EU-Politik

Griechenland: Neuwahlen einen Schritt näher

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Von REDAKTION, 18. Dezember 2014 – 

Am Mittwochabend scheiterte die Wahl eines neuen griechischen Staatspräsidenten im ersten Anlauf – bei zwei weiteren misslungenen Versuchen kommt es zu Neuwahlen des Parlaments. Damit wächst die Sorge innerhalb der EU, dass in Athen schon bald eine Regierung an die Macht kommen könnte, die sich dem von Brüssel  verordneten neoliberalen Reformkurs widersetzt. Der Kandidat der Regierungskoalition, der frühere EU-Kommissar Stavros Dimas, verfehlte im Parlament die notwendige Mehrheit. Nur 160 der Abgeordneten stimmten für ihn. Notwendig wären 200 Ja-Stimmen gewesen.

Die Abstimmung muss nun am 23. Dezember wiederholt werden. Sollte auch dieser Wahlgang ohne Ergebnis bleiben, wird nochmals am 29. Dezember abgestimmt. Dann sind lediglich 180 Stimmen für die Wahl notwendig. Scheitert auch diese Wahl, sind vorgezogene Parlamentswahlen vorgeschrieben. Der 73-jährige Stavros Dimas steht für die Kontinuität der sozialen und wirtschaftlichen Schocktherapie, die zu Massenverarmung führte und Griechenland seit Jahren in der Krise hält – zugunsten internationaler Kreditgeber. (1) Der ehemalige Weltbank-Mitarbeiter und EU-Kommissar war Außenminister in der Ende 2011 gebildeten Übergangsregierung von Lucas Papademos, die die neoliberale Kahlschlagpolitik erstmals rigoros durchsetzte.

Als Papademos noch griechischer Notenbankchef war, war Athen der Euro-Zone beigetreten – er gilt somit als Griechenlands „Euro-Architekt“. Danach wechselte er zur Europäischen Zentral Bank (EZB), wurde dort Vizepräsident, um dann nach Ausbruch der Finanzkrise, die Griechenland mit dem Staatsbankrott bedrohte, die Regierungsgeschäfte in Athen zu übernehmen. Papademos ehemaliger Minister Dimas steht somit für ein Fortsetzung des radikalen Sanierungsprogramms des Staatshaushalts auf Kosten der einfachen Bevölkerung, das nicht zuletzt den Zweck hat, das Land unbedingt in der Euro-Zone zu halten.

Die Chancen für seine Wahl zum Präsidenten im ersten Anlauf waren denkbar gering:  Die Regierungskoalition unter dem konservativen Ministerpräsident Antonis Samaras verfügt nur über 155 Sitze im Parlament. Lediglich fünf unabhängige Abgeordnete konnte sie im ersten Wahlgang auf ihre Seite ziehen – weitere zwanzig muss sie bis zum 29. Dezember noch überzeugen, um Neuwahlen zu verhindern. Beobachter rechnen in den kommenden Tagen mit einem harten Kampf hinter den Kulissen um die fehlenden Stimmen. „Der Weg ist noch lang“, hieß es aus Kreisen der Regierung.

Mit heraufbeschworenen Untergangszenarien hatte Regierungschef Samaras zuvor eindringlich unter den Parlamentariern um eine breite Unterstützung für Dimas geworben. Dessen Wahl sei notwendig, um ein „politisches Abenteuer“ abzuwenden, das „fatale Folgen für den europäischen Kurs des Landes“ haben könnte. Es sei die „nationale Pflicht“ der Abgeordneten, für seinen Wunschkandidaten zu stimmen, „damit das Land weiter stabil bleibt“.

„Die Strategie der Angst (vor Abenteuern) ist zusammengebrochen“, kommentierte der Chef des Linksbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, den Wahlausgang im griechischen Fernsehen. Bald werde das Volk das Wort haben, so Tsipras, der zuvor Samaras als den „Regierungschef des Chaos“ bezeichnet hatte, weil er dem Volk Angst vor vorgezogenen Wahlen mache.

Syriza ist nicht nur die stärkste Oppositionskraft im Parlament, laut Demoskopen könnte sie aus Neuwahlen als Sieger hervor gehen. Das linke Bündnis will das von Brüssel verordnete Sparprogramm beenden und fordert einen Schuldenschnitt, um der sozialen Verelendung und dem wirtschaftlichen Niedergang entgegenwirken zu können. Ein solches Vorhaben sei „selbstmörderisch“, erklärte der EU-Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici am Dienstag. Das Volk habe zwar genug gelitten, die „Reformen“ müssten jedoch fortgesetzt und das laufende Sparprogramm abgeschlossen werden. Dann werde es eine vorbeugende Kreditlinie geben.

Es handelt sich um ein mittlerweile bewährtes Erpressungs-Ritual: Fügt sich Athen nicht den von Brüssel verordneten „Reformkurs“, so droht die Staatspleite, da keine „Hilfsgelder“ mehr fließen. Die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfond (IWF) machte diese Woche erneut Druck auf Athen, die Sparpolitik fortzusetzen. Die internationalen Geldgeber verlangen weitere neoliberale Reformen. Im aktuellen Sachstandsbericht der Troika wird der griechischen Regierung zwar bescheinigt, „ein gutes Stück“ vorangekommen zu sein, eine „Reihe wichtiger Fragen“ müsse aber noch angegangen werden.  

Von der durch EU- und IWF-Gelder generierten Luiquidität abhängig, ist Athen gezwungen, einen Kurs fortzusetzen, der das Land nachhaltig deindustrialisiert und den Staat zwingt, sein „Tafelsilber“ an private Investoren zu verramschen. Ob  Eisenbahnstrecken, Stromnetze, Wasserversorgung, Flughäfen, der Staat verschleudert sein Eigentum, um die Interessen der Gläubiger – in erster Linie ausländische Banken – bedienen zu können.

Die Aussicht auf vorgezogene Parlamentswahlen mit einem möglichen Wahlsieg der Syriza treibt den Euro-Architekten den Angstschweiß auf die Stirn. Für den Fall einer Abwahl der Samaras-Regierung werde man alles tun, um „Griechenland fest in der Eurozone zu halten“, erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission. Deren Chef gab vor Tagen an die Griechen die Empfehlung – für die meisten Beobachter handelte es sich jedoch um eine kaum verhohlene Drohung – keine „extremen Kräfte“ zu wählen. „Ich denke, die Griechen wissen sehr genau, was ein falsches Wahlergebnis für Griechenland und die Eurozone bedeuten würde“, erklärte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Er bevorzuge es, wenn die neue Regierung aus „bekannten Gesichter“ bestehen würde. „Ich wünsche mir, dass Griechenland von Leuten regiert wird, die ein Auge und ein Herz für die vielen einfachen Menschen in Griechenland haben, und die die Notwendigkeit des europäischen Prozesses verstehen.“ (2)

Das dürfte in den Augen der „vielen einfachen Menschen“, die in Griechenland unter der Knute Brüssels massiv zu leiden haben, wie blanker Zynismus klingen. Ausgerechnet Juncker, der als Finanz-und Premierminister in Luxemburg maßgeblich die auf Geheimdeals mit Konzernen beruhende Steuerpraxis zu verantworten hat, durch die den EU-Ländern Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe entgingen (3), spielt sich als ihr Interessenverwalter auf. Weil das so durchschaubar ist, wächst die Zustimmung für das linke Syriza-Bündnis, das in aktuellen Umfragen vorne liegt. (4) Die Samaras-Regierung muss daher bis zum entscheidenden 29. Dezember noch einiges an Überzeugungsarbeit unter den Nichtregierungs-Abgeordneten leisten, um Neuwahlen noch zu verhindern, die ihr wahrscheinliches Ende bedeuten würden.


 

Anmerkungen
(mit dpa)

(1) Siehe: http://www.hintergrund.de/201307182706/politik/politik-eu/euro-krise-griechenland-und-verbotene-wahrheiten.html

(2) http://euobserver.com/political/126880

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(3) http://www.hintergrund.de/201411063309/wirtschaft/finanzwelt/luxemburg-leaks-auf-dem-weg-zur-steuergerechtigkeit.html

(4) http://www.griechenland-blog.gr/2014/12/syriza-liebaeugelt-in-griechenland-mit-35-prozent/2133978/

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