Weltpolitik

Ägypten: Blutige Fußballkrawalle sollen gesteuert worden sein

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 2. Februar 2012 –

Die tödlichen Krawalle nach einem Fußballspiel in Ägypten sind nach einhelliger Einschätzung vieler Beobachter geplant gewesen. Uneinig ist man sich in erster Linie darüber, wer genau dahintersteckt und was genau damit bezweckt werden sollte. Bei den Gewaltexzessen  nach einem Fußballspiel zwischen den Klubs Al-Ahli und Al-Masri war es am Mittwoch in der Stadt Port Said zu Gewaltexzessen gekommen, als Zuschauer das Spielfeld stürmten und eine regelrechte Jagd auf Spieler und Fans von Al-Ahli eröffneten. Dabei sind nach offiziellen Angaben 71 Menschen ums Leben gekommen. Das Gesundheitsministerium erklärte am Donnerstag in Kairo, dass zunächst drei Tote zu viel gezählt worden seien. 1.000 Menschen sollen verletzt worden sein, etwa 318 würden noch immer in Krankenhäusern medizinisch betreut.

Schnell  kamen  Diskussionen über die möglichen Motive auf. Vergleiche wurden gezogen mit vergangenen Gewaltexzessen nach dem Sturz Mubaraks: Etwa mit den religiösen Unruhen im Oktober, als bei Straßenkämpfen zwischen Christen, Soldaten und muslimischen Schlägertrupps in Kairo mindestens 26 Menschen starben und die Sicherheitskräfte nicht eingriffen.

ZDF-Korrespondent Dietmar Ossenberg bewertete das Geschehen noch am Mittwochabend bei einer Live-Schaltung aus Kairo als Angriff auf die revolutionäre Jugend. Die Spieler und die Fans, die angegriffen wurden, gehörten zu jenem Teil der Jugend, der sich mehrfach gegen die Herrschaft des Militärs ausgesprochen hat. Was geschehen sei, scheine einer Art Grundmuster zu folgen, das in den letzten Wochen immer wieder zu beobachten war: Friedliche Demonstranten wurden von Schlägerbanden angegriffen, die aus dem Schutz von Polizei und Militär heraus agierten. Ganz offensichtlich seien hier Kräfte des alten Regimes am Werk, um Chaos und Unruhe zu stiften.

Die Sichtweise Ossenbergs folgt der Wahrnehmung der Al-Ahli-Fans, die von manchen Medien als „Speerspitze der Revolution“  bezeichnet werden. (1) „Das ist die Rache der Revolutionsgegner an uns“, zitiert das Hamburger Abendblatt den Al-Ahli-Fan Mahmoud Abol Fotouh. Die Polizei soll nicht so viele Sicherheitskräfte geschickt haben, wie sonst bei einem solchen Fußballspiel üblich. Die dort waren, sollen zugeschaut haben. (2)

Al-Ahlis Trainer Manuel José sagte, viele Menschen seien in der Umkleidekabine gestorben. „Die Schuld hat einzig und allein die Polizei. Es waren Dutzende im Stadion, aber die waren plötzlich alle verschwunden oder haben gar nichts unternommen“, sagte er dem portugiesischen TV-Sender SIC. Das Verhalten der Sicherheitskräfte wurde auch von der Muslimbruderschaft kritisiert, deren Partei im Parlament die größte Fraktion stellt. In einer Erklärung beschuldigte sie Kräfte, die in enger Verbindung zum früheren Regime von Husni Mubarak stünden. Viele Beobachter vermuten, es ginge den Schlägertrupps darum, die Revolution zu diskreditieren und den demokratischen Wandel zu stoppen.

Die Bewegung des 6. April, die mit ihren Massenprotesten vor einem Jahr den Sturz Mubaraks herbeigeführt hatte, machte die herrschenden Generäle für das Blutvergießen verantwortlich. Sie verursachten Chaos, um die Ägypter davon zu überzeugen, dass das Land ohne den Militärrat nicht zu regieren sei. Die Jugendbewegung fragte: „Ist es logisch, dass der Militärrat für gewaltfreie Wahlen sorgen, aber ein Fußballspiel nicht absichern konnte.“

Der langjährige Trainer des Clubs Al-Ahli aus Kairo, Rainer Zobel, kritisierte die Rolle der Sicherheitskräfte. „Es ist unvorstellbar, dass Polizei und Militär wohl vor Spielende abgezogen wurden.“ Nun müssten die Hintergründe schnell aufgearbeitet werden. Der ehemalige FC-Bayern-Profi Zobel war von 1998 bis 2000 Trainer bei Al-Ahli und holte mit dem Traditionsclub dreimal die ägyptische Meisterschaft. Unruhen nach Fußballspielen hat er damals auch erlebt. „Wir mussten mit gepanzerten Autos aus dem Stadion gebracht werden, denn die Konkurrenz zwischen den großen Clubs ist groß.“ Der 63-Jährige betonte: „Die Krawalle haben eine neue Dimension erreicht. Dass diese innerhalb des Stadions stattfanden, ist für mich neu.“

Das neu gewählte ägyptische Parlament trat am Donnerstag in Kairo zu einer Krisensitzung zusammen. Der herrschende Militärrat verhängte unterdessen drei Tage nationale Trauer.

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(1) http://www.abendblatt.de/vermischtes/article2177319/Wut-und-Trauer-in-Aegypten-Fankrawalle-fordern-74-Tote.html

(2) ebd.

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