Weltpolitik

Bis an die Unterwäsche…

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Über die „Überwachungsmafia“ aus Privatwirtschaft, Geheimdiensten und Polizei –

Interview mit dem schwedischen IT-Experten PÄR STRÖM, 09. Januar 2014 –

Die Verschmelzung von Big Business und Big Government gehört zu den zentralen Merkmalen des Neoliberalismus. Vor allem beim Ausspionieren der Bürger arbeiten die großen Unternehmen und Behörden längst Hand in Hand: Die einen liefern das Know-How, entwickeln und vertreiben immer ausgeklügeltere Informationstechnologien; die anderen wenden sie ohne Rücksicht auf Verluste der Grund- und Bürgerrechte an. Ob zum Terrorverdächtigen oder willenlosen Konsumenten – wenn es um die Zurichtung und Konditionierung des Menschen für die Bedürfnisse von Staat und Kapital geht, dann bemühen sich beide um ein lückenloses Profiling und gleichen legal und illegal erbeutete Daten untereinander ab. Der schwedische Autor Pär Ström hat mit seinem Buch „Die Überwachungsmafia“ bereits 2003 deutlich gemacht, dass eigentlich nichts mehr auszuschließen ist – von der automatischen Polizei, über den telefonischen Lügendetektor, bis zum Spionage-Fernseher. Hintergrund fragte den Autor nach seinen alten und neuen Entdeckungen ungeahnter Möglichkeiten und bat um Prognosen und gute Ratschläge.       

Hintergrund: Sie verfolgen die Entwicklung NSA-Skandal sicher intensiv mit. Hat Sie das bisher ans Tageslicht gebrachte Ausmaß der Bespitzelung überrascht?

Pär Ström: Nein, nicht wirklich. Ich habe über das weltweite Spionagenetz der westlichen Geheimdienste Echelon publiziert, daher kannte ich die ungeheuren Möglichkeiten.

Womit haben Sie sich beschäftigt, bevor Sie sich mit der „Schnüffelgesellschaft“ befasst haben? Und was hat Ihnen den entscheidenden Impuls gegeben, darüber ein Buch zu schreiben?

Ich habe als Unternehmensberater im Bereich Informationstechnologie gearbeitet und festgestellt, dass die Wirtschaft ein gesteigertes Interesse hat, Unmengen von Daten zu speichern. Das ist gefährlich für die Privatsphäre. Und ich stellte mir die Frage, in was für eine Gesellschaft wir eigentlich hineinsteuern.

Sie haben das umfangreiche Panorama angewandter und potentieller Spionage- und Überwachungsmaßnahmen im Bereich Straßenverkehr aufgezeigt. In Deutschland wird die PKW-Maut für Ausländer gefordert – aber nur um die Finanzierung der Infrastruktur zu sichern und den deutschen Steuerzahler zu entlasten…  

Der Staat kann sich auf Basis solcher Technologien aber auch einen Überblick verschaffen, wo Sie sich aufhalten, wen Sie besuchen und was Sie tun. Sie können sich vorstellen, was geschieht, wenn solche Daten in die falschen Hände geraten. Es ist immer das Problem, dass neue Technologien zunächst nur für einen bestimmten Zweck eingesetzt werden. Aber nach einigen Jahren werden sie ausgebaut und weiteren Zwecken zugeführt. So kann eine elektronische Maut perspektivisch als Überwachungsinstrument des Straßenverkehrs genutzt werden. Mit ihrer Hilfe könnten etwa Personen überführt werden, die sich bei ihrem Arbeitgeber krank gemeldet haben und Lohnfortzahlung erhalten, aber während dieser Zeit heimlich einer anderen Arbeit nachgehen und dafür jeden Morgen um 8 Uhr eine ganz bestimmte Strecke fahren.

Durch gesammelte Kundendaten, des sogenannten Customer Relationship Managements, kann auf die individuellen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnittene Werbung erstellt werden. Welche Nachteile kann das haben, wenn ein Drogeriemarkt erfährt, dass ich beispielsweise tierversuchsfreie Kosmetik bevorzuge? Optimieren bedarfsgerechte Angebote nicht den Service für den Verbraucher und erleichtern die Auswahl?

Damit können auch komplette Profile von Menschen angefertigt werden. Es können sein Charakter kann durchleuchtet, seine Interessen und Werte ermittelt werden –  sogar seine Krankheiten.  

Die Einkaufsdaten von Kunden werden von großen US-amerikanischen Unternehmen wie Giant Foods, wie Sie sagen, „hemmungslos“ im großen Stil weiterverkauft. Wer interessiert sich für solche Daten?

Dieser Methoden bedienen sich vor allem US-amerikanische Firmen; die Datenschutz-Gesetze in Europa sind wesentlich strenger. Praktisch kommt aber jedes Unternehmen als Kunde infrage, das etwas verkaufen will.

Sie sagen, die zentrale Rolle in der „Schnüffelgesellschaft“ spiele der Datenabgleich. Können Sie bitte einmal die Dimensionen beschreiben, wie weit der reicht?

Schwer zu sagen. Der Datenabgleich geschieht ja im Dunkeln. Ein Beispiel war die geheime Liebesaffäre des US-Generals David Petraeus mit Paula Broadwell. Für die US-Behörden stellte Petraeus‘ Verhalten ein Sicherheitsproblem dar, weil er mit dieser Beziehung erpressbar war. Das FBI wollte alles über die Frau herausfinden. Sie war aber sehr vorsichtig. Wenn sie via Email kommunizierte, loggte sie sich nie über ihre Computer zu Hause oder am Arbeitsplatz ein. Sie wollte vermeiden, dass sie über deren IP-Adressen identifiziert werden konnte, die von den  Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden. Sie ging nur über Hotel-Computer in ihren Account. Das FBI besorgte sich aber die jeweils aktuelle Gästeliste, glich sie mit den Einlogdaten ab und fand heraus, dass Paula Broadwell die einzige war, die immer in einem der Hotels wohnte, wenn von dort aus auf das Email-Postfach zugegriffen wurde.         

Das heißt, ein Kundenprofil, das eine Supermarktkette erstellt, könnte in der Antiterror-Fahndung Verwendung finden, weil eine verdächtige Person beispielsweise bestimmte Lebensmittel meidet und sich für Bücher über eine bestimmte Religion interessiert?  

Sicher.

IT-Fachleute halten es für möglich, dass mit Hilfe von Verbraucherprofilen in Kombinationen mit anderen abgefischten Daten Straftaten prognostiziert werden.  Das würde bedeuten, Verdächtige könnten ermittelt werden, bevor sie kriminell werden. Das würde vermutlich die bestehende Strafrechtsordnung komplett aus den Angeln heben.

Ja. In den Vereinigten Staaten wird das bereits diskutiert. Es wird schlimmer und schlimmer. Falls es eines Tages noch einen großen Terroranschlag geben sollte, könnte dieser Albtraum wahr werden.
 
Sie haben Ihr Buch vor rund zehn Jahren veröffentlicht – inwiefern hat sich die Lage seitdem verändert und in welchen Bereichen hat sie sich besonders verschärft?

Damals gab es die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung noch nicht. Die ist nun da, und alle Bürger werden als potentielle Kriminelle behandelt. Ein weiteres großes Problem sind die sozialen Netzwerke, wie Facebook und Twitter. Sie haben sich, wie Julian Assange sagt, zu Spionage-Maschinen entwickelt für Geheimdienste und Polizei. Facebook eignet sich hervorragend für das Profiling, weil damit hochsensible Daten über die Persönlichkeit und politischen Meinungen der Nutzer verfügbar sind. So erreicht die Menge der von Facebook gespeicherten Informationen über einen einzigen User nach wenigen Jahren Mitgliedschaft durchaus schon einmal 800 Seiten. Die Nutzung von Mobiltelefonen hat rapide zugekommen. Somit gibt es mehr verwertbare Verbindungsdaten. Außerdem senden die auf den Smartphones installierten Apps laufend primär für Werbemaßnahmen verwendete Daten der Besitzer von deren Telefonen an die Hersteller der Apps.  

Die IT-Expertin Yvonne Hofstetter sagt, die Geheimdienste würden immerhin noch der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, Verstöße könnten strafrechtlich verfolgt werden. Weitaus schlimmer sei es um die Nutzung unserer persönlichen Daten durch private Unternehmen bestellt, weil diese weitaus weniger kontrolliert,  nicht der Geheimhaltungspflicht unterliegen und im Falle von Verstößen auch nicht mit empfindlichen Strafen belegt würden. Sie sagt: „Hier herrscht derzeit Wilder Westen“. Stimmen Sie dieser Aussage zu?  

Ich meine, beide Bereiche sind gefährlich. Momentan mag es der Datenmissbrauch durch die Unternehmen sein. Aber langfristig habe ich viel mehr Angst vor der NSA und anderen Geheimdiensten. Die NSA betreibt ja ökonomische, industrielle und politische Spionage, um die Vormachtstellung der USA zu sichern. Langfristig soll immer mehr Wohlstand aus Europa dorthin transferiert werden.   

Die „Schnüffelgesellschaft“ ist in den USA, auch in Großbritannien, besonders hoch entwickelt. Wie kommt das?

Von staatlicher Seite hat die Überwachung der Bürger in den USA seit 9/11 erheblich zugenommen. Im privaten Bereich gab es sie vorher auch – sie war immer intensiv. In den Vereinigten Staaten ist der Kommerzialismus weitaus stärker ausgeprägt als in Europa. Der Neoliberalismus fordert weniger staatliche Regulierung. Die USA beherrschen auch einen Großteil der Infrastruktur der Informationstechnologie. Facebook, Twitter und Microsoft sind amerikanisch, damit auch alle ihre Software, ebenso Skype, das von Microsoft gekauft wurde – aber auch die führenden Hardware-Marken, wie der Netzwerk-Ausrüster Cisco und Apple-iPhones und -Computer. Es ist damit zu rechnen, dass in die Soft-, vielleicht auch in Hardware Backdoor-Überwachungstechnologie eingebaut ist.  

Welche Kontroll- und Manipulationsmechanismen wird es zukünftig in der Sphäre des Konsums geben?

Automatische Kühlschränke, die erfassen, was sich darin befindet und was fehlt. Das geht mit RFID-Etiketten – radio-frequency identification –, die mit Hilfe elektromagnetischer Wellen Gegenstände identifizieren können. C&A in Deutschland testet solche Etiketten bereits für Kleidungsstücke. In einigen Jahren könnte es sein, dass ich ein Geschäft betrete, und die RFID-Etiketten senden Informationen an das Unternehmen, was für ein Hemd, welche Schuhe und welche Unterwäsche ich trage. Damit können dann präzise Kundenprofile erstellt werden, aber auch Personen identifiziert werden.   

Wie kann sich der Verbrauch er denn überhaupt noch vor der Neugier der großen Firmen schützen?

Er sollte auf die Verwendung von Kundenkarten verzichten. Für das Surfen im Internet sollte er Anonymisierungssoftware, fürs mobile Telefonieren Prepaid-Karten benutzen, statt Verträge mit den Telekommunikationsanbietern abzuschließen. Allgemein gilt: Alles, was analog ist, sollte wieder bevorzugt werden. Das Problem ist freilich, dass das sehr umständlich ist. Nur wenige Menschen sind bereit, für den Schutz ihrer Privatsphäre mehr Zeit zu investieren. Der absolute Albtraum ist die bargeldlose Gesellschaft – ein heiß diskutiertes Thema in Schweden. Es ist ungeheuer wichtig, dass es weiterhin Bargeld gibt, denn das ist anonym.    

Sie haben vor kurzem ein neues Buch mit dem Titel „Was heißt Privatsphäre“ veröffentlicht – leider gibt es das noch nicht in deutscher Übersetzung…

Ja, darin beschäftige ich mich mit elektronischen Footprints und Apps und anderen  Überwachungstechnologien. Beispielsweise könnten Geheimdienste durch die neuen Fernseher die Wohnzimmer der Bürger ausspähen. Das gilt auch für die modernen Computer-Spiele und andere neue Geräte, die mit Internet-Verbindung, Kameras und Mikrophonen ausgestattet sind, beispielsweise WLAN-Fotoapparate.

2003 sagten Sie: „Wenn nichts geschieht, werden wir eines Tages in einer Überwachungsgesellschaft aufwachen, die die Horrorvision von George Orwells ,1984‘ in den Schatten stellt“. Ist das noch eine Dystopie oder mit NSA bereits Realität?

Ich bin pessimistisch. Zumindest hat der NSA-Skandal deutlich gemacht, dass wir auf den Weg der Realisierung dieser Dystopie sind. Noch setzt der Staat ja längst nicht alles gegen die Bürger ein, was technisch möglich ist.

Und das wäre… beispielsweise in einem faschistischen Staat wie Deutschland von 1933 bis 1945, dessen Geheimer Staatspolizei nicht ein Bruchteil der Überwachungstechnik zur Verfügung stand, die es heute gibt?

Durch die Kameras auf den Straßen und Plätzen könnte flächendeckend die Gesichtserkennung aller Menschen, die sich dort bewegen, vorgenommen und die Daten über viele Jahre gespeichert werden. So würde sogar erfasst, wenn Sie um 15.16 Uhr mit ihrem Hund spazieren gehen. Der Wunschtraum jeder Diktatur könnte wahr werden. Verfolgte könnten viel schneller verhaftet werden. Aber wer heute diese Gefahr benennt, wird – zumindest in Schweden – ausgelacht.  

Vielen Dank für das Gespräch.


 

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# Pär Ström ist Diplomingenieur und Experte für Informationstechnologie. Der 54-jährige Schwede schreibt Bücher und hält Vorträge über die negativen Auswirkungen des digitalen Zeitalters sowie die Gefahren eines zunehmend mangelhaften Datenschutzes. Zudem kommentiert er aktuelle Entwicklungen in diesen Bereichen für diverse Fernsehsender. Zuletzt erschien von ihm: Die Überwachungsmafia. Das gute Geschäft mit unseren Daten, Carl Hanser Verlag 2005, 340 Seiten

Fragen: Susann Witt-Stahl

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