Weltpolitik

Brzezinski : Der Mann, von dem sich Barack Obama nicht beraten lässt

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Von KNUT MELLENTHIN, 21. Januar 2009 –

Manche Irrtümer sind erstaunlich langlebig, weil sie allzu bereitwillig ungeprüft weitergetragen werden. So wird man vermutlich auch nach der Vereidigung des 44. Präsidenten der USA auf deutschen Webseiten und vielleicht sogar in einigen Printmedien erneut lesen, dass zu den maßgeblichen außenpolitischen Beratern von Barack Obama ein gewisser Zbigniew Brzezinski gehört. Hier und dort wird man diese falsche Behauptung noch etwas aufpfeffern, indem man den aus Polen stammenden Altstar der amerikanischen Geostrategie zum „Chefberater“ des neuen Mannes im Weißen Hauses ernennt.

Tatsächlich ist der mittlerweile Achtzigjährige, der 1977 bis 1981 Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Jimmy Carter war, immer noch einer der klügsten und interessantesten Außenpolitik-Theoretiker der USA und damit auch der Welt. Tatsache ist aber auch, dass es sich kein US-Politiker, der in der ersten Liga mitspielen will, leisten kann und wird, Brzezinski zu seinem Beraterstab zu zählen. Schon der Verdacht, man könnte Ratschlägen des Altmeisters folgen, ist in diesem Metier verheerend. Denn Brzezinski hat es mit der wichtigsten und mächtigsten Lobby der USA schon seit langem so gründlich verdorben, dass er dort als „Feind Israels“ und „Antisemit“ gilt.

Das Nachrichtenmagazin Newsweek formulierte es so: „Brzezinski has a reputation that is close to toxic in the American Jewish community“, und zitierte einen anonymen “einflussreichen jüdischen Führer Amerikas“ mit dem Satz: „When Brzezinski’s name appears on an advisory list, that’s a red flag right away.“ (1) Also: Sein Ruf unter den amerikanischen Juden sei „nahezu giftig“ und das Erscheinen seines Namens auf einer Beraterliste wäre ein Alarmsignal.

Anlass des Newsweek-Artikels, der das Datum 3. März 2008 trägt, war das von Hillary Clintons Wahlkampf-Team gezielt verbreitete Gerücht, Brzezinski sei Obamas „chief foreign policy adviser“, sein außenpolitischer Chefberater. Ann Lewis, ein führendes Mitglied der Clinton-Campaign, hatte diese Legende im Januar 2008 während einer Telefonkonferenz mit Vertretern der wichtigsten jüdischen Organisationen der USA in die Welt gesetzt. (2) Über naive oder böswillige Blogger und über Ketten-Mails, die auch von republikanischen Stellen massiv gestreut wurden, machte die Infamie – um nichts anderes handelte es sich nach Absicht und Wirkung – ihren Weg.

Einen Politiker über Personen seiner näheren und weiteren Umgebung sowie über Menschen, die irgendwann einmal seine Lebensbahn gekreuzt haben, zu beschädigen, ist in den USA eine extensiv praktizierte Form des Konkurrenzkampfs. Zur selben Zeit griff man Obama auch wegen radikaler Äußerungen seines Gemeindepastors, Rev. Jeremiah Wright, an und unterstellte ihm auf halsbrecherischen Wegen sogar indirekte Beziehungen zu Louis Farrakhan, dem Führer der extremistischen, antisemitisch artikulierenden Nation of Islam.

Auf der gleichen Ebene lagen Rufmord-Lügen, Obama habe als Kind in Indonesien eine Madrassa, eine islamische Religionsschule besucht, sei immer noch Moslem und habe seinen Eid als Senator auf den Koran statt auf die Bibel abgelegt. Die Madrassa-Legende hatten die neokonservativen Fox News schon im Januar 2007 gemeldet, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf Hillary Clinton als ihre Quelle. (3)

Rufmord-Lügen wie diese müssen entscheidend dazu beigetragen haben, dass Obama zu Beginn des Wahlkampfs aus einigen jüdischen Kreisen sehr viel mehr Misstrauen entgegenschlug als allen anderen Bewerbern um das Präsidentenamt. Denn der „record“ des Senators aus Illinois ist, genau besehen, nicht nur tadellos, sondern erstklassig. Unter „record“ versteht die Israel-Lobby die sorgfältig über viele Jahre geführte Personalakte mit sämtlichen Äußerungen potentiell karriereverdächtiger Politiker zum Nahost-Konflikt sowie die Auflistung ihres Verhaltens in allen einschlägigen parlamentarischen Debatten und Abstimmungen. Obama, der im Laufe seiner blitzartigen Ausnahmekarriere immer auf eine starke jüdische Repräsentanz in seinem persönlichen Umfeld geachtet hat, hat in seiner politischen Laufbahn nie Anlass zu Zweifeln an seinem bedingungslosen „commitment“ (Verbindung, Verpflichtung) gegenüber Israel gegeben. Wichtige Vertreter des US-amerikanischen Judentums, wie der Vorsitzende der Anti-Defamation League, Abraham Foxman, verteidigten Obama von Anfang an gegen die Angriffe und sprachen ihm öffentlich ihr volles Vertrauen aus.

Und doch musste der Kandidat mit Hilfe seiner jüdischen Freunde und Verbündeten monatelang hart darum kämpfen, in zahllosen Meetings vor Ort das gegen ihn geschürte Misstrauen jüdischer Kreise abzubauen. Dazu gehörte eine Rede auf dem Jahreskongress 2008 der pro-Israel-Lobby AIPAC, von der Uri Avnery schrieb, sie habe „alle Rekorde an Unterwürfigkeit und Liebedienerei (obsequiousness and fawning) gebrochen“. (4) Dazu gehörten auch Obamas Äußerungen während seiner Israel-Reise im Juli 2008, in denen er sich – im Gegensatz zur offiziellen amerikanischen Politik – für Jerusalem als „ungeteilte Hauptstadt Israels“ aussprach und dem Gaza-Massaker bei einem Besuch in Sderot vorauseilend seinen Segen erteilte: „Wenn jemand Raketen in mein Haus schießt, wo meine beiden Töchter nachts schlafen, würde ich alles in meiner Macht stehende tun, um das zu unterbinden.“ (5) Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak zitierte diese Worte am 29. Dezember auf einer Pressekonferenz zur Rechtfertigung der Angriffe auf Gaza.

Vor diesem Hintergrund war es selbstverständlich, dass Obama dem zerstörerischen Gerücht, Brzezinski spiele in seinem Beraterstab eine Rolle, entschieden und eindeutig entgegentrat. So erklärte er beispielsweise am 25. Februar 2008 bei einem Auftritt in Cleveland (Ohio) vor über 100 maßgeblichen Mitgliedern der örtlichen Jewish Community: „Ich kenne Brzezinski, er gehört nicht zu meinen zentralen Beratern (key advisors). Ich habe ein Mal mit ihm gegessen, ich habe mit ihm vielleicht drei Mal E-Mails gewechselt. (…) Seine Ansichten hinsichtlich Israels teile ich nicht. Das habe ich klar und unzweideutig gesagt.” (6) – Brzezinski seinerseits steuerte zu Obamas Entlastung die Aussage bei, er gebe dem Kandidaten “nur gelegentlich” (only on occasion) Ratschläge. (7)

Die Legende vom „außenpolitischen Berater“ sollte damit eigentlich schon erledigt sein. Man könnte Obama und Brzezinski zwar unterstellen, dass sie die Öffentlichkeit über ihr wirkliches Verhältnis bisher getäuscht und belogen haben. Aber auf derselben Ebene könnte man auch behaupten, dass beide konspirative Moslems sind, die heimlich auf die Errichtung des Weltkalifats hinarbeiten. Es fehlen konkrete Anhaltspunkte für eine solche Interpretation. Vor allem hinsichtlich des Israel-Palästina-Konflikts liegen Brzezinskis Empfehlungen einerseits und Obamas bisherige Positionierungen andererseits unvereinbar weit auseinander. Das gilt darüber hinaus aber auch mit Bezug auf die gesamte von Brzezinski als „eurasischer Balkan“ bezeichnete Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und der indischen und chinesischen Grenze, einschließlich Zentralasiens. Seine geostrategische Theorie läuft im Wesentlichen darauf hinaus, in Russland den herausragenden Hauptfeind zu sehen und dieser Orientierung die gesamte Nah- und Mittelost-Politik unterzuordnen. Das beinhaltet den Versuch, den Israel-Palästina-Konflikt ebenso wie die Konfrontation mit dem Iran möglichst rasch politisch zu lösen, statt sie militärisch noch weiter zuzuspitzen. Der Iran soll in diesem Zusammenhang als akzeptierte Regionalmacht in das Management anderer Krisenherde (Irak, Afghanistan) eingebunden werden. Brzezinski nimmt außerdem sehr klar und entschieden gegen die von den Neocons inspirierte Politik der Bush-Regierung Stellung, unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“ die USA in Feindschaft zur moslemischen Welt zu bringen. Das ist ein Thema, das der neue Präsident, durch die infamen Verdächtigungen gegen seine Person geprügelt und anscheinend erfolgreich eingeschüchtert, bisher gemieden hat.

Würde sich Obama als Präsident plötzlich und überraschend an Brzezinskis Vorschlägen orientieren – wofür es bisher in Wirklichkeit überhaupt keine Anzeichen gibt – geriete er unvermeidlich in einen Riesenstreit mit der Israel-Lobby, den er angesichts der klaren Verhältnisse in beiden Häusern des Kongresses nur verlieren könnte. Es sei daran erinnert, dass sich der Kongress erst kürzlich in wahrhaft „überwältigender“ Weise mit Israels Gaza-Massaker solidarisiert hat: der Senat einstimmig ohne formales Votum, das Abgeordnetenhaus mit 410 gegen acht Stimmen. Die Israel-Lobby und der Kongress würden Obama auch Zügel anlegen, falls er den aggressiven Kurs gegen Iran lockern würde – wofür es, wie gesagt, aber gar keine Hinweise gibt.

Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der 44. Präsident gerade aufgrund des mühsam zugeschütteten Misstrauens gegen seine Person, das bei Bedarf schnell reaktivierbar sein dürfte, der Israel-Lobby sogar noch zuverlässiger aus der Hand fressen wird als sein Vorgänger. Damit sind einem Wandel in der Außenpolitik sehr enge Grenzen gesetzt.

Anmerkungen

1) Michael Hirsh und Dan Ephron: Good for the Jews? Hillary Clinton’s surrogates are questioning Obama’s commitment to U.S.-Israel relations. Newsweek, 3. März 2008.

http://www.newsweek.com/id/114723

2) Jonathan Weisman: Obama Rebuffs Challenges on His Israel Stance. Washington Post, 28. Februar 2008.

http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/02/27/AR2008022703512.html

3) Hillary Clinton Drops Madrassa Bomb on Barack Obama. Fox News, 22.1.2007.

http://www.foxnews.com/story/0,2933,245582,00.html

4) Uri Avnery: No, I can’t! 7. Juni 2008.

http://zope.gush-shalom.org/home/en/channels/avnery/1212871846

5) “If somebody was sending rockets into my house, where my two daughters sleep at night, I’m going to do everything in my power to stop that.” – Zitiert auf der Website der Anti-Defamation League.

http://www.adl.org/media_watch/newspapers/20090116-Sun-Sentinel.htm

6) “I know Brzezinski he’s not one of my key advisors. I’ve had lunch with him once, I’ve exchanged emails with him maybe three times. (…) I do not share his views with respect to Israel. I have said so clearly and unequivocally.“

Transkript der Äußerungen auf der Website der den Neocons nahestehenden, inzwischen aus Finanzgründen eingestellten New Yorker Sun. Obama nahm in Cleveland umfassend zu allen Zweifeln an seiner absoluten Loyalität gegenüber Israel Stellung.

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http://www.nysun.com/national/in-cleveland-obama-speaks-on-jewish-issues/71813/

7) Newsweek, 3. März 2008. Siehe Anmerkung 1.

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