Weltpolitik

Ein Gespenst geht um am Mittelmeer: Befreiung

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Ein Kommentar von RÜDIGER HAUDE, 9. Februar 2011 –

Die „westliche Wertegemeinschaft“ hat ein ernstes Problem. Freiheit, Demokratie, Menschenrechte … ausgerechnet die Menschen in der arabischen Welt machen sich diese Werte plötzlich zu eigen, ohne den Westen vorher um Erlaubnis zu fragen! Und sie rufen Reaktionen im Westen hervor, die dessen tatsächliche „Werte“ klar ans Licht bringen. An erster Stelle natürlich „Stabilität“ und „Berechenbarkeit“. Mit dem Folter-Diktator Mubarak wird ein echter Freund des Westens abtreten. Und ebenso wie schon vorher bei Ben-Ali in Tunesien stehen die politischen Eliten des Westens konsterniert vor diesem Prozess, weil sie die Protestbewegungen beim besten Willen weder als islamistisch noch als kommunistisch verteufeln können. Trotzdem raunt die ZDF-Schranze Peter Frey vor einigen Tagen im „heute“-Kommentar, hinter dem schönen Wort „Freiheit“ lauerten „viele Gefahren“. Der Papst betet für Ägypten und bittet den katholischen Gott, „dieses durch die Heilige Familie gesegnete Land wieder zur Ruhe“ finden zu lassen. Wohlgemerkt, nicht zur Demokratie. Nicht zur Freiheit. Sondern zu dem Zustand, der in den vergangenen 30 Jahren dort vermeintlich herrschte: zur Ruhe.

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In einer großen westdeutschen Tageszeitung beobachtete kürzlich ein Kommentator die „Sicherheitskonferenz“ in München. Wohlwollend berichtet er, man sei sich dort über folgendes einig gewesen: „Künftig wird krisenvermeidende Diplomatie zu einem viel früheren Zeitpunkt als bisher einsetzen müssen, sollen Unruhen mit unkalkulierbaren Folgen zeitig kanalisiert werden.“ Demokratisierung ist also die Krise, und die Aufgabe vor allem der NATO sei es, diesen Prozess als Welt-Machiavellist zu „kanalisieren“, also ineffektiv zu machen.

Dieser Herrschafts-Zynismus war schon immer brechreizerregend. Angesichts der derzeitigen Bewegung könnte seine Wirkung aber umschlagen. Demokratisch gesinnte Menschen in den westlichen Ländern fühlen sich heute den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz näher als ihren eigenen Regierungen. Ist es ganz ausgeschlossen, dass wir eines Tages mit Überzeugung sagen: „Ex oriente lux“? Und dass wir selbst die „westlichen Werte“ plötzlich für wichtiger halten als verkrustete „Stabilität“ und die „Sicherheit“ der bestehenden Ausbeutungsordnung? Nicht, dass am Ende noch die Erde zu einem Midan at-Tahrir, einem „Platz der Befreiung“ wird …

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