Innenpolitik

Mit Frauenpower zum Kommunismus

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 10. Januar 2010 –

Viel Unsinn und nur wenig Zutreffendes ist über den Auftritt der Linkspartei-Vorsitzenden Gesine Lötzsch und die anschließende Podiumsdiskussion auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar in der Berliner Urania bereits geschrieben worden. Eine verfassungsfeindliche Gesinnung hat man der braven Demokratin unterstellt, ihre Partei zur geheimdienstlichen Dauerbeobachtung freigegeben, gar mit einem Verbotsantrag gedroht. Mit durchaus zu erwartender Hilfestellung aus gewissen Kreisen der Partei versuchten einflussreiche Presseorgane einen Keil in die Linke zu treiben und sie als derzeit einzige wirkliche, auf der Bundesebene agierende parlamentarische Oppositionspartei zu schwächen. (1)

Vom eigenen Skandalisierungseifer ganz berauscht, ist den  Kommentatoren ein durchaus bemerkenswerter Aspekt der alljährlich von der Tageszeitung junge Welt organisierten Veranstaltung entgangen: Zwar traten am Rednerpult und auf dem Podium Positionen aufeinander, die man als konträr, wenn nicht gar als verfeindet wahrzunehmen gewohnt war, doch verlief die Auseinandersetzung außerordentlich konstruktiv. Gesine Lötzsch wurde von ihrer Parteigenossin Ulla Jelpke auf der Bühne herzlich begrüßt. Lötzsch hielt eine Rede, in der sie ihren Beitrag in der Tagezeitung junge Welt beherzt verteidigte. Dafür bekam sie kräftigen Applaus des Publikums. Zuvor hatte Jelpke um Verständnis dafür geworben, dass Lötzsch vor dem Hintergrund der massiven öffentlichen Anfeindungen an der Podiumsdiskussion selbst nicht teilnehmen wollte.

Die Leitfrage „Wo bitte geht’s zum Kommunismus“ beantworten sozialdemokratischer Reformismus (Gesine Lötzsch), Sponti-Antifaschismus (Claudia Spatz), militanter Linksradikalismus (Inge Viett), Parteikommunismus (Bettina Jürgens) und fortschrittlicher Gewerkschaftspragmatismus (Katrin Dornheim) naturgemäß sehr unterschiedlich. Doch war das Gesprächsklima durchweg fair und solidarisch.

Die Diskutantinnen gingen miteinander um, als ob sie durch die Art und Weise ihrer Auseinandersetzung andeuten wollten, welche Manieren sich in einer herrschaftsfreien Gesellschaft geziemen. Das lag sicher auch an der klugen Einleitung, freundlichen und umsichtigen Gesprächsführung der Moderatorin Ulla Jelpke. Ausschlaggebend könnte aber auch gewesen sein, dass hier einmal kein Männerpodium archaische Hahnenkämpfe zelebrierte, sondern gestandene Frauen aufeinandertrafen, die mit beiden Beinen in den sozialen Bewegungen verankert sind.

In ganz besonderer Weise trifft das auf Katrin Dornheim zu, die Betriebsratsvorsitzende in der Zentrale der DB Station & Service AG.. Daher sei an dieser Stelle ein längerer Abschnitt aus ihrem Statement zitiert: „Um auf das Thema der Konferenz zu kommen: Erfahrungen mit dem sogenannten realen Sozialismus habe ich bis 1989 noch selbst machen dürfen, und in der folgenden Zeit die Freude, aber auch die Unsicherheit über das, was da kommen mag, erlebt. Und man musste ja den Kapitalismus erst mal kennenlernen. Was sich allerdings in den letzten Jahren abspielt, macht mich wütend, denn ich sehe, dass der Kapitalismus einen Großteil der Bevölkerung in die Katastrophe führen wird. Ich weiß nicht, welche Gesellschaftsform danach kommen muss, aber für mich ist klar, dass sich dieses System, so wie wir es jetzt erleben, überlebt hat.

Ich habe nicht die rechte Ahnung, ob das dann Sozialismus sein soll oder kann. Auf jeden Fall sollte man die Erfahrungen bis 1989 berücksichtigen und in deren Auswertung diese Gesellschaftsordnung weiterentwickeln. Klar ist mir, dass die eventuell kommende Gesellschaftsform soziale Sicherungssysteme beinhalten muss, die nicht nur zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. Klar ist mir auch, dass die Gesellschaft sich nicht mehr am Profit orientieren darf, oder dass das Eigentum an Produktionsmitteln nicht in Privathände gehört.“ (2)

Die Rechten in der Linken versuchen unterdessen weiter sich auf Kosten ihrer Vorsitzenden und zum Schaden der gesamten Partei zu profilieren. Nach Dietmar Bartsch, Bodo Ramelow, Stefan Liebich, Michael Brie, Michael Leutert und Klaus Lederer hat sich nun auch der Chef der Linken im Schweriner Landtag, Helmut Holter, von den im Grunde kreuzbraven  Kommunismus-Äußerungen der Parteichefin Gesine Lötzsch distanziert.  Der Auftritt von Lötzsch auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt sei eine „unglückliche Entscheidung“ gewesen, sagte Holter am Montag gegenüber  NDR Info. „Das ist keine Unterstützung für unseren Wahlkampf, darüber werden wir reden“, sagte auch die stellvertretende Landeschefin der Linken in Sachsen-Anhalt, Birke Bulle, der Mitteldeutschen Zeitung am Montag. Den Begriff Kommunismus könne man nicht so unbelastet verwenden wie Lötzsch dies getan habe – „gerade hier in Ostdeutschland, wo im Namen des Kommunismus Gleichmacherei und Verbrechen stattfanden“. Anscheinend haben Teile der Linken momentan nichts Besseres zu tun, als der in den Umfragen darniederliegenden FDP nachzufolgen und die eigene Partei auseinanderzulegen.

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(1) http://www.hintergrund.de/20100317759/politik/inland/die-linke-von-innen-umzingelt.html

(2) http://www.jungewelt.de/2011/01-10/040.php

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