Weltpolitik

Die ausgestreckte Hand ist vergiftet: Anzeichen für US-Militärintervention in Libyen mehren sich

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Von REDAKTION, 28. Februar 2011 –

Nach der Verhängung von Sanktionen erwägen die Vereinten Nationen auf Druck des Westens jetzt auch militärisch  in Libyen einzugreifen. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wollte am Montag die Chancen einer Flugverbotszone über Libyen mit den internationalen Partnern in Genf ausloten. Dort trat am Vormittag der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu einer Sitzung zusammen. Westerwelle will am Rande des Treffens auch mit US-Außenministerin Hillary Clinton und deren russischem Kollegen Sergej Lawrow beraten.

Die New York Times berichtet, Vertreter von Weißem Haus, US-Außenministerium und Pentagon hätten sich bereits am Sonntag mit europäischen Partnern und NATO-Vertretern über ein Flugverbot ausgetauscht. Es sei aber noch keine Entscheidung getroffen, wird ein hoher US-Regierungsbeamter zitiert. Ein solcher Schritt würde nur in Abstimmung mit den Partnern beschlossen.

Westerwelle warnte im Südwestrundfunk vor voreiligen Entscheidungen. Die Ausrufung einer Flugverbotszone sei etwas anderes als deren Durchsetzung. Auf die Frage, ob das die NATO übernehmen könne, sagte der Außenminister, dies müsse zunächst mit den Vereinten Nationen besprochen werden. Es gehe nicht darum, das libysche Volk zu treffen, sondern eine Herrscherfamilie, die einen Krieg gegen das eigene Volk führe.

Aus diplomatischen Kreisen bei den Vereinten Nationen hieß es, dass für einen Beschluss über eine Flugverbotszone weitere Diskussionen unter den 15 Mitgliedern des Sicherheitsrates nötig seien. Maßnahmen des Gremiums seien unwahrscheinlich, solange die Gewalt in dem nordafrikanischen Krisenland nicht erheblich zunehme, wie etwa durch den Beschuss von Zivilisten aus der Luft.

UN-Sanktionen

Der Weltsicherheitsrat hatte zuvor ein Waffenembargo und Reiseverbote verhängt, Konten sollen eingefroren werden. Betroffen von den Strafmaßnahmen sind Gaddafi, vier seiner Söhne, eine Tochter und zehn enge Vertraute.

Unterdessen wird in der US-Regierung laut New York Times diskutiert, ob das US-Militär libysche Kommunikationsverbindungen stören könnte, um die Verbreitung von Botschaften durch die Regierung Gaddafi zu unterbinden. Auch werde geprüft, ob mit Hilfe der Streitkräfte ein Korridor nach Tunesien oder Ägypten geschaffen werden könne, um Flüchtlingen bei der Ausreise zu helfen.

US-Außenministerin Clinton bot der Opposition im Land Hilfe an. Diese wurde vom Vorsitzenden der libyschen Übergangsregierung, Mustafa Abdul Dschalil, aber umgehend zurückgewiesen: „Wir wollen keine ausländischen Soldaten hier“, sagte der ehemalige Justizminister, der sich den Aufständischen angeschlossen hatte, am Sonntagabend dem TV-Sender Al-Arabija.

Abdul Dschalil wird von einem Teil der Aufständischen, die inzwischen den gesamten Osten Libyens unter ihrer Kontrolle haben, als Vorsitzender der am Samstag gegründeten Übergangsregierung akzeptiert. Clinton hatte am Sonntag erklärt, Washington „streckt die Hand in Richtung jener vielen verschiedenen Libyer aus, die sich im Osten (Libyens) organisieren.“ Es sei aber noch zu früh, eine Übergangsregierung anzuerkennen.

Rätemacht

Dies sieht ein anderer Teil der Aufständischen genauso: Sie verweigern Abdul Dschalil inzwischen die Gefolgschaft und gründeten in Bengasi einen libyschen Nationalrat. Dieser Rat solle der politischen Revolution ein Gesicht geben und sei keine Übergangsregierung, sagte der Sprecher des Rates, Hafis Ghoga. Die Übergangsregierung repräsentiere nicht das libysche Volk. Es sei derzeit nicht vorgesehen, überhaupt eine Gegenregierung zu bilden, bevor Tripolis nicht „befreit”, also in der Hand von Aufständischen sei.  Hafis Ghoga  führte weiter aus, dass in allen von den Aufständischen beherrschten Städten Räte gebildet worden seien, die die Geschicke der jeweiligen Stadt lenken, und der Nationale Libysche Rat das Dachgremium sei, das die Stimme dieser lokalen Räte in Libyen repräsentiere. Auch er bat das Ausland, sich nicht in die internen Angelegenheiten Libyens einzumischen und erklärte, Libyer würden Libyen selbst befreien. (1)

Der nationale libysche Rat soll in der Zentrale der Protestierenden, dem Gerichtsgebäude in Bengasi, tagen. Parallel dazu sei dort auch ein Militärrat eingerichtet worden. Während  Abdul Dschalil die Legitimität der neu gebildeten Selbstverwaltungsorgane bislang nicht in Frage stellt, scheinen Teile der westlichen Presse eine Zentralisierung der Macht zu favorisieren und entsprechend tendenziös zu berichten.  So berichtete der schottische Scotsman etwa, dass  Abdul Dschalil  von den Aufständischen als Regierungchef einer Übergangsregierung ausgewählt worden sei. „Das habe ein Herr Fathi Baja gesagt. Fathi Baja ist ein Oppositioneller, dessen Söhne in Kanada leben und den das CIA-nahe US-Magazin Time gerade zu einer führenden Figur der Opposition hochgeschrieben hat.“ (2)

Manche Beobachter meinen, dass die westlichen Medien versuchen, den Aufständischen eine bestimmte Führungsperson aufzuzwingen. „Die Entwicklung einer Rätestruktur anstelle einer von sich selbst mit Unterstützung der westlichen Presse ernannten Führung scheint den USA, denen damit wohl die Felle ihrer von Washington aus beflügelten monarchistischen Konterrevolution in Libyen davonzuschwimmen drohen, nicht zu schmecken.“ (3)

Westliche Propaganda

Von Beginn an hatte der Westen offensiv versucht, die revolutionären Prozesse in Libyen im Sinne der eigenen Interessen zu steuern. Dass Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi auf dem Weg nach Venezuela sei, war unkritisch eins zu eins wiedergegeben worden.

Über das Dementi der Regierung Venezuelas wurde dagegen kaum berichtet. Venezuelas Staatschef  Hugo Chávez war es auch, der vor einer Spaltung Libyens zugunsten westlicher Interessen warnte. Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro sprach im Parlament in Caracas von „den ersten Schritten in einem Bürgerkriegs-Prozess, um einer Opec-Nation das Öl abzunehmen“.

Libyen habe eine fundamentale Rolle in der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) sowie bei den Blockfreien, der Afrikanischen Union und in der Arabischen Liga gespielt, betonte Maduro. Libyen unterhalte seit den 1960er Jahren eine enge Verbindung zu Venezuela. Außerdem sagte er: „Wir setzen uns für Unabhängigkeit, Frieden und Souveränität des libyschen Volkes ein“. (4)  Der Außenminister warf den Nachrichtenagenturen vor, Meldungen aus Libyen zu manipulieren.

Nach Informationen des Internetportals Amerika.21 ist die Linke Venezuelas in der Einschätzung der Umbruchprozesse in Libyen durchaus unterschiedlicher Meinung.

„Der arabisch-stämmige Abgeordnete der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Adel El Zabayar, sagte in einem Radiointerview, Gaddafi sei schon lange kein Antiimperialist mehr und habe praktisch die gesamte Erdölproduktion in die Hände transnationaler Unternehmen gegeben. Nun antworte er auf Proteste mit einem ‚Massaker’, während die vom Erdöl und Gas abhängigen Staaten Europas nach einer für sie günstigen Lösung suchten. Die dem linken Flügel der Bolivarischen Bewegung zuzurechnende ‚Marea Socialista’ (Sozialistische Strömung) erklärte in einem Kommuniqué vom 22. Februar ihre ‚kategorische Solidarität mit der libyschen Bevölkerung’. Gaddafis Regierung habe ein Massaker verübt, dass den Völkern der Welt den Horror zeigt, zu dem Diktatoren, ob dem Imperialismus zugewandt oder nicht, fähig seien. Von einem Unabhängigkeitshelden der 1960er Jahre habe er sich zu einem ‚kapitalistischen Diktator und Partner der EU’ entwickelt.“ (5)


(1) http://www.mein-parteibuch.com/blog/2011/02/28/anti-gaddafi-kraefte-in-libyen-bauen-raete-struktur-auf/#more-4435

(2) http://www.mein-parteibuch.com/blog/2011/02/28/anti-gaddafi-kraefte-in-libyen-bauen-raete-struktur-auf/#more-4435

(3) http://www.mein-parteibuch.com/blog/2011/02/28/anti-gaddafi-kraefte-in-libyen-bauen-raete-struktur-auf/#more-4435

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(4) http://amerika21.de/nachrichten/2011/02/24729/chavez-venezuela-libyen

(5) http://amerika21.de/nachrichten/2011/02/24729/chavez-venezuela-libyen

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