Innenpolitik

Erfolgreicher Widerstand

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Wie Kreuzberger Bürger ihren Kiez verteidigen. Zum Rückzug von „BMW Guggenheim Lab“ –

Von THOMAS WAGNER, 23. März 2012 –

Der Kapitalismus unserer Tage gibt sich gerne bürgernah und kreativ. Ständig denken sich konzernfinanzierte Stiftungen neue Projekte aus, die nichts als das Gemeinwohl im Auge haben wollen. Vornehmlich in Großstädten werden die Bürger ständig dazu animiert, sich mehr in ihre eigenen Belange einzumischen. In diesen Kontext gehört auch das letztlich am Widerstand politisch hellwacher Kiezbewohner gescheiterte „BMW Guggenheim Lab“ im Berliner Stadtteil Kreuzberg.

Nach Angaben der Guggenheim-Stiftung sollte dort von Mai bis Juli dieses Jahres auf einer Brachfläche zu Veranstaltungen über das Leben in Großstädten eingeladen werden. Angekündigt wurde eine Plattform für öffentliche Diskussionen mit unterschiedlichsten Standpunkten.

Protest gegen das Guggenheim-Lab in NewYorck: Gentrification Is Class War – Fight Back!

In Wirklichkeit geht es einmal mehr um den Versuch reicher Leute, den Verlauf wichtiger gesellschaftlicher Debatten in einem ihnen gemäßen Rahmen zu steuern. Das war zuvor in New York der Fall und sollte nach dem geplatzten Kreuzberger Gastspiel des scheindemokratischen Wanderzirkus im indischen Mumbai fortgesetzt werden. Denn die großzügig finanzierte Diskussion, in der durchaus auch kritische Stimmen zu Wort kommen können, ist vor allem dazu da, handfeste ökonomische Interessen zu verbergen.

Auf zweierlei Weise wäre der temporäre Think Tank dazu geeignet den erwünschten Zweck zu erfüllen: Erstens dient er einer Politik, die durch die Aufwertung von Wohnquartieren private Investoren locken will, die Mieten für große Teile der Kiezbewohner aber unbezahlbar machen wird. Zweitens will der beteiligte Autohersteller sein Image aufpolieren.

Nur allzu offensichtlich ist, dass es „nicht um einen Beitrag zu einer basisdemokratischen Community-Kultur geht, sondern um kalkulierte Markenpolitik, die auf globale Sichtbarkeit aus ist.“ (1) Die Interessen des Kapitals und einer vermeintlich kritischen, häufig aber elitär-selbstbezüglichen Kulturszene gehen dabei Hand in Hand. „BMW weiß schon länger nicht mehr, wohin mit dem ganzen Profit, und sponsert zunehmend gießkannenartig so ziemlich alles, was vermeintlich aufgeklärte Zeitgeistnähe verspricht und mit kritischen Begriffsapparaten wie ‚green economy’ oder ‚sustainability’ hantiert. Da ist jener Teil der Kunstwelt logischerweise nicht weit, der sich mit diesen Fragen ebenfalls primär aus Distinktionsgründen befasst.“ (2)  

Viele Kreuzberger haben den ideologischen Charakter des privaten „Forschungslabors“ rasch durchschaut und ihren Widerspruch deutlich vernehmbar artikuliert. Die Veranstalter des Projekts bewegte das zu einer Absage. Vorgeschoben wurden angebliche Gewaltandrohungen, die von den Gegnern vehement zurückgewiesen wurden. In einer Pressemitteilung vom 21. März 2012 erklärte David Kaufmann, ein Sprecher der Initiative gegen das geplante Lab,  „dass es – soweit uns bekannt ist – bis heute keine einzige Drohung gegen Personen gegeben hat. (…) Durch ihr Gerede von Gewalt und Extremismus versuchen Konzerne und Politik den Widerstand zu spalten, in einzelne GewalttäterInnen und normale AnwohnerInnen. Das ist ihnen aber bislang nicht gelungen und wird ihnen auch weiterhin nicht gelingen. Trotz aller Propaganda ist die Unterstützung in der Bevölkerung für zivilen Ungehorsam und auch Sachbeschädigungen im Kampf gegen steigende Mieten und Verdrängung sehr hoch.“ (3)  

Statt den demokratischen Charakter des Bürgerengagements zu würdigen, erging sich die Springer-Presse in Beschimpfungen. Von „linken Blockwarten“ (4)  war in einem Welt-Kommentar die Rede, die ihre „ lebensweltliche Intoleranz zum Heimatschutz hochdrapiert“ hätten. Ihre „Sturmabteilungen“ speisten sich aus einem „antimodernem Ressentiment“.

Geht’s noch? Kaum zeigt das Engagement politisch hellwacher Bürger einmal Wirkung, schon fährt der notorische Kapitalismus-Schönschreiber Ulf Poschardt das schwerste rhetorische Geschütz auf: den Nazi-Vergleich. Das ist aus seinem Blickwinkel vielleicht auch angebracht, denn das internationale kulturpolitische Vorgehen des Kapitals muss zunehmend damit rechnen, dass sich auch der Widerstand internationalisiert. Auch in New York hatte es unter der Parole „Gentrifizierung ist Klassenkampf – Wehrt Euch!“(„Gentrification Is Class War – Fight Back!“) deutlich vernehmbare Proteste gegen das BMW-Lab gegeben, (5) die den Widerstand der hiesigen Aktivisten befeuert haben mögen. Umgekehrt wurde ihr Erfolg von New Yorker Kritikern des Lab-Projekts ausdrücklich begrüßt. (6)

Und was macht die Berliner Politik? Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), CDU-Fraktionschef Florian Graf, die Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop sowie die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin warnen unisono vor einem drohenden Imageschaden für den „Standort“ Berlin und versuchen, das Lab-Projekt in einem anderen Stadtteil zu installieren.


(1) http://www.taz.de/Berliner-Streit-ums-BMW-Guggenheim-Lab/!90077/

(2) http://www.taz.de/Berliner-Streit-ums-BMW-Guggenheim-Lab/!90077/

(3) http://bmwlabverhindern.blogsport.de/images/bmw_lab_pm_120321.pdf

(4) http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13932898/Linke-Blockwart-Mentalitaet-im-Multikulti-Kiez.html

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(6) http://hyperallergic.com/48743/bmw-guggenheim-lab-berlin-cancelled/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+hyperallergic+%28Hyperallergic%29

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