wegen der Höhe der Vergütung von mindestens 7.000 Euro – wird sein Auftritt 2011 bei der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer von der deutschen Öffentlichkeit angesehen. Ausgerechnet bei dem Unternehmen, das im Jahr 2008 den Entwurf für das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, die Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung und ein dazugehöriges Ergänzungsgesetz größtenteils ausformuliert hatte, während Steinbrück Bundesfinanzminister in der Großen Koalition war.

Da drängt sich unweigerlich die Frage auf, „warum er ein milliardenschweres Bankenrettungsgesetz ausgerechnet von einer Lobbykanzlei der Finanzbranche schreiben ließ“, wie sie der Linke-Bundestagsfraktionsvize Ulrich Maurer auch prompt stellte. „Der ganze Vorgang muss von A bis Z parlamentarisch untersucht und aufgeklärt werden“, findet Maurer. Zudem „müssen wir juristisch prüfen lassen, ob es mit den Verhaltensregeln für ehemalige Minister vereinbar ist, wenn sie für ein Fantasiehonorar bei einem früheren Großauftragnehmer reden“.

Triebhaft und gierig

Besonders laut CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der Steinbrück sogar verdächtigt, ein „Produkt der Finanzindustrie“ zu sein. Dobrindt kann sich auch nicht des Eindrucks erwehren, der frisch gebackene SPD-Spitzenkandidat sei „der Liebling der Spekulanten“, wie er der Welt anvertraute. Für so ein Getöse würden sich parlamentarische und außerparlamentarische Linke und Linksliberale von selbiger Tageszeitung, anderen neokonservativen Medien und nicht zuletzt aus der Partei, aus der es nun kommt, sofort einen handfesten Antisemitismus-Vorwurf einhandeln und der Verbreitung von Verschwörungstheorien bezichtigt. Aber da seit jeher gilt, dass die bürgerliche Rechte alles darf, woran die Linke nicht einmal zu denken wagen sollte, sind derartige
Unterstellungen gegen Steinbrück kein Problem.

Nach Sarrazins sensationeller Entdeckung des „Juden-Gens“ will FDP-Generalsekretär Patrick Döring offenbar nicht nachstehen und hat bei Steinbrück einen schweren Defekt seines – bei der Spezies Politiker gewöhnlich dominanten – Anständigkeits-Gens nachgewiesen: „Die SPD muss damit klarkommen, dass Steinbrück offenbar immer wieder alle Sicherungen durchbrennen, wenn es um den eigenen Vorteil geht“, bescheinigt Döring dem SPD-Kanzler-Kandidaten eine triebhafte Gier. „Mit dem Gen des ehrbaren Kaufmanns ist dieser Hanseat nur dürftig gesegnet.“

Auch in der eigenen Partei rumort es. „Rechtlich ist das Verhalten von Herrn Steinbrück völlig in Ordnung. Aber es wäre sinnvoll, wenn er selbst noch detaillierte Angaben macht“, fordert der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel. Steinbrück solle sich, meint der Partei-Linke, Gewerkschafter und Kontrahent des Kanzlerkandidaten in der Rentendebatte, an Parteichef Sigmar Gabriel ein Beispiel nehmen und seine Steuererklärung veröffentlichen.

Ernst-Dieter Rossmann, ebenfalls vom linken Flügel der SPD-Fraktion, watscht – zumindest indirekt – Steinbrück ebenfalls ab. Er präsentiert sich aber auch noch ein bisschen als loyaler Wahlkämpfer und rückt die eigene Partei ins rechte Licht: „Das Gesetz zur Offenlegung von Nebenverdiensten müsste reformiert werden, von einer Änderung des Bundespräsidentengesetzes hat man lange nichts mehr gehört, und das Anti-Korruptionsgesetz hat Deutschland auch noch nicht unterschrieben. Da muss etwas passieren“, fordert Rossmann mehr Transparenz.

Darum geht es nicht

In der Tat. Allein das Abgeordnetengesetz ist an den entscheidenden Stellen etwa so durchsichtig wie eine Nebelwand im schottischen Hochland: Seit Juli 2007 werden auf der Internetseite des Bundestages die Einkünfte der Parlamentarier aufgeführt, die sie neben ihren Diäten haben. Die Abgeordneten müssen dem Bundestagspräsidenten alle bezahlten Tätigkeiten melden. Dazu zählen etwa ihr Engagement in Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, Stiftungen, Verbänden sowie die Beteiligung an Firmen. Dabei müssen sie jede Tätigkeit offenbaren, die ihnen monatlich mehr als 1.000 Euro oder jährlich 10.000 Euro einbringt. Die Einkünfte werden in drei Gruppen unterteilt:¬ von monatlich 1.000 bis 3000 Euro, 3.000 bis 7.000 und darüber. Der Knackpunkt: Die Höhe der Honorare für Vorträge, die mit mehr als 7.000 Euro vergütet werden, muss nicht beziffert werden. Union und FDP blockieren ein Gesetz, das eine komplette Offenlegung der Nebenverdienste beinhaltet.

Allein schon diese Sachlage lässt erhebliche Zweifel aufkommen, dass die große Aufregung über Steinbrück etwas mit seiner Gier und seiner mehr als nur zarten Bande zum Finanzkapital zu tun hat. Seit drei Jahren werde mit der Regierungskoalition über eine Änderung der Verhaltensregeln für Abgeordnete „ohne Resultat“ verhandelt, moniert der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Volker Beck. Daher seien die schwarz-gelben Forderungen an Steinbrück „heuchlerisch“. Und selbstverständlich ist die überwältigende Mehrheit von Steinbrücks Parlamentskollegen nicht nennenswert weniger eng mit der Wirtschaft verbandelt. Ob es Berater- oder Vortragsverpflichtungen geht: Kaum einer lässt etwas anbrennen, wenn’s ums Nebenbei-Abkassieren geht.

Und die dubiose Rolle, die Freshfields beim Zustandekommen des  Finanzmarktstabilisierungsgesetz spielt, ist seit drei Jahren bekannt und nur das pars pro toto für ein gewaltiges Problem, dessen Teil alle Parteien sind, die die Bundesrepublik in der vergangenen Dekade regiert oder mitregiert haben: Dass die freie Wirtschaft den Politikern die Gesetzesentwürfe vorformuliert, nachdem sie sie ihnen mehr oder weniger diktiert hat. Laut der NGO LobbyControl wurden allein im Jahr 2009 16 Gesetze verabschiedet, an denen Unternehmen mitgewirkt haben. (1) So hatte beispielsweise Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), damals noch Wirtschaftsminister der Großen Koalition, bei der eng mit dem Finanzmarkt verflochtenen Anwaltskanzlei Linklaters einen Gesetzesentwurf zur staatlichen Zwangsverwaltung maroder Banken in Auftrag gegeben. Das „Outsourcing von Gesetzen“, einer der gefährlichsten Auswüchse des Neoliberalismus, der völlig zurecht als „Ausverkauf der parlamentarischen Demokratie“ skandalisiert wird, war in Deutschland aber bereits seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Rot-Grün unter dem „Kanzler der Bosse“ Gerhard Schröder massiv vorangetrieben worden. Zuvor – in dem Zeitraum zwischen 1990 und 1999 – war es nur ein Gesetz, das von Externen geschrieben worden war.  

…aber lustig

Die große Empörung, besonders bei Schwarz-Gelb und ihrer Klientel, ist wohl eher einer ärgerlichen Erkenntnis geschuldet: Mit Peer Steinbrück (im Vergleich zu dem Biedermann Frank-Walter Steinmeier, der schon 2009 allein deshalb kläglich scheiterte, weil er seine Wähler mit der von ihm verströmten Langeweile anästhesiert hatte) tritt ein furchtloser Haudegen mit Siegertyp-Qualitäten gegen Merkel an, der der „Sprechblase im Hosenanzug“ (Volker Pispers) mühelos die Show stehlen kann.

Steinbrück hat sich  als kompetenter Finanz- und Haushaltsexperte einen Namen gemacht. Was aber noch mehr bei den Wählern ankommt: Er hat Ecken und Kanten, ist sehr selbstbewusst und teilt gern mal kräftig aus, indem er beispielsweise der CDU „Dumpfbackigkeit“ bescheinigt und der FDP einen „verluderten Liberalismus, der nur noch aus Steuersenkungen besteht“. In der kargen Monokultur des Deutschen Bundestages, in der Raufbolde wie Herbert Wehner ausgestorben sind, stellt der hohe Unterhaltungswert von Steinbrücks markigen und amüsanten Sprüchen eine Oase dar, an der sich die nach charismatischen Politikern dürstenden Wähler laben – selbst um den Preis, dass sie diametral gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Steinbrücks Drohung an die Schweizer „Indianer“, seine „siebte Kavallerie“ gegen deren Steuer-Reservat für Reiche reiten und es auf die schwarze Liste der OECD setzen zu lassen, war genauso wenig ernst zu nehmen, wie alles andere, was Sozialdemokraten an fiskaler und anderer Gerechtigkeit versprechen – aber lustig.

Und wenn Steinbrück die zusehends arroganter und machthungriger werdende Vierte Gewalt vorführt, dann kommt beim „kleinen Mann“ schon mal Schadenfreude auf – beispielsweise als ein Reporter einer großen Boulevardzeitung auf Steinbrücks Aussage „unsere Gesellschaft driftet auseinander“, wenn es um Lohn- und Bildungsgerechtigkeit gehe, ganz aufgeregt nachfragte, „wie groß ist denn der Abgrund, der sich auftut?“, und von einem feixenden Steinbrück die Antwort „na ja, der reicht etwa von hier bis Neuseeland“ bekommt. Dabei können doch einige „kleinen Leute“ glatt vergessen, dem passionierten Schachspieler – der sich 2010 noch „eine Mischung aus George Clooney und Inge Meysel“ als idealen Kanzler vorstellte und partout nicht verraten wollte, ob er dabei an sich selbst dachte –, übelzunehmen, dass er danach sogleich wieder eine Lanze für die Hartz-IV-Tretmühle bricht: „Wir haben einen alimentierenden, nachsorgenden, reparierenden Sozialstaat, brauchen aber einen vorsorgenden, aktivierenden und investierenden“, lautet seine unmissverständliche Warnung an alle Aussortierten, die sich nicht für den Niedriglohnbereich zurichten lassen wollen.

Heißer Herbst für Schwarz-Gelb

„Peer Steinbrück ist ein ernstzunehmender Herausforderer von Angela Merkel. Entsprechend wird er bereits jetzt bekämpft“, nennt die Rhein-Neckar-Zeitung das Problem für Schwarz-Gelb beim Namen Seit die Sozialdemokraten Steinbrück als Kanzlerkandidat nominiert haben, legen sie kräftig zu: Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, erhielte die SPD 29 Prozent – das sind ganze drei Punkte mehr als in der Vorwoche. Die CDU käme mit einem Verlust von drei Punkten nur noch auf 35 Prozent. Das reicht freilich noch nicht für einen Regierungswechsel, denn in der Summe käme Rot-Grün derzeit nur auf 41 Prozent. Aber wenn die Aufholjagd weitergeht, dann könnte Steinbrück Schwarz-Gelb 2013 einen heißen Frühherbst bereiten. Im direkten Duell der Kandidaten liegt er zwar noch weit hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf 46 Prozent kommt, aber er hat in nur wenigen Tagen fünf Punkte aufgeholt und erreicht 34 Prozent.

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Und was stört die SPD-Linke so sehr an Peer Steinbrück – außer dass in seiner Politik noch weniger keynesianische Restbestände vorzufinden sind als in ihrer? Wenn sie sich als derart schlechter Verlierer präsentiert, dass sie ihrem eigenen Kanzlerkandidaten keine Woche nach seiner Ernennung schon in die Parade fährt, auch auf die Gefahr hin, sich selbst zu schaden, dann zeugt das von einer tiefen narzisstischen Kränkung – ist ihre Niederlage doch ein deutlicher Indikator (den sie nun nicht mehr ignorieren können) dafür, dass in der SPD alles so weitergeht wie bisher. Die „Heulsusen“ (Peer Steinbrück) hatten nicht den Mumm, den Schröderianern etwas entgegenzusetzen. Sie haben ihre eigene klassenkämpferische Rhetorik und alles Gerede von einer angeblich umfangreichen Korrektur des Agenda-2010-Kurses Lügen gestraft. Die Partei ist bis ins Mark neoliberal geblieben. Da entscheiden sich doch viele lieber für einen, der diese Wahrheit unverblümter und wesentlich unterhaltsamer verkörpert.       


(1)  http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2009/11/immer-mehr-gesetz-outsourcing-in-ministerien/

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