Innenpolitik

Wanderkonzern Nokia

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– Neue Gewinnchancen, soziale Not, politische Heuchelei –

Von RUDOLF HICKEL, Direktor des „Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW)“, Januar 2008: 

Bereits im Dezember letzten Jahres stand der Entschluß in der Konzernzentrale von Nokia in Helsinki fest: Dem Aus für den Handy-Standort Bochum folgt die Verlagerung der Produktion in einen nagelneuen Industriepark nach Rumänien im Landkreis Cluj (ehemals Klausenburg in Siebenbürgen). Die Bagger zur Erschließung dieses Industrieparks, wo früher das Vieh der Ba uern aus einem kleinen Dorf weidete, haben volle Arbeit geleistet. Seit Wochen laufen in den schnell erbauten Hallen die ersten Produktionstests. Am 11. Februar 2008 soll dann die reguläre Herstellung der Handys starten. (1) Während die Produktionsverlagerung am neuen Standort bejubelt wird, greifen Ängste und Wut in Bochum um sich. Vielen engagierten Nokiabeschäftigten drohen zuerst Arbeitslosigkeit und nach einem Jahr durch die Hartz IV-Keule der Absturz in den perspektivlosen Niedriglohnsektor.

Kapitalwanderung im EU-Binnenmarkt: Von Bochum ins Nokia-Village

Die Empörung durch alle Parteien hindurch über den drohenden Verlust von 2.300 Arbeitsplätzen bei Nokia und nochmals 2.000 Jobs bei den Zulieferfirmen ist riesig. In der Politik scheint geradezu ein Wettkampf um die härteste verbale Geißelung der Nokia-Strategie ausgebrochen zu sein. Von den ‚Subventionsheuschrecken’, dem ‚Karawanenkapitalismus’, einem ‚plündernden Nomadentum’ und – irrtümlicherweise – auch noch vom ‚Steinzeitkapitalismus’ ist die Rede. Die begriffsgewaltige Verurteilung des Umgangs mit Menschen durch den größten Handy-Konzern der Welt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Hier ist viel Heuchelei im Spiel. Schließlich trägt die Politik vor Ort, im Bund und vor allem auf der Ebene der EU für das gnadenlose Subventionsnomadentum der Konzerne – in diesem Fall Nokia – eine riesige Mitschuld. Die EU hat mit massiver Unterstützung der deutschen Regierung einen grenzlosen Binnenmarkt geschaffen. Da die unbehinderte, grenzüberschreitende Liberalisierung der Standortwahl im Rahmen des EU-Binnenmarktes gewollt ist, muß man sich nicht wundern, wenn Konzerne an den Standort wandern, der für die kommenden Jahre hohe Renditen abwirft.

Ethik hat in dieser gewollten Konkurrenz um Standorte keinen Platz. Der grenzenlose Binnenmarkt entbindet doch international agierende Konzerne von der Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten in den belasteten Regionen. Die Rechtfertigung von Nokia gegen die Proteste scheint profitwirtschaftlich völlig rational: „Wir haben sehr sorgfältige Analysen der Kosten und der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Bochumer Werks durchgeführt. Die Entscheidung zur Schließung ist genau durchdacht“. (2) Aus der bornierten Sicht dieses Konzerns ist die Produktionsverlagerung in den Landkreis Cluj in Siebenbürgen zweifellos rational. Da wirkt das Argument, wegen der ohnehin im Vergleich zur Konkurrenz hohen Rendite könnte auf die Schließung des Werks in Bochum verzichtet werden, hilflos. Im Gegenteil, die Ausbeutung der neuen Standortvorteile in Rumänien dient dem Ziel, die Rendite noch höher zu treiben. Dabei geht es nicht nur um die Ausnutzung niedriger Löhne, denn deren Anteil am Produktionswert der Nokia-Handys liegt mit unter 5 % sehr niedrig. (3) Vielmehr realisiert Nokia ein neues Produktionskonzept. Aufgebaut wird ein „Nokia-Dorf“ („Nokia-Village“), in das auch die Zulieferfirmen ihre Produktionsstandorte ansiedeln. Moderneste Infrastruktur auch mit Qualifizierungs- und Forschungseinrichtungen gehören dazu. Dieses Nokia-Cluster bietet für die nächsten Jahre hohe Renditen im Handy-Geschäft. Und genau diese Dominanz des Profitkalküls ignoriert systematisch die sozialen Belastungen im Umfeld der demontierten Produktionsstätte Bochum. Vorübergehende Schäden durch den Image-Verlust, den Nokia in Deutschland erfährt, sind durchaus einkalkuliert. Schließlich liegen die Expansionsmärkte in Osteuropa und Asien. Zum Kalkül gehört auch die Entscheidung, daß die Karawane, wenn sich neue Billiglohn-Standorte auftun, dorthin weiterzieht. Die politischen Verantwortlichen in Rumänien sind sich durchaus bewußt, daß sich Nokia nur einige Jahre dem neuen Standort verpflichtet sieht. Allein die Bindung ans Nokia Village – selbst nur für wenige Jahre rechnet sich vor allem über die Jobs und zusätzlichen Steuereinnahmen. Hier handelt es sich nicht um ‚Steinzeitkapitalismus’ (vgl. Harald Schartau). (4) Im Gegenteil, der EU-Binnenmarkt hat ein in früheren Jahrzehnten nicht vorstellbares, profitgetriebenes Nomadentum freigesetzt.

Schädliche Subventionskonkurrenz

Das Elend der direkt und indirekt bei Nokia in Bochum Entlassenen beginnt mit der im EU-Binnenmarkt gewollten grenzenlosen Konkurrenz der Konzerne um Produktionsstandorte. Auch Ministerpräsident Rüttgers muß wissen, daß mit dem EU-Binnenmarkt eine aggressive Kapitalwanderschaft ausgelöst worden ist. Die Politik wiederum hat versucht, durch öffentliche Subventionen Einfluß auf die Wahl der Standorte zu nehmen. Auf der Basis des freien Binnenmarkts veranstalten die Regionen zusammen mit den Nationalstaaten eine nachteilige Subventionskonkurrenz. In Bochum waren es dem Bund und dem Land NRW über 80 Millionen Euro wert, Nokia an den Standort Bochum zu binden. (5) Wer fragt eigentlich danach, inwieweit wegen dieser Fördergelder Arbeitsplätze in Finnland oder an anderen Nokia-Standorten demontiert worden sind? Dabei kommt Nokia eine zeitliche Begrenzung der Zusage, Arbeitsplätze nicht abzubauen, auf fünf Jahre zugute. Jetzt erst erfährt die Öffentlichkeit, daß offensichtlich die Auflagen nicht einmal durch die zuständigen Behörden kontrolliert worden sind. Jedenfalls mußte der Politik klar sein, daß nach dem Verfallsdatum für die Arbeitsplatzauflage im September 2006 Nokia die Abwanderung in neue, hoch attraktive Standorte in Osteuropa ins profitwirtschaftliche Kalkül zieht. Die Fehler der Politik beginnen mit der zeitlich befristeten Subventionspolitik für einen Großkonzern. Die Landesregierung hätte, wie es Heinz Bontrup vorgeschlagen hat, die Subvention in eine Kapitalbeteiligung umwandeln sollen. (7) Dann wäre die Politik wenigsten bei der Entscheidung über den Standort Bochum im Aufsichtsrat dabei gewesen. Der Politik fehlte die Kraft, die sich abzeichnenden Risiken dieser Subventionspolitik für internationale Konzerne zu berücksichtigen. Im Kniefall vor Nokia hat es die Landesregierung versäumt, die öffentliche Förderung für kleine und mittlere Unternehmen zugunsten einer kleinteiligen, risiko-diversifizierten und wissensorientierten Wirtschafsstruktur zu wagen.

Den Subventionsskandal auf der Basis des Binnenmarkts für Kapitalwanderung komplettiert dann noch die EU. Der EU-Kommissar hat zwar beteuert, daß aus den Regionalfonds der EU keine direkten Investitionszuschüsse an Nokia für den Standortaufbau, der nach Angaben von Nokia insgesamt 60 Millionen Euro kosten soll, geflossen seien. (8) Selbst diese Aussage ist jedoch zweifelhaft und muß überprüft werden. Indirekt scheinen jedoch Subventionsmittel der EU genutzt worden zu sein. (9) Es ist eingehend zu prüfen, ob aus EU-Töpfen der Aufbau der Infrastruktur der nagelneuen Industrieparkanlage direkt oder indirekt unterstützt worden ist. Dazu gehört es auch, solche Infrastrukturmaßnahmen, wie den Ausbau einer Eisenbahnlinie, einer Autobahn sowie des derzeit noch kleinen Flughafens in der Nachbarschaft von Nokia-Village bei der Prüfung näher in Betracht zu ziehen. Hat Nokia solche Infrastrukturmaßnahmen nicht sogar gefordert? Um es klar zu stellen: Der Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur zum Aufbau von Unternehmen ist gerade auch in Rumänien dringend erforderlich. Nicht akzeptabel ist jedoch, daß renditestarke Unternehmen, wie Nokia, einen zuvor subventionierten Standort schließen, um einen neuen jetzt mit öffentlichen Zuschüssen aus dem EU-Gemeinschaftshaushalt zu eröffnen. Am Ende ist Nokia mit steigendem Profit der Sieger, während die sozialen Krisenkosten in Bochum vergesellschaftet werden. Die Subventionskonkurrenz und damit das politisch unterstützte Ausspielen von Produktionsstandorten für Konzerne muß schleunigst beendet werden. Dazu gehört auch die Harmonisierung der Steuerpolitik, denn Nokia zieht aus den vergleichsweise niedrigen Unternehmenssteuern in Rumänien einen weiteren Vorteil.

EU-Spielregeln erforderlich

Aus dem leider verallgemeinerbaren Fall der Schließung des Nokia-Produktionsstandortes in Bochum zugunsten des neuen Standorts Nokia-Village im rumänischen Siebenbürgen sind wichtige Lehren zu ziehen. Auf der Basis von Mindeststandards innerhalb der EU müssen die Subventions- und Steuerpolitik sowie auch die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen harmonisiert werden. Die Konkurrenz um die Standorte im EU-Wirtschaftsraum braucht gemeinsam geltende Spielregeln.


Quellen:

(1) vgl.: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,529270,00.html

oder http://www.heise.de/mobil/DGB-vermisst-soziale-Verantwortung-bei-Nokia–/newsticker/meldung/102239

(2) http://www.pcwelt.de/it-profi/business-ticker/143416/

(3) http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,529075,00.html

(4) http://devisen.ad-hoc-news.de/Marktberichte/de/15041864/Schartau+wirft+Nokia+Steinzeitkapitalismus+vor

(5) http://www.welt.de/wirtschaft/article1558261/Ruettgers_Nokia_und_die_Subventionsheuschrecke.html

(6) http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,528887,00.html

(7) vgl.: Heinz-J. Bontrup, Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische

Wirtschaft, PapyRossa Verlag Köln, 2005

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(8) http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,529270,00.html

(9) http://www.focus.de/finanzen/news/handyproduktion_aid_233871

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