EU-Politik

Ärgernis Demokratie

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Am 26. Januar wählen die Griechen, die Linkspartei Syriza könnte stimmenstärkste Partei werden. In Europa sieht man das gar nicht gern und macht Stimmung –

Von THOMAS EIPELDAUER, 8. Januar 2015 –

Derzeit liegt das Bündnis der radikalen Linken (Syriza) vorne, wenn es am 26. Januar darum geht, ein neues Parlament für Griechenland zu wählen. Die Linkspartei und ihr Spitzenkandidat Alexis Tsipras können einer aktuellen Umfrage (1) zufolge 33,8 Prozent für sich verbuchen, ihre stärkste Konkurrentin, die konservative Nea Dimokratia des Ministerpräsidenten Antonis Samaras kommt auf 30,5 Prozent, gefolgt von der im März 2014 neugegründeten To Potami („Der Fluss“). Die Neonazi-Partei Chrysi Avgi, deren führende Funktionäre der Gründung einer terroristischen Vereinigung beschuldigt werden, kann 4,4 Prozent verbuchen, die kommunistische KKE 4,1 Prozent. Die ehemals große, derzeit noch mitregierende sozialdemokratische PASOK liegt bei 3,9 Prozent.

Durch diese Konstellation wird die Wahl zu einer, die tatsächlich Dynamik in die verfahrende Situation in Griechenland bringen könnte. Denn Tsipras´ Syriza ist mit dem Versprechen angetreten, den dem Land seit Jahren im Austausch gegen Kredite aufgezwungenen Austeritätskurs zu beenden oder zumindest abzuschwächen. Der von der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission entworfene ökonomische und sozialpolitische Kahlschlag hat die griechische Volkswirtschaft in den vergangenen Jahren an den Rand des Zusammenbruchs getrieben und große Teile der griechischen Bevölkerung in eine verzweifelte Lage gebracht. Eine Jugendarbeitslosigkeit jenseits der 50 Prozent, eine lang dauernde Rezension, massive Lohneinbußen und die Zerstörung der Sozialsysteme waren die Folge.

Schuldenschnitt und Ankurbelung der Wirtschaft  

Tsipras verspricht nun, im Falle eines Wahlsiegs, diese vom jetzigen Premier Samaras willfährig durchgesetzte Politik zu beenden. Das Wahlprogramm der Syriza (2) sieht dazu unter anderem folgende Schritte vor: Man wolle einen Schuldenschnitt und eine „Wachstumsklausel“ für die Rückzahlung des dann noch verbleibenden Teils der Schulden, sodass diese nicht erneut aus Schulden, sondern aus wirtschaftlichem Wachstum finanziert würden. Zudem strebe man an, „ alle Ungerechtigkeiten des Memorandums“, gemeint ist jenes der Troika, das den Austeritätskurs festschreibt, „Schritt für Schritt zu revidieren“.

Zusätzlich sollen die öffentlichen Investitionen um 4 Milliarden Euro angehoben werden, Pensionen und Löhne sollen erhöht werden. Das Wahlprogramm enthält auch Vorschläge zum Vorgehen gegen die „humanitäre Krise“, in der sich Griechenland im Gefolge der Krise und der Austeritätsdiktate befindet: Kostenlose Elektrizität für Haushalte unter der Armutsgrenze, Nahrungsmittel für diejnigen, die über keinerlei Einkommen mehr verfügen. Das politische System Griechenlands soll nachhaltig demokratisiert werden. Finanziert und möglich gemacht werden, soll all das durch den Schuldenschnitt, die Entmachtung der griechischen Oligarchie und die Neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Geht es nach dem Syriza-Wahlprogramm sollen Investitionen und gestiegene Kaufkraft Griechenland aus der Abwärtsspirale herauskatapultieren, in der es seit Jahren steckt.

Dass dieses Wahlprogramm vielen in Hellas aus dem Herzen spricht, wundert nicht. Es setzt in zahlreichen Punkten bei den wirklichen Problemen an, mit denen die Bevölkerung zu kämpfen hat, und bietet im Unterschied zu den Pro-Troika-Parteien Nea Dimokratia und Pasok nicht nur die immer gleichen Durchhalteparolen an.

Allerdings gibt es eine entscheidende Schwäche: Alexis Tsipras hat versprochen, all das ohne Austritt aus dem Euro oder gar der EU und in partnerschaftlichen Verhandlungen mit genau jenen Ländern und Institutionen durchzusetzen, die Griechenland den harten Sparkurs auferlegt haben.

Ein „falsches“ Wahlergebnis  

Ob das möglich ist, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. Schon die Austeritätsprogramme waren an Musterstück an Zerstörung nationalstaatlicher Souveränität Griechenlands (3), die Kompetenzen des griechischen Parlaments beschränkten sich im wesentlichen auf die Verwaltung des Elends. Dass sich das nicht ändern soll, zeigen die Kommentare europäischer Politiker. Sie bedienen die Wahlkampfstrategie der griechischen Rechten, die im Falle eines Wahlsieges des Linksbündnisses den Teufel an die Wand malen: Die Konsequenz seien Zahlungsunfähigkeit, Rauswurf aus der Euro-Zone und Chaos.

In dieselbe Kerbe schlägt man auch in Berlin und Brüssel. Angesichts einer Wahl, die droht, anders auszugehen, als es der reibungslose Ablauf der Geschäfte erfordert, wurde die „Grexit“-Debatte, der Endlosdiskurs über einen möglichen Austritt der Griechen aus der Euro-Zone, erneut losgetreten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker drohte unverholen: „Ich denke, die Griechen wissen sehr genau, was ein falsches Wahlergebnis für Griechenland und die Eurozone bedeuten würde.“ Er wünsche sich „bekannte Gesichter“ und keine „extremen Kräfte“. (4)

Die deutsche Bundesregierung hat mit der Debatte um einen möglichen „Grexit“ zunächst hoch gepokert (5), und versucht sich nun in scheinbar kompromissbereiten Tönen. Das in all diesen Debatten leitende Ziel formulierte Regierungssprecher Steffen Seibert erstaunlich ehrlich: „Für uns und unsere europäischen Partner stellt sich doch jetzt eigentlich nur die Frage: Wie können wir es schaffen, dass unser Euro-Partner Griechenland weiterhin diese Programme erfolgreich abschließt.“ Kurz: Es soll, egal, welche Regierung kommt, sichergestellt werden, dass jener Kurs, der Griechenland zwar keineswegs von Verschuldung befreite, dafür aber nachhaltig wirtschaftlich wie sozial zerrüttete, fortgesetzt wird. Sekundiert wird die Angst-Kampagne durch Springer und Co. „Kanzlerin, stoppen Sie die Abzock-Griechen“, titelt Bild-“Reporter“ Paul Ronzheimer hart an der Volksverhetzung entlang.

Chance und Gefahr

Ob angesichts dieser Verhandlungspartner Tsipras in der Lage sein wird, auch nur einige seiner Wahlkampfversprechen einzulösen, ist äußerst fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass er vor der Option stehen wird: Bruch mit dieser EU und ihren Repräsentanten und eine komplette Neuausrichtung des Landes oder Unterwerfung unter das Diktat aus Brüssel und Berlin.

Der erste Weg eröffnet Chancen, auch wenn er einer voller Gefahren ist, denn wie die Gläubigerstaaten und -Institutionen reagieren würden, ist kaum abzusehen. Der zweite Weg allerdings führt mit Sicherheit in den Abgrund. Die Fortsetzung des Austeritätskurses wird Griechenland noch weiter verheeren, das Land bliebe weiterhin erpressbar und die Faschisten der Chrysi Avgi könnten die Gelegenheit ergreifen.


 

Anmerkungen

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(1) http://www.handelsblatt.com/politik/international/umfrage-linkspartei-fuehrt-in-griechenland/11199628.html

(2) http://www.transform-network.net/uploads/tx_news/THE_THESSALONIKI_PROGRAMME_-1_02.pdf
(3) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Europa/demokratie6.html
(4) http://derstandard.at/2000009573303/Finger-weg-von-der-Demokratie-in-Griechenland?ref=article
(5) http://www.deutschlandfunk.de/euro-austritt-griechenlands-ein-pokerspiel-auf-sehr-hohem.694.de.html?dram:article_id=307779

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