EU-Politik

EU verschärft Sanktionen gegen den Iran – wächst die Kriegsgefahr?

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Von REDAKT’ION, 27. Juli 2010 –

Die europäischen Außenminister haben am Montag in Brüssel die schärfsten EU-Sanktionen aller Zeiten gegen den Iran beschlossen. Auch Kanada zog nach und geht damit nach den USA und der EU weit über die am 6. Juni von den Vereinten Nationen beschlossenen Maßnahmen hinaus. Die USA und Israel begrüßten die Schritte.

Nach Angaben von EU-Diplomaten umfassen die Sanktionen Verbote iranischer Frachtflüge nach Europa sowie neuer Investitionen in Irans Öl- und Gassektor. Export-Kreditgarantien mit einer Laufzeit von über zwei Jahren sowie Versicherung und Rück-Versicherung iranischer Regierungsaktivitäten sollen demnach nicht gestattet sein.

Darüber hinaus soll es neue Handelsbeschränkungen für Güter geben, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können („Dual-Use“). Dazu zählen neben Nuklearmaterialien, Chemikalien oder Mikroorganismen auch bestimmte Software, Laser oder Navigationsgeräte. Welche Güter davon im Einzelnen betroffen sind, ist noch nicht bekannt.

Auch Finanztransaktionen sollen verschärften Restriktionen unterworfen werden. So müssen Bank-Überweisungen von mehr als 10.000 Euro gemeldet, und von mehr als 40.000 Euro genehmigt werden. Die Liste der Top-Funktionäre, die mit Reisebeschränkungen belegt sind und deren Vermögen in Europa eingefroren ist, wird verlängert. „Natürlich ist es nie gut, wenn solche Sanktionen beschlossen werden müssen für Exportnationen, auch nicht für uns“, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle. „Aber es wäre sehr viel schlimmer, zuzusehen, dass der Iran sich atomar bewaffnet.“

Die „internationale Staatengemeinschaft“ hat allerdings nach wie vor keine Beweise dafür vorlegen können, dass der Iran wirklich an Atomwaffen arbeitet. Die iranische Regierung hat dies stets bestritten.

Mehrere europäische Minister zeigten sich jedoch skeptisch gegenüber den verschärften Sanktionen. Zyperns Außenminister Markos Kyprianou sagte, da es kein international einheitliches Vorgehen gebe, könnten ostasiatische Länder „das Geschäft mit Europa leicht ersetzen“.

Kyprianou dürfte mit seiner Aussage vor allem auf China abzielen. Das „Reich der Mitte“ hat im vergangenen Jahr die EU als wichtigsten Handelspartner Irans abgelöst. Gleichzeitig sank 2009 der deutsche Export in das persische Land um rund zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr, von 3,6 auf 3,3, Milliarden Euro. Damit gingen die Ausfuhren Deutschlands seit 2005 um ein Drittel zurück. China hatte den UN-Sanktionen zugestimmt, allerdings dürfte beim strategisch wichtigen Energiesektor für China die Schmerzgrenze erreicht sein, so dass kaum zu erwarten ist, dass China dem Beispiel der EU folgen wird. Das Land bezieht nicht nur ca. 11 Prozent seiner Ölimporte aus dem Iran, sondern beteiligt sich auch an lukrativen Aufträgen. Allein der chinesische Ölkonzern Sinopec schloss Ende vergangen Jahres einen Vertrag über den Bau von Raffinerien im Umfang von 6,5 Milliarden Dollar ab. Aufgrund mangelnder Raffineriekapazitäten ist der Iran gezwungen, einen Großteil seines Bedarfs an Benzin zu importieren. Die gegenwärtige Raffineriekapazität von rund 70 Millionen Tonnen entspricht rund einem Drittel der jährlich geförderten Ölmenge. Um diese strategische Schwachstelle zu beseitigen, an der auch die Sanktionen der EU und der USA ansetzen,  will der Iran 46 Milliarden Dollar in den Aufbau der heimischen Raffinerien investieren. Während Sinopec im vergangenen Geschäftsjahr seinen Gewinn verdoppelte, wird es europäischen Firmen im Energiesektor zukünftig kaum noch möglich sein, mit dem Iran lukrative Geschäfte zu tätigen.

Außenstaatssekretär Werner Hoyer wies daher Einwände der deutschen Wirtschaft zurück, die Sanktionen seien zu scharf. „Das Kalibrieren ist immer schwierig, aber wir haben das richtige Maß getroffen.“

Auch Schwedens Außenminister Carl Bildt äußerte sich skeptisch über die EU-Sanktionen und warnte vor einer Stärkung „der falschen Leute, Schmugglern, die dem Regime oft nahestehen“. Wichtig sei es, die diplomatische Seite zu betonen, etwa mittels eines baldigen Treffens zwischen EU-Außenministerin Catherine Ashton und iranischen Vertretern. „Es gibt tiefes Misstrauen zwischen beiden Seiten, das überbrückt werden muss.“ Hoyer räumte ein: „Es ist immer eine sehr schwierige Frage, ob man weit genug oder zu weit geht.“

Kritik an den verschärften EU-Sanktionen kam auch von den LINKEN. „Die Sanktionen werden die iranische Wirtschaft, die bereits in einer Krise steckt, und die iranische Bevölkerung treffen“, sagte Fraktionsmitglied Niema Movassat in Berlin. Einen ersichtlichen Grund für die Sanktionen gebe es nicht. Denn wo der Iran konkret gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen habe, sei bisher nicht aufgezeigt worden.

Kurz nachdem die EU die neuen Maßnahmen gegen den Iran beschloss, folgte auch Kanada dem Beispiel der Europäer. Die verschärften Sanktionen sollten in keiner Weise das iranische Volk bestrafen, betonte der konservative kanadische Premierminister Stephen Harper. Es seien vielmehr gezielte Maßnahmen, um die Entwicklung von Atomwaffen und Raketenprogrammen zu unterbinden. Glaubwürdig sind solche Äußerungen allerdings nicht. Schließlich dürfte unter einem Benzin-Boykott vor allem die Bevölkerung leiden und nicht etwa ein Atomwaffenprogramm, dessen Existenz überhaupt äußerst fragwürdig ist.

In den USA nahm man die von der EU und Kanada verhängten Sanktionen positiv zur Kenntnis.

US-Außenministerin Hillary Clinton und Finanzminister Timothy Geithner erklärten, zusammen mit neuen und bereits existierenden Strafmaßnahmen der USA unterstrichen die Sanktionen „die wachsende Besorgnis der internationalen Gemeinschaft über das Atomprogramm des Iran“.

Auch Israel begrüßte die neuen Sanktionen und rief andere Staaten auf, dem Beispiel zu folgen. Die EU sende damit eine klare Botschaft, dass der Iran die Forderungen der internationalen Gemeinschaft erfüllen müsse, hieß es in einer gestern in Jerusalem veröffentlichten Erklärung des Außenministeriums. Die Sanktionen müssten aber auch vollständig durchgesetzt werden.

Die iranische Regierung überreichte als Antwort auf die beschlossenen Sanktionen einen offiziellen Brief an die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Über den genauen Inhalt des Schreibens wurde zunächst nichts bekannt. Jedoch sagte der iranische IAEA-Botschafter Ali Asghar Soltanieh vor Journalisten in der österreichischen Hauptstadt, sein Land mache in dem Brief deutlich, dass es zu weiteren Verhandlungen über das für einen Forschungsreaktor in Teheran benötigte Uran bereit sei. Er rief zudem die USA und die EU dazu auf, die Chance zur Beilegung des Atomstreits durch Verhandlungen nicht zu verpassen.

Irans Außenamtssprecher Ramin Mehmanparast sagte, die Strafmaßnahmen seien „weder konstruktiv noch effektiv“ und machten den Streit um das iranische Atomprogramm nur noch komplizierter. Die Sanktionen würden nicht den Willen des iranischen Volkes brechen, seine legitimen nuklearen Ambitionen zu verfolgen. Gleichzeitig bekräftigte Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Bereitschaft seines Landes zu weiteren Verhandlungen.

Die IAEA teilte mit, sie habe das Schreiben an die Regierungen von Frankreich, Russland, den USA sowie Brasiliens und der Türkei weitergeleitet. Diplomatenkreise in Wien bestätigten, dass der Iran zu neuen Gesprächen bereit sei. Jedoch bedürfe es zuvor noch einiger Klarstellungen.

Teheran hatte im Mai bei einem Dreiergipfel mit der Türkei und Brasilien einem Atom-Deal zugestimmt, der laut dem iranischen Chefunterhändler Ali Akbar Salehi als Grundlage für Verhandlungen dienen solle. Dieser sieht vor, dass das Land 1200 Kilogramm schwach (5-prozentig) angereichertes Uran in der Türkei lagert und im Austausch dafür 120 kg höher (fast 20-prozentig) angereichertes Uran für den medizinischen Forschungsreaktor in Teheran erhält. Die Weltmächte hatten aber von Anfang an mit Skepsis auf die Vereinbarung reagiert.

Denn laut IAEA hat der Iran sein Atomprogramm fortgesetzt und besitze mittlerweile bereits 2400 Kilogramm schwach angereichertes Uran. Allerdings ist das schwach angereicherte Uran nicht waffenfähig und stellt auch keinen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag da, der zudem von den Staaten Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea, die allesamt über Atomwaffen verfügen, gar nicht erst unterzeichnet wurde.

Wenn Vertreter einer harten Linie gegen den Iran immer wieder das Argument ins Feld führen, es gehe auch darum zu verhindern, dass Terroristen durch den Iran an Atomwaffen gelangen könnten, so zeigt sich die dem zugrunde liegende Doppelmoral. Denn schließlich verfügt mit Pakistan ein Land über Atomwaffen, in dem nicht wenige Staatsvertreter offenbar mit den Taliban sympathisieren oder gar direkt mit ihnen zusammen arbeiten – zumindest wenn man den jüngst auf Wikileaks veröffentlichten US-Militärdokumenten glauben schenken darf. Dass aber Sanktionen gegen Pakistan nie thematisiert werden zeigt, dass das Argument der terroristischen Bedrohung nur vorgeschoben ist, um auf die öffentliche Meinung einzuwirken.

Unterdessen verschärfen die Neokonservativen in den USA den Ton und fordern immer lauter eine kriegerische Option. Der US-amerikanische Abgeordnete Louie Gohmert brachte vor kurzem einen Gesetzentwurf (Resolution 1553) in den Kongress, mit dem die USA Israel grünes Licht für einen Angriffskrieg gegen den Iran geben sollen.

Insbesondere in Hinblick auf die Wahlen am 2. November dieses Jahres, bei denen über alle  US-Abgeordnetenmandate und rund einem Drittel der Senatssitze abgestimmt wird, ist damit zu rechnen, dass die Neocons ihre Kriegsrhetorik intensivieren werden. Einen entsprechenden Ton schlug auch der ehemalige CIA-Chef Michael Hayden am Sonntag auf CNN an.

In seiner Amtszeit unter Präsident Bush habe ein Angriff auf den Iran „ziemlich weit unten auf der Liste der Optionen“ gestanden, sagte Hayden jetzt. Aber inzwischen sei er persönlich zu der Überzeugung gelangt, dass ein Krieg „nicht das schlechteste aller möglichen Ergebnisse“ wäre.

Die USA würden es nicht wagen, den Iran anzugreifen, da sie sich der iranischen Verteidigungskraft und der Entschiedenheit der ganzen Nation bewusst seien, konterte laut der Nachrichtenagentur IRNA der Kommandeur der Revolutionsgarden, Mohammad-Ali Ja’far. Verteidigungsminister Ahmad Vahidi bezeichnete Militärschläge der USA oder Israels als „unwahrscheinlich“. Es gehe in Wirklichkeit um eine „Propagandakampagne“.

Was für die Einschätzung Vahidis spricht, ist die Tatsache, dass man mit militärischen Maßnahmen gegen den Iran vor allem China und Russland, die man gerade erst zur Zustimmung der UN-Sanktionen vom 6.Juni bewegen konnte, vor den Kopf stoßen würde. Außerdem hat der Iran einen militärischen Trumpf in der Hand: Selbst wenn das Land nicht in der Lage wäre, einen Luftangriff auf seine atomaren und militärischen Anlagen direkt abzuwehren, so könnte es seine bisherige Politik der Kooperation mit den westlichen Besatzungstruppen im Irak und in Afghanistan aufgeben und dort den Widerstand gegen die Besatzungstruppen unterstützen. Damit wären dann selbst bei einem reinen Luftangriff Bodentruppen der USA in den Konflikt involviert, wenn auch außerhalb der iranischen Staatsgrenzen.

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Zum Missfallen der Neocons heißt es dann auch aus dem US-Außenministerium, dass die USA weiterhin an einer diplomatischen Lösung des Atomstreits mit Teheran festhalten. Offenbar gibt es innerhalb der US-Elite Differenzen darüber, auf welche Weise die eigenen Interessen am besten durchgesetzt werden sollen. Im Interesse der iranischen Bevölkerung – und nicht nur diese – bleibt zu hoffen, dass es nicht die Neokonservativen sein werden, die sich durchsetzen.


Quellen z.T. : dpa

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