Weltpolitik

Der Sultan und der Puppenspieler

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1387549368

Der Machtkampf zwischen Teilen der türkischen Regierungspartei und dem islamistischen Netzwerk Fethullah Gülens eskaliert –

Von THOMAS EIPELDAUER, 20. Dezember 2013 – 

Der Schlag kam überraschend: Am Dienstag verhaftete die türkische Polizei bei Razzien insgesamt 84 Personen, die fast alle enge Verbindungen zur Regierungspartei AKP unterhielten. Vorgeworfen wird ihnen Korruption, Veruntreuung und Bestechung. Die Söhne des Wirtschafts-, Innen- und Städtebauministers befinden sich ebenso unter den Festgenommenen wie ranghohe Parteimitglieder und Vertreter regierungsnaher Banken und Firmen.

Premier Erdogan, zunächst sichtlich überrascht darüber, seine Parteifreunde im Fadenkreuz der Justiz zu sehen, äußerte sich knapp: Es sei eine „schmutzige Operation“, die von Kreisen „innerhalb und außerhalb der Türkei“ durchgeführt werde.

Dass indessen maßgebliche Teile der sich als Antikorruptionspartei inszenierenden AKP von Vetternwirtschaft, Bestechung und Veruntreuung profitieren, ist in der Türkei ein offenes Geheimnis. Während des landesweiten vom Istanbuler Gezi-Park ausgehenden Aufstandes gegen die Regierung in Ankara wurde von linken Aktivisten immer wieder darauf hingewiesen, dass vor allem im Bau- und Immobilienbereich mafiöse Verbindungen zwischen Großkonzernen und Politik eine wesentliche Rolle spielen.

„Ein schattenhafter Puppenspieler“  

Die jüngste Verhaftungswelle dürfte allerdings weniger den erwachten Gerechtigkeitssinn einer jahrelang untätigen Staatsanwaltschaft widerspiegeln, als dass sie Teil eines offen ausgetragenen Machtkampfes innerhalb der Eliten ist. Die Regierungspartei AKP ist trotz ihrer Wahlerfolge und scheinbaren Geschlossenheit keineswegs ein monolithischer Block, sondern ein Bündnis aus durchaus unterschiedlichen Interessensgruppen.

Eine der bedeutendsten Fraktionen in diesem Konglomerat ist die des Imams Fethullah Gülen. „Obwohl er keine offiziellen staatlichen Funktionen innehat und im US-amerikanischen Exil lebt, ist er einer der mächtigsten Akteure in der türkischen Politik“, schrieb Gülen-Kenner Nick Brauns in Hintergrund Nr. 3/2013. Brauns nennt ihn einen „schattenhaften Puppenspieler“.

Gülen, der eine nationalchauvinistische islamistische Ideologie vertritt, floh 1999 mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA in die Vereinigten Staaten, von wo aus er bis heute seine Cemaat, seine Gemeinde leitet. Deren Strategie zur Transformation des Gemeinwesens zielte bislang auf die langsame Unterwanderung der zentralen Institutionen. „Die Anwesenheit unserer Schüler in der Justizverwaltung und dem übrigen Staatsapparat ist der Garant für unsere Zukunft. (…) Die Muslime dürfen nicht eilig handeln. Wer voreilig handelt, gerät in Gefahr, wie in Algerien, dass sein Kopf zerquetscht wird. (…) Ihr müsst, ohne aufzufallen und ohne auf euch aufmerksam zu machen, an die Schaltstellen der Macht gelangen“, fasste der Imam seine Idee 1999 zusammen.

Lange Zeit konnte Gülen diese Strategie im Einvernehmen mit der seit 2002 regierenden ebenfalls konservativ-islamischen AKP umsetzen. Die Cemaat war Teil des herrschenden Machtblocks, man teilte sich Posten und Einfluss. Dann wurde die Gülen-Gemeinde dem „Sultan von Ankara“, wie Kritiker den Premier wegen seines autoritären Führungsstils nennen, zu mächtig. Mitte Dezember beschloss er, die Schulen der Gülen-Bewegung, die sogenannten Dershanes, schließen zu lassen.

Die Nachwuchsschulen sind die Lebensader der nationalistisch-islamistischen Bewegung, sowohl personell wie auch finanziell. Dergestalt in die Ecke getrieben, holte der Prediger zum Gegenschlag aus.

„Nicht der letzte Trumpf“

Der so eskalierte Machtkampf wird aus Sicht der Regierungspartei möglicherweise schwerer wiegen als der Massenaufstand der urbanen Jugend, sozialistischer, säkularer und liberaler Kräfte im vergangenen Juni. Denn die Frontlinie verläuft quer durch die eigene Partei, vor allem aber quer durch die Machtzentren des türkischen Staates.

„Es wird keine einfache Sache werden“, meint der Enthüllungsjournalist Nedim Şener (1). „Entweder die Cemaat zerschlägt die AKP, oder die AKP zerschlägt die Cemaat.“ Es handle sich hier um keine fremde, äußere Kraft, sondern um eine „geheime Institution innerhalb des Staates“.  

„Die Operationen treffen auf Grundlage der ‘Veruntreuungs- und Bestechungsvorwürfe’ die AKP an ihrer empfindlichsten Stelle“, meint auch die kurdische Nachrichtenagentur Civaka Azad. Diejenigen, die hinter diese Aktion stehen, hätten bewiesen, dass sie „wie mächtig sie wirklich sind“. „Auf den ersten Blick wirkt diese Sekte wie eine zivile Macht, jedoch ist sie erprobt und meisterlich in der Organisation und Umsetzung von Verschwörungen, Fallen und Intrigen. Wir sehen nun auf eindrucksvolle Weise welch dunkle Macht sie wirklich ist. Daher können wir davon ausgehen, dass dieser Schachzug der sogenannten ‘Gemeinde’, die eigentlich eher ein ‘Netzwerk’ ist, nicht ihr letzter Trumpf war.“ Allgemein erwarten Beobachter in der Türkei die Veröffentlichung geheimer Informationen über Erdogans engsten Kreis durch die Cemaat.

Erdogan hingegen hat den Fehdehandschuh aufgehoben. Nachdem bereits am Mittwoch hochrangige Polizeioffiziere aus Istanbul, die mit den Korruptionsermittlungen befasst waren, den Hut nehmen mussten, wurden heute 14 hochrangige Beamte in Ankara ihrer Ämter entbunden.


 

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Anmerkungen

(1) http://www.hurriyetdailynews.com/akp-gulen-set-for-battle-until-end-investigative-journalist.aspx?pageID=238&nID=59876&NewsCatID=339

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Weltpolitik Sieg ohne Jubel
Nächster Artikel Weltpolitik „Wir müssen hart durchgreifen“